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100 Jahre Deutscher Akademischer Austauschdienst: Vom „Kampf der geistigen Welten“ zum friedlichen Dialog
Kulturpolitischer Austausch kann für ganz unterschiedliche Zwecke eingesetzt werden: Das zeigt die wechselvolle Geschichte des DAAD.
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In der Geschichte des DAAD spiegeln sich auch die politischen Zeitläufte. Das zeigt insbesondere der Blick auf die ersten drei Jahrzehnte: von den Anfängen, die stark vom Ziel der Revision des Versailler Vertrages geprägt sind, über die systematische Instrumentalisierung im Dienste des Nationalsozialismus bis hin zum mühsamen, aber entschlossenen Neuanfang nach 1945, der im Zeichen der Völkerverständigung und der Westintegration steht.
1925-1933: Anfänge im Zeichen von „Versailles“
Nach dem Ersten Weltkrieg liegt Deutschland wirtschaftlich am Boden und ist politisch isoliert. Die sogenannte „Schmach von Versailles“ vor Augen, entsteht in den frühen 1920er-Jahren in Politik und Wissenschaft die Idee, den akademischen Austausch als kulturpolitisches Instrument zur „friedlichen Wiedererlangung deutscher Weltgeltung“ einzusetzen – ein „soft power“-Ansatz avant la lettre.
Umgesetzt wird dieser Ansatz schon früh in Heidelberg. Dort gründet der Student Carl Joachim Friedrich, unterstützt von seinen akademischen Lehrern Alfred Weber und Arnold Bergsträsser, 1924 die „Staatswissenschaftliche Austauschstelle“. Friedrich hatte auf private Einladung einer amerikanischen Studentengruppe 1922 die Gelegenheit zu einer USA-Reise erhalten und dabei den Wert akademischen Austauschs kennengelernt.

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Dank seiner Kontakte zum New Yorker Institute of International Education gelingt es ihm, für das akademische Jahr 1924/25 13 Stipendien für deutsche Studenten in den USA zu vermitteln – eine beachtliche Leistung angesichts eines noch weitgehenden Boykotts deutscher Wissenschaft durch die ehemaligen Kriegsgegner.
Friedrichs eher idealistischer Ansatz wird jedoch schon bald realpolitisch überformt. 1926 veröffentlicht sein Heidelberger Partner Arnold Bergsträsser einen Essay über „Sinn und Grenzen der Verständigung zwischen Nationen“ und kommt zu dem Ergebnis: „Kulturelle Begegnung“ sei kein harmonisches Miteinander, sondern ein „Kampf der geistigen Welten“, der akademische Austausch ein Mittel zur nationalen Rehabilitierung.
In den nächsten Jahren wird diese stärker revisionistische Interpretation in der praktischen Austauscharbeit mehr und mehr in den Vordergrund treten. So orientiert sich die Auswahl der deutschen Stipendiaten schnell nicht allein an akademischen Kriterien, sondern auch an der Eignung als überzeugende „Träger deutschen Kulturwillens“.
Zur Professionalisierung der Austauschstelle wird mit Werner Picht schon im November 1924 ein hauptamtlicher Geschäftsführer bestellt. Picht verlegt den Sitz der Institution, die seit Januar 1925 offiziell „Akademischer Austauschdienst“ (AAD) heißt, nach Berlin, gründet 1927 eine Außenstelle in London und treibt auch den Austausch mit Frankreich voran.

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Gleichzeitig legt das Auswärtige Amt unter dem Namen „Alexander von Humboldt-Stiftung“ ein staatliches Stipendienprogramm auf, mit dem ausländische Studierende gefördert werden sollen, die Deutschland „in ihrer Heimat politisch und wirtschaftlich nützlich sein werden“.

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Und auch der Verband der Deutschen Hochschulen (Vorläufer des heutigen DHV), betreibt nun Kulturpolitik: An deutschen Universitäten werden sogenannte „Akademische Auslandsstellen“ eingerichtet, die Keimzelle der heutigen Auslandsämter bzw. International Offices, die sich der systematischen Betreuung ausländischer Studierender widmen sollen, damit diese, die „ungeheure Not eines Millionenvolkes“ vor Augen, „zum Gegner des Versailler Systems werden.“
Es ist nur konsequent, dass das Auswärtige Amt die drei organisatorisch getrennten, aber in ihrer Zielrichtung verwandten Ansätze bald unter einem gemeinsamen Dach zusammenführen möchte. Ziel ist es, Austausch, Betreuung und Stipendienvergabe zentral zu koordinieren.
Dies gelingt schließlich 1931 unter dem Dach des neuen „Deutschen Akademischen Austauschdienstes“. Leiter des DAAD wird Adolf Morsbach, zuvor Direktor der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der Vorläuferorganisation der heutigen Max-Planck-Gesellschaft. Morsbach baut den DAAD energisch zur Schaltzentrale der deutschen akademischen Auslandsarbeit auf, sieht sich aber schon bald mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten konfrontiert.
1933-1945: Im Dienst des NS-Regimes
Selbst den Kreisen der „Konservativen Revolution“ nahestehend und das Ziel einer Revision des Versailler Vertrags vor Augen, ist Morsbach zunächst bereit, sich mit den neuen Machthabern zu arrangieren. Der Vorstand wird „arisiert“ und mit NS-Funktionären besetzt. Jüdische Mitarbeitende werden entlassen.

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Doch Morsbach hat auf die falschen Verbündeten gesetzt. Seine Nähe zur SA wird ihm im Sommer 1934 zum Verhängnis: Im Zuge des „Röhm-Putschs“ gerät er in Haft und kann danach nicht mehr auf seinen Posten zurückkehren. Er stirbt, gesundheitlich gezeichnet, 1937.
Sein Nachfolger wird Wilhelm Burmeister, ein langjähriges Mitglied des NS-Studentenbundes und der NSDAP. Burmeister sorgt dafür, dass der DAAD nun unmissverständlich eine „den Grundsätzen des nationalsozialistischen Deutschlands entsprechende kulturpolitische Auslandsarbeit“ leistet.
Deutsche Stipendiaten müssen eine „eindeutig-bejahende Haltung zum nationalsozialistischen Staat“ dokumentieren. Sie sollen nicht mehr nur Deutschland repräsentieren, sondern als Botschafter „der nationalsozialistischen Idee“ auftreten. Bei der Bewerbung um ein Stipendium müssen Deutsche ab 1933, ausländische Studierende ab 1935 ihre nicht-jüdische Abstammung nachweisen. In Ländern mit faschistischen Bewegungen werden diese in die Auswahl einbezogen. Die „kameradschaftliche Betreuung“ an den deutschen Hochschulen übernehmen linientreue NS-Studentenfunktionäre.

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Die Ideologisierung stößt freilich auf ein geteiltes Echo. Während zeitgenössische Berichte zeigen, dass viele deutsche Stipendiaten die politische Rolle, die ihnen zugedacht war, bereitwillig annehmen, stößt ihre propagandistische Arbeit in den aufnehmenden Ländern auf Ablehnung.
Auch ausländische Studierende reagieren eher zurückhaltend auf den Versuch der politischen Indoktrination, werden sogar, wie es ein SD-Bericht konstatiert „schnell aus Anhängern Deutschlands zu dessen Gegnern“. Andere geraten wegen kleinster Vergehen in Haft, mitunter reicht schon ein allzu vertrauter Umgang mit deutschen Kommilitoninnen. All dies trägt zur allmählichen politischen Desillusionierung unter den ausländischen Stipendiaten bei.
Auch in den Kriegsjahren ist der DAAD weiter aktiv. Während der bilaterale Austausch weitgehend zum Erliegen kommt, wird insbesondere die einseitige Vergabe von Stipendien an Ausländer massiv ausgebaut. Offiziell lautet das Ziel, die „geistige Wehr“ des „neuen Europa“ zu formen. Tatsächlich dient der Austausch der Untermauerung der deutschen Hegemonie.
Stipendien werden gezielt an Kollaborateure aus den besetzten Gebieten vergeben. Akademische Gesichtspunkte treten immer stärker hinter militärstrategische und rassepolitische Erwägungen zurück. Im Baltikum sollen Stipendien sogar der „Rückdeutschung“ vermeintlich „rassisch geeigneter“ Personen dienen.
1943 übernimmt der SS-Obersturmbannführer Werner Braune – zuvor persönlich verantwortlich für Massenerschießungen von Juden in der Ukraine – die Leitung des DAAD und sorgt dafür, dass noch bis ins Jahr 1945 hinein Stipendien ausgezahlt und ausländische Studierende rekrutiert werden, um „geeignete fremdvölkische Mitkämpfer“ für den „Endsieg“ zu sichern.
1950-1955: Neuanfang und Westintegration
Erst der totale Zusammenbruch des NS-Regimes im Frühjahr 1945 bedeutet auch das vorläufige Ende des DAAD. Doch dieses ist nicht von langer Dauer. Die Nachkriegssituation gleicht in Teilen der von 1925. Wieder liegt Deutschland am Boden und ist politisch isoliert, wenn auch wesentlich umfassender als ein Vierteljahrhundert zuvor. Und auch jetzt richtet sich der Blick auf die (Wieder-)Anknüpfung internationaler akademischer Kontakte, diesmal jedoch mit fundamental anderer Stoßrichtung.
Diesmal geht es nicht um den „Kampf geistiger Welten“ und die „Wiedererlangung deutscher Weltgeltung“. Ziel ist vielmehr, nach Jahren der Isolation und der Verbrechen wieder in den internationalen Dialog einzutreten und Vertrauen zurückzugewinnen, Demokratisierung und „Reeducation“ sollen gefördert werden. Dazu soll eine politisch unabhängige Mittlerorganisation der Hochschulen entstehen.
Erstaunlich schnell kommt es so bereits 1950 zur Wiedergründung des DAAD in Bonn. Die Neugründung wird maßgeblich von den britischen Besatzungsbehörden unterstützt und vom damaligen Rektor der Universität Bonn, Theodor Klauser, vorangetrieben, der auch erster Vorsitzender wird.

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Die praktische Arbeit beginnt mit bescheidenen Mitteln. Ein erster Schwerpunkt liegt auf dem Praktikantenaustausch. Der eigentliche studienbezogene Austausch läuft aufgrund knapper Kassen nur zögerlich an: Im Jahr 1952 können erst acht Jahresstipendien für deutsche Studierende und 25 für ausländische vergeben werden.
Dennoch gelingt es dem neu gegründeten DAAD schnell, wichtige symbolische und praktische Brücken zu bauen: Bereits 1952, und damit drei Jahre vor der Einrichtung einer offiziellen deutschen Botschaft, wird die Außenstelle in London wiedereröffnet – ein wichtiges Signal und natürlich ganz im Sinne der von Bundeskanzler Adenauer verfolgten Politik der Westintegration.

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Im selben Jahr wird durch die Aufnahme in das amerikanische Fulbright-Programm auch der wichtige transatlantische Austausch wieder ermöglicht. Erste Lektorate, weitere neue Programme – es ist ein behutsamer, aber stetiger Aufstieg in den nächsten Jahren bis hin zu einer der weltweit bedeutendsten Förderorganisationen.
Der „neue“ DAAD schreibt nicht nur eine Geschichte weiter, er korrigiert sie und wird so zu einem Symbol für Offenheit, Dialog und eine neue, demokratische Kulturpolitik Deutschlands. Früher als andere Organisationen setzt er sich mit seiner problematischen Vorgeschichte auseinander.
Bereits 1976 erscheint eine erste wissenschaftliche Studie zu seiner Geschichte vor 1945. Die Organisation lässt damit die Schatten ihrer Vergangenheit nicht unkommentiert hinter sich, sondern begreift sie als Mahnung: Akademischer Austausch, das zeigt ein Blick auf die ersten 30 Jahre des DAAD, ist an sich politisch multivalent.
Er kann, abhängig vom politischen Kontext, zum Besten, aber auch zum Schlimmsten eingesetzt werden – auch wenn die politischen Intentionen mitunter auf individueller Ebene ihre Grenzen in der nicht steuerbaren Eigendynamik akademischer Auslandsaufenthalte finden.
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