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Der Exzellenzcluster „NeuroCure“ verbindet Grundlagenforschung und klinische Praxis.

© Florian Gärtner

Gehirnforschung im BUA-Exzellenzcluster „NeuroCure“: Das komplexeste Organ des Menschen

Im Exzellenzcluster befassen sich Forschende aus Medizin, Biologie und Psychologie mit der Frage, wie das menschliche Gehirn funktioniert.

Von Patricia Pätzold

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Keine Maschine kann die Welt so dynamisch interpretieren wie das Gehirn. Die etwa 1,3 Kilo schwere Masse im Kopf mit der Konsistenz von Gelée ist das leistungsstärkste und zugleich komplexeste Organ des Menschen. Es steuert Bewegungen und Emotionen, Hunger, Stoffwechsel und Herzschlag, es organisiert alle Wahrnehmungen, die uns durch unsere fünf Sinne erreichen, es trennt Wichtiges von Unwichtigem: ein biologischer Supercomputer. Doch wenn er erkrankt, können Demenz, Parkinson, Multiple Sklerose, Depressionen oder Psychosen die Folge sein.

Noch ist die Funktionsweise des Gehirns nur in Bruchteilen verstanden. Doch ein vertieftes Verständnis des gesunden und auch des kranken Gehirns ist entscheidend, um gezielte Therapien zu entwickeln und neurologische sowie psychiatrische Erkrankungen effektiver zu behandeln. Der Exzellenzcluster „NeuroCure“ verbindet Grundlagenforschung und klinische Praxis, um wissenschaftliche Erkenntnisse schneller in Therapien umzusetzen.

Beteiligt sind aktuell, neben der Charité – Universitätsmedizin Berlin, der gemeinsamen medizinischen Fakultät von FU und HU Berlin, vier weitere außeruniversitäre Forschungsinstitute. Seit 2007 wurden viele neue interdisziplinäre Forschungsgruppen aufgebaut. Mit modernster Infrastruktur ist der Cluster Wegbereiter der Neurowissenschaft und stärkt den Wissenschaftsstandort Berlin.

Berlin als idealer Standort

„Von der Grundlagenforschung bis zu einer therapeutischen Anwendung ist es ein langer und teurer Weg“, sagt Dietmar Schmitz, Direktor des Neurowissenschaftlichen Forschungszentrums an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und „NeuroCure“-Sprecher. „Und um ein so komplexes System wie das Gehirn zu erforschen, ist Kooperation notwendig.“

Dafür sei die Hauptstadt ein idealer Standort. „Wir haben hier sehr viele tolle Kolleginnen und Kollegen, die mit vielfältigen Methoden wie molekularen Analysen oder bildgebenden Verfahren sowohl die übergreifenden Mechanismen von neurologischen Erkrankungen entschlüsseln als auch neue Behandlungsansätze entwickeln. Das ist eine sehr gute Voraussetzung und keineswegs selbstverständlich.“

Aber man müsse über die verschiedenen Fachdisziplinen und über Kontinente hinweg die gleiche Sprache sprechen. Denn auch das internationale Netzwerk des Clusters ist ausgedehnt. Im Beirat sind Professoren und Institutsleiterinnen aus den USA, aus Kanada, Großbritannien, Frankreich und Israel vertreten.

Hirnaktivität beeinflussen

In der kommenden Förderphase will „NeuroCure“ auf bewährte Forschungsansätze aufbauen und neue Akzente setzen, insbesondere auf Therapieansätze mit vielversprechenden Perspektiven. Erst kürzlich erzielte die Forschung einen bedeutenden Durchbruch bei der Parkinson-Behandlung: Die neue sogenannte adaptive tiefe Hirnstimulation (aDBS, adaptive deep brain stimulation) kann die Hirnaktivität dynamisch beeinflussen, um Symptome wie Zittern oder Bewegungsverlangsamung zu lindern.

Die tiefe Hirnstimulation ist seit Jahren etabliert. Implantierte Hirnschrittmacher-Elektroden senden dabei gezielte elektrische Impulse in betroffene Hirnregionen. Diese konstanten Impulse können jedoch Nebenwirkungen hervorrufen und sind nicht auf die individuellen Schwankungen der Beweglichkeit im Tagesverlauf abgestimmt.

„Die adaptive Stimulation geht nun einen Schritt weiter: aDBS reagiert in Echtzeit auf die Hirnaktivität der Patienten und Patientinnen und passt die Stimulation individuell an“, erklärt Andrea Kühn, stellvertretende Sprecherin im Cluster und Direktorin der Sektion Bewegungsstörungen und Neuromodulation an der Charité. Mit speziellen Algorithmen werde die elektrische Aktivität des Gehirns dabei ständig überwacht, die Impulse würden automatisch angepasst. Ein wichtiger Schritt nach vorn.

Hoffnung auf neue Medikamente

Einen weiteren Ritterschlag erhielt die „NeuroCure“-Forschung, als am 19. März dieses Jahres gleich zwei Gottfried Wilhelm Leibniz-Preise, die höchstdotierte Auszeichnung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, an „NeuroCure“-Forschende übergeben wurden: Volker Haucke, Professor für Biochemie und Zellbiologie vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) erforscht, wie Stoffe aus den Zellen heraus transportiert werden, um Signale präzise an die Synapsen, die Nervenverbindungen im Gehirn, zu übertragen und so die Degeneration von Nervenzellen zu vermeiden.

Die Biochemikerin Ana Pombo, Professorin am Max Delbrück Center (MDC), untersucht, wie Umwelteinflüsse auf das Zusammenspiel der Gene des Erbgutfadens in der Zelle wirken und damit Autismus oder Epilepsie auslösen könnten. Die fachgebietsübergreifenden Arbeiten der Berliner Forschenden tragen so zum besseren Verständnis zahlreicher Erkrankungen bei und machen Hoffnung auf neue wirkungsvolle Medikamente und Therapien.

Demenz kann aber auch, ebenso wie Psychosen oder Wahnvorstellungen, Folge einer Autoimmunerkrankung sein. Bei diesen Erkrankungen greift das Immunsystem fälschlicherweise körpereigenes Gewebe an. Im Gehirn können fehlgeleitete Antikörper oder Abwehrzellen Entzündungen auslösen und die Kommunikation zwischen Nervenzellen stören.

Hier liegt ein weiterer Schwerpunkt der künftigen „NeuroCure“-Forschung. „Wir setzen dabei auf Gen- und Zelltherapie. Körpereigene Zellen werden genetisch verändert oder gezielt programmiert, um krankmachende Immunreaktionen zu stoppen und schädliche Antikörper zu eliminieren“, erläutert Dietmar Schmitz die innovativen Ansätze. Um sie voranzutreiben und die Forschungsergebnisse schneller in die klinische Praxis zu überführen, kooperiert die Charité mit dem Berlin Institute of Health (BIH) und Bayer. Gemeinsam planen sie ein Translationszentrum für Gen- und Zelltherapien in Berlin-Mitte.

Neues Forschungszentrum

Künftig rücken Medizin und Biologie auch räumlich enger zusammen und bauen gleichzeitig eine Brücke in die Gesellschaft. Im März war Baubeginn für das neue Forschungszentrum für Optobiologie auf dem Campus-Nord der HU Berlin. Gemeinsam wollen die Berliner Forschungspartner hier herausfinden, wie Licht auf Lebewesen wirkt und wie man das für medizinische Zwecke nutzen kann. Rund 69 Millionen Euro werdender Bau und die Einrichtung mit großtechnischen Geräten kosten, getragen je zur Hälfte von Bund und Land.

Das Gebäude, das in etwa vier Jahren fertiggestellt sein soll, entsteht nahe dem modernen Forschungsgebäude Charité Cross-Over (CCO), wo der Exzellenzcluster „NeuroCure“ bereits seit einigen Jahren Forschung und Lehre betreibt, um das Gehirn zu verstehen. So können die beteiligten Einrichtungen und Kooperationspartner ihre Forschungsergebnisse in die klinische Anwendung bringen – zum Nutzen der Kranken in aller Welt.

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