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Nach dem Abschluss gibt es viele mögliche Wege.

© Getty Images/Izabela Habur

Was tun nach dem Abitur?: „Diese Generation will einen geradlinigen Lebenslauf“

Bunt und unübersichtlich: Viele Schulabgänger haben Schwierigkeiten, sich für ein Studium oder eine Ausbildung zu entscheiden. Psychologe Fredi Lang erklärt, worauf es ankommt.

Stand:

Herr Lang, jüngsten Studien zufolge haben gut 45 Prozent aller Abiturientinnen und Abiturienten keine Idee, was sie nach dem Abschluss machen sollen. Eine erstaunlich hohe Zahl. Ist das ein neues Phänomen?
Diese Entwicklung hat sich in der Tat in den letzten Jahren verstärkt. Das hat auch damit zu tun, dass die Berufsfelder nicht mehr so stabil sind, vieles wandelt sich rasch. Auch Ankündigungen, dass viele Berufe aussterben werden, tragen dazu bei, dass junge Menschen nicht so entscheidungsfreudig sind.

Zurzeit werden rund 22.000 Studiengänge in Deutschland angeboten. Wie soll man da den für sich richtigen herausfiltern?
Die Namen der Studiengänge sind so eine Sache. Hochschulen stehen in Konkurrenz zueinander und formulieren die Bezeichnungen auf ihre Weise. Dadurch wird die Zuordnung zu den klassischen Berufsbildern zunehmend schwieriger, und alles wirkt bunt und unübersichtlich. Diese Vielfalt in Benennungen sorgt für Verwirrung.

In den Studien beklagen die jungen Menschen auch mangelnde Unterstützung. Sie fühlen sich offenbar alleingelassen bei der Suche nach der passenden Ausbildung oder dem Studiengang. Was kann helfen?
Buntheit und Vielfalt sorgen dafür, dass die jungen Menschen Bestätigungen suchen, um mehr Sicherheit zu gewinnen. In der Schweiz wurden schon vor Jahren im Schnitt umgerechnet rund 1000 Euro für Studienberatungen ausgegeben, also für ein privates Coaching bei der Studienwahl.

Das erzeugt wieder Druck. Warum bricht Panik aus, wenn man etwas mehr Zeit zur Entscheidung braucht? Eine einmal getroffene Wahl kann man doch wieder ändern, wenn man merkt, sie war falsch?
Nach meiner Wahrnehmung hat die aktuelle Generation einen starken Ehrgeiz, Geradlinigkeit im Lebenslauf zu haben. Man will die Anforderungen gut erfüllen und besser sein als andere, um möglichst schnell Karriere zu machen. Da kann man es sich nicht leisten, mal eben zwei, drei Studiengänge abzubrechen, um dann sicher zu sein, dass es dann der richtige ist. Dieser Ehrgeiz wäre vielleicht gar nicht nötig, weil der Arbeitsmarkt heute aufnahmebereiter ist als früher. Aber den Leistungsdruck hat man aus der Sozialisation mitgenommen. Das fängt schon in der Grundschule an.

1000
Euro werden in der Schweiz durchschnittlich für private Studienberatungen ausgegeben.

Mischen sich auch Überlegungen an das spätere Gehalt mit hinein?
Klar, der Status, der mit einem Beruf zu erreichen ist, spielt im Hinblick auf die Auswahl zunehmend eine Rolle. Aber das ist es nicht allein. Es geht um Sinnerfüllung. Man will etwas Gutes, Schönes machen.

Vielleicht hilft ein Aufschub bei der Entscheidung. Ein Jahr „Work and Travel“ zum Beispiel könnte Klarheit bringen?
Ob eine Auslandsreise hilft, die eigenen Berufsinteressen und Fähigkeiten herauszufinden, da bin ich skeptisch. Tätigkeiten im Ausland erhöhen nicht unbedingt die Berufseinstiegschancen: Ein Jahr im Ausland wirkt im Lebenslauf wie eine lange Orientierungsphase. Eigene Interessen, Kompetenzen und Fertigkeiten erfährt man eher im Rahmen von Praktika.

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Würden Sie empfehlen, einen Karrierecoach zu buchen?
Wenn Sie ein Jahr arbeiten, verdienen Sie 30, 40.000 Euro. Von daher ist eine Investition, die einem hilft, höhere Kosten zu vermeiden, Chancen zu erhalten oder Frustrationen zu vermeiden, gut angelegtes Geld.

Könnten die jungen Leute nicht einfach ihre Eltern um Rat fragen?
Mit den Eltern allein kann man das nicht gut klären. Die eigenen Interessen sollten dabei leitend sein und weniger traditionelle Vorstellungen über Berufswege oder Wünsche. Der junge Mensch muss ja in seinem Berufsleben zurechtkommen und einigermaßen glücklich werden bei dem, was er tut. Er sollte nicht unter- oder überfordert sein, damit er nicht krank wird. Der Beruf muss auch Spaß machen.

Viele suchen im Internet nach Antworten. Kann googeln helfen?
Das führt eher zu größerer Verunsicherung. Deshalb braucht man eine professionelle Beratung. Ein Berufsinteressenstest passt für die aktuellen Berufe, aber nicht für die künftigen Berufe. Man kann nicht davon ausgehen, dass es die jetzigen Berufe in Zukunft noch gibt. Wenn man jetzt denkt, man wählt die sichere Bank und strebt einen MINT-Beruf an, kann das auch falsch sein. Denn: Wenn alle sich auf IT stürzen und ich bin in Mathematik nicht gut, hilft mir diese Entscheidung nichts.

Was raten Sie dann?
Die Jobaussichten sind heutzutage gut. Entscheidend ist es, einen Weg zu finden, der die eigenen Kompetenzen und Fertigkeiten in den Blick nimmt. Man muss die Interessen mitbedenken, aber auch die Fähigkeiten müssen in gewissen Umfang da sein. Um das auszuloten, sollte man sich ausreichend Zeit lassen. Man kann zum Beispiel mit Leuten reden, die in dem Feld arbeiten. So erfährt man im Idealfall, ob der Beruf passen könnte.

Und wenn man damit nicht weiterkommt?
Dann sollte man sich nicht scheuen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dann muss man aber schauen, dass die Leute, die unterstützen sollen, ihr Metier auch beherrschen. Wenn es um Potenziale, Kompetenzen, Interessen und Fähigkeiten geht, ist eine gute Kompetenz in der Eignungsbeurteilung und psychologischen Diagnostik maßgeblich, bei einfacheren Fragestellungen ist ein guter Überblick über den Arbeitsmarkt und Berufe wichtig. Freie Persönlichkeitstests aus dem Internet sind nicht verlässlich und reichen nicht aus.    

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