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Geschwärzte Geschichte. Rainer Klemke und Kurator Manfred Wichmann (links) sichten Objekte für das geplante Museum.

© Thilo Rückeis

Zentrum Kalter Krieg: Klemkes Kampf um das Museum am Checkpoint Charlie

Seit Jahren plant Rainer Klemke ein Museum am Checkpoint Charlie. Das Projekt könnte nun scheitern - dabei soll es sein Lebenswerk vollenden.

Von Andreas Austilat

Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein rostiges Tor, das Objekt, auf das Rainer Klemke gerade seine Hand legt. Auf den zweiten auch. Ein Tor mit Metallzacken an der Oberkante, wie es vielleicht mal einen Hangar verschlossen haben könnte, oder einen Hof. Klemke, 70 Jahre alt, schlank und hochgewachsen, reckt sich noch ein bisschen höher, lächelt. „Das“, sagt er nach kurzer Pause, „war mal der Hintereingang in die DDR.“

Nun könnte dieses Tor, das einst auf DDR-Seite den Zugang zu einem Hinterhof im Seitentrakt der Grenzanlagen am Checkpoint Charlie versperrte, das erste Sammlungsstück eines Museums werden, das es noch gar nicht gibt, des Berliner „Museums Kalter Krieg“. Es gab Tage in diesem Sommer, in denen Klemke davon ausgehen konnte, dass es endlich gebaut werden würde, sogar einen Termin für eine Grundsteinlegung gab es schon, den 9. November 2019. Klemke war dem Ziel seiner Arbeit vieler Jahre so nah wie nie zuvor.

Ein Wolkenkratzer, 60 Meter hoch

„Als ich antrat, gab es eigentlich nur eine öffentliche Gedenkstätte, die des deutschen Widerstands.“ Das war vor 25 Jahren. Klemke zählt auf, was folgte: die Topographie des Terrors, die Gedenkstätte Berliner Mauer, „auf die bin ich besonders stolz“, auch am Holocaustmahnmal war er beteiligt. „Als Helmut Kohl die Entwürfe sah, hat er mir damals gesagt, die deutsche Hauptstadt kann nicht wieder Berlin heißen, wenn wir nicht ein weltweites Zeichen setzen.“ 18 Jahre lang war Klemke Gedenkstätten- und Museumsreferent des Berliner Senats.

Das Museum Kalter Krieg soll am Checkpoint Charlie entstehen. Der kam jüngst ins Gerede, als der Immobilienentwickler Trockland Baupläne für den historischen Ort am ehemaligen Kontrollpunkt in der Friedrichstraße präsentierte. Es waren hochfliegende Pläne, die das Publikum da zu sehen bekam, von renommierten Architekturbüros. Bis zu 60 Meter etwa ragt der Entwurf von David Chipperfield auf. Und das Büro Graft hat ein Hard-Rock-Hotel geplant.

Doch 3000 Quadratmeter sollen für ein neues Museum reserviert sein, ein Museum, das – obwohl einst Kostenfreiheit vereinbart worden war – dann zur Miete einzöge, für 900.000 Euro im Jahr. Entschieden ist nichts, die Pläne sind mittlerweile für nichtig erklärt worden; Oppositionsparteien, Grüne und Bauexperten werfen dem Senat vor, seine Planungshoheit zugunsten eines Investors aus der Hand gegeben zu haben. Was in aller Eile über die Bühne gehen sollte, soll nun den üblichen Weg durch das Berliner Abgeordnetenhaus nehmen.

Dennoch: Klemke sieht sich seinem Ziel weiterhin so nahe wie nie. Jetzt glaubt der Mann, der in seiner Funktionshose und dem kurzärmeligen Karohemd ein bisschen so aussieht wie ein gut gelaunter Geografielehrer auf Exkursion, wieder an eine weltpolitische Chance. Ausgerechnet am Checkpoint Charlie, jenem trostlosen Ort, an dem so lange immer nur versprochen und wenig gehalten wurde. „Deutschland wird doch derzeit geradezu gedrängt, mehr internationale Verantwortung zu übernehmen.“ Wann, wenn nicht jetzt soll der richtige Zeitpunkt sein, für ein Museum, das den Kalten Krieg erklärt und damit die Ursache so vieler Konflikte, die heute noch ungelöst sind, von der Ukraine bis Syrien?

Klemke hat aber nicht nur eine weltpolitische Mission: Dieses Museum wäre auch der Schlussstein in seinem Lebenswerk, das ansonsten wohl unvollendet bliebe. „Wenn das jetzt nicht klappt, werde ich die Eröffnung solch eines Museums wohl nicht mehr erleben“, sagt er. Und damit jetzt bloß keiner auf die Idee kommt, das sei doch bitte schön sein Problem, fügt er an, für den Checkpoint Charlie hieße das weitere Verwahrlosung.

Noch lagert das rostige Tor auf einem Freigelände an der Bernauer Straße, dem sogenannten Lapidarium, einem Zwischenlager der Gedenkstätte Berliner Mauer. Hier wartet auch ein in Einzelteile zerlegter Wachturm auf ein neues Leben als Ausstellungsstück, genauso wie rostige Stahlmatten mit aufragenden Dornen – der sogenannte Stalinrasen, der Flüchtlinge im Todesstreifen stoppen sollte. Neben Klemke steht Helena Gand. Die 30-Jährige ist Mitarbeiterin der Stiftung Berliner Mauer, die hat den offiziellen Auftrag für den Aufbau einer Sammlung. Sie zieht ein Foto aus ihrer Aktentasche. Es ist die Luftaufnahme des Checkpoints, der im Grenzregime der DDR Ausländern, Diplomaten und den Soldaten der Westalliierten vorbehalten war. Mit der Kugelschreiberspitze zeigt sie auf das Tor, ein paar Meter östlich der Friedrichstraße. Heute trinken an dieser Stelle Touristen im Biergarten Charlie’s Beach Cocktails oder Berliner Weiße, essen Currywurst oder vegane Falafel-Wraps.

Grenzwertig. Besucher aus aller Welt sind fasziniert vom Checkpoint Charlie. Berliner meiden die Touristenmeile eher.
Grenzwertig. Besucher aus aller Welt sind fasziniert vom Checkpoint Charlie. Berliner meiden die Touristenmeile eher.

© Thilo Rückeis

Gand ist die jüngste Mitstreiterin in diesem Projekt, Klemke der älteste. Sein halbes Berufsleben hat er mit dem Aufbau dieses immer noch imaginären Museums verbracht. Egal, wer in Berlin regierte, egal, ob der Kultursenator nun Ulrich Roloff-Momin, Peter Radunski, Thomas Flierl oder Klaus Wowereit hieß, Klemke dachte sich neue Gedenkstätten aus.

Seit fünf Jahren ist er pensioniert, könnte die Sache also Leuten wie Helena Gand überlassen. Doch das Museum ist längst auch Teil einer persönlichen Mission. Alles sei ihm gelungen, beinahe wenigstens, dieses Museum gehört eben leider nicht zu seiner Erfolgsbilanz. Nun kämpft er als oberster Lobbyist, ist Vorsitzender des „Zentrums Kalter Krieg“, des Fördervereins des nicht existierenden Museums. An seiner Seite weiß er Leute wie Markus Meckel, den Außenminister der Nach-Wende-DDR, Jürgen Reiche, Direktor der Leipziger Zweigstelle des Bonner Hauses der Geschichte, und Christian Friedrich Ostermann vom International Cold War Project in Washington.

Lemke zeigt ein zweites Bild, das Tor ist darauf zu sehen, von Unkraut überwuchert, unter dem Gerippe eines Bettgestells verborgen. So hätten sie es gefunden, genau dort, wo es einst stand. Ein Glücksfall, ein Unikat, wie sie leider über die Jahre seltener würden.

Aber es ist doch nur ein rostiges Tor.

„Natürlich“, sagt Klemke, „brauchen wir auch noch einen Eyecatcher.“ Einen Panzer zum Beispiel. Am besten einen sowjetischen. So einen, wie ihm der Fotograf ins Rohr schaute, als er das berühmte Foto von der Konfrontation der Weltmächte am Checkpoint im Jahr 1961 machte. Ein amerikanischer Panzer ginge aber auch, jenen, den der Fotograf von hinten aufnahm, als sich die Kampfmaschinen an der Kreuzung Zimmerstraße/Friedrichstraße gegenüberstanden und der Kalte Krieg ganz schnell ein heißer hätte werden können.

An dieser Kreuzung zählt die Stiftung Berliner Mauer jährlich 4,3 Millionen Touristen, auf der Suche nach dem historischen Ort. An dieser Ecke befindet sich auch ein Lokal der Caféhauskette Einstein. Klemke hat im Hinterzimmer Platz genommen. Bis vor 20 Jahren war hier das Café Adler. An dessen Tresen trafen sich Agenten, Überläufer, Informanten und Journalisten, beobachtet durch die Stasi aus einem Fenster in der Fassade des heutigen Hauses der Stiftungen schräg gegenüber.

Aus dem Fenster kann man die Brache sehen, in der bisher noch alle Investorenträume begraben wurden. Um die Ecke posieren wie seit zwei Jahrzehnten GI-Darsteller vor der Attrappe eines Wachhäuschens fürs Foto. Die Zimmerstraße runter bieten Marketender Russenmützen und winzige Mauerstücke feil – sie würden neidisch werden, wenn sie wüssten, wie viel Mauer Klemkes Unterstützer noch im Depot haben.

Die internationale Dimension fehlt noch

Er sei einst der Autor des Gesamtkonzepts zur Erinnerung Berliner Mauer gewesen, sagt Klemke. Thomas Flierl erteilte 2004 als Senator den Auftrag dazu, Klemke leitete die Arbeitsgruppe, er war der Motor, wie er sich selber nennt. Die Gedenkstätte Bernauer Straße ist in diesem Konzept der berlinische Ort. Das Brandenburger Tor ist der nationale Ort, das Parlament der Bäume und die Eastside Gallery Orte der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Mauer, die Topographie des Terrors der Ort, an dem historische Schichten sichtbar werden, weil dort Kaiserzeit, NS-Diktatur und die DDR aufeinanderträfen. Fehlt die internationale Dimension, die soll am Checkpoint Charlie erzählt werden.

Das Konzept wurde im Juni 2006 vom Senat verabschiedet und vom Abgeordnetenhaus abgesegnet. Das sei bindend, insistiert Klemke, und von keinem Senat seitdem wirklich infrage gestellt worden. So steht der Aufbau des Museums Kalter Krieg auch im Koalitionsvertrag der jetzigen Stadtregierung.

Klemke ist West-Berliner, geboren 1948 in Wilmersdorf. 1961 verbrachte er die Sommerferien im Bergischen Land, als die Mauer gebaut wurde. „Meine größte Angst damals war, dass ich nicht mehr zurückkomme, in die Stadt rein.“ Er kam zurück, studierte an der Freien Universität, war 13 Jahre Pressesprecher der Hochschule der Künste. Und als sein Chef, Hochschulpräsident Ulrich Roloff-Momin, 1991 auf den Stuhl des Kultursenators wechselte, folgte ihm Rainer Klemke. Regierender Bürgermeister der großen Koalition aus CDU und SPD war Eberhard Diepgen, die Mauer wurde abgerissen und die Grundstücke um den Checkpoint Charlie an die US-amerikanische Immobilienentwicklungsgesellschaft CEDC verkauft. CEDC wollte dort ein American Business Center bauen, gewissermaßen der in Beton gegossene Sieg im Kalten Krieg, welcher nun entschieden schien.

Es sei der damalige Staatssekretär Winfried Sühlo gewesen, der bei dem eiligen Verfahren in letzter Minute noch einen Passus in dem Vertrag unterbrachte, nach dem der Investor am Checkpoint Charlie einen Gedenkort zu realisieren habe, erinnert sich Klemke.

Wie man den sich vorstellen könnte, davon kann man schon jetzt einen kleinen Eindruck erhalten, in jenem schwarzen Behelfsbau, der seit 2012 als Blackbox schräg gegenüber vom Café Einstein steht.

Der Auftrag für die Planung und das Betreiben der Blackbox waren 2012 eine der letzten Amtshandlungen von Rainer Klemke als Gedenkstätten- und Museumsreferent. Auf 220 Quadratmetern werden dort internationale Konflikte von den 50er bis in die 90er Jahre mit der Lage in Berlin in Beziehung gesetzt: zum Beispiel hier der Mauerbau – dort die Atomtests der Sowjets in den frühen 60ern und die Kubakrise. Die Rezensionen bei Eröffnung waren wohlwollend.

Die Kommentare: "awesome" oder "incredible"

„Für ein Museum gilt das Gleiche wie für jede andere Immobilie: Entscheidend ist die Lage“, sagt Klemke und führt über die Straße in die Blackbox. Er möchte das Gästebuch zeigen. Besucher aus Thailand, Südafrika, Schweden und den USA haben nur ihren Namen hineingeschrieben oder Kommentare wie „awesome“ und „incredible“. Klemke blättert, er beobachte immer wieder amerikanische Besucher, die kennen dieses Kapitel des Kalten Kriegs gar nicht mehr, denn in der Schule werde das daheim nicht gelehrt.

Was aber wird man im neuen Museum sehen können außer dem rostigen Tor?

Im Süden Berlins, die Marienfelder Allee, die Gedenkstätte Notaufnahmelager Marienfelde. Hier unterhält die Stiftung Berliner Mauer ein weiteres Depot. Der Weg führt vorbei an Ausstellungsräumen, kleinen Kammern mit Etagenbetten, früher als Erstunterkunft für Flüchtlinge aus der DDR eingerichtet. Den Schlüssel zum Depot hat Manfred Wichmann, der Sammlungsleiter.

Konfrontation. Am Checkpoint hätte der Kalte Krieg schnell eskalieren können.
Konfrontation. Am Checkpoint hätte der Kalte Krieg schnell eskalieren können.

© dpa

Wichmann zieht sich weiße Handschuhe an, um ein Gedenkkreuz aus dem Regal zu ziehen, eingeschlagen in weißes Papier. Der Name auf dem Kreuz wurde von einem Unbekannten übermalt, anhand des Geburts- und Sterbedatums hat Wichmann rekonstruiert, das unter der schwarzen Farbe der Name „Olga Segler“ stehen muss. Sie war mit 80 Jahren das älteste Maueropfer, sie starb 1961 beim Versuch, sich aus ihrer Wohnung in der Bernauer Straße in den Westen abzuseilen. Das Kreuz stand 20 Jahre lang dort, bis es im Depot verschwand.

In weiteren Regalen liegen Koffer von Flüchtlingen, Schatullen mit Dokumenten, darunter auch solche eines Offiziers der Grenztruppen. Sie enthalten Vorschläge zur Verbesserung der Grenzanlagen am Checkpoint Charlie, etwa durch den Einbau sogenannter Schlupftore, um die Beweglichkeit der Grenztruppen zu erhöhen. Objekte, die die Berliner Komponente des Kalten Kriegs zeigen, werden das geringere Problem der Museumsmacher sein. Wo aber ist der Panzer, wo sind die Pershings? Wir stehen ja erst am Anfang, sagt Rainer Klemke.

Was aber, wenn dieser Anfang jetzt zu Ende gehen sollte? Wenn sich der Checkpoint-Charlie-Investor Trockland angesichts der weitreichenden Kritik an dessen Vorpreschen – gemeinsam mit dem Senat – zurückzöge?

Klemke reagiert verärgert auf die Einwände. Die Entscheidung sei doch bereits vor Jahrzehnten gefallen, nun habe der Senat kein Geld, weder um das Areal zurückzukaufen noch einen eigenen Museumsbau zu stemmen. Nein, sagt er, der schon viele Investoren hat kommen und gehen sehen, wenn Trockland abspringe, dann stünde hier alles wieder auf null.

In dem Fall würde er wohl auch aufgeben. Dann, sagt er zum Abschied, werde er wohl endgültig nach Groß Schönebeck bei Eberswalde gehen, wo er seit einigen Jahren seinen Wohnsitz hat. Dort gebe es ein wirklich interessantes Museum zu Jagd und Macht in der Schorfheide.

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