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Flüchtlinge bei der Essensausgabe.

© WFP Courtesy Photos

Exiljournalist zum Weltflüchtlingstag: Die Verzweiflung in Afrika wächst jeden Tag

Vernachlässigte Krisen: Uganda hat 1,9 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Seit den Finanzkürzungen müssen viele mit 9 Cent pro Tag für Nahrung auskommen.

Von Johnson Kanamugire

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Uganda, eins der weltweit größten Aufnahmeländer für Flüchtlinge, steht derzeit im Zentrum zweier großer Vertreibungskrisen, die durch den Krieg im Sudan und in der Demokratischen Republik Kongo ausgelöst wurden. Das ostafrikanische Land hat 1,9 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Doch Flüchtlingsfamilien gehen hungrig zu Bett und können kaum über die Runden kommen.

Mit nur 0,11 US-Dollar (0,09 Euro) für Lebensmittel pro Tag müssen Flüchtlinge, die als „bedürftig“ eingestuft werden, mit einer Mahlzeit am Tag auskommen. Für die Bedürftigsten können die Lebensmittelrationen bis zu sechs US-Dollar (5,2 Euro) pro Monat betragen – bestehend aus Getreide, Öl und Salz –, während diejenigen, die als „mäßig bedürftig“ eingestuft werden, nur drei US-Dollar (2,6 Euro) pro Monat erhalten. Diese stark gekürzten Lebensmittelrationen reichen kaum für einen halben Monat.

Noch besorgniserregender ist jedoch die Notlage von einer Million Flüchtlingen, deren Unterstützung seit den Kürzungen der USAID-Gelder durch die Regierung Trump vollständig ausgesetzt wurde. Hinzu kommen Tausende, die täglich vor schwerer Gewalt und Missbrauch im vom Krieg zerrütteten Sudan und in der Demokratischen Republik Kongo fliehen und deren Lebensmittelrationen drastisch auf bis zu 22 Prozent gekürzt wurden.

Die Flüchtlinge sind zu herzzerreißenden Entscheidungen gezwungen.

Marcus Prior, Landesdirektor des Welternährungsprogramms (WFP) in Uganda

Das Leben von Tausenden Flüchtlingen hängt am seidenen Faden, da humanitäre Organisationen nicht nur die Rationen gekürzt, sondern auch Gesundheits-, Bildungs- und andere wichtige Programme zurückgefahren haben. Mit jedem Tag, der verstreicht, wächst die Verzweiflung der Flüchtlingsfamilien, und die humanitären Akteure vor Ort können die Situation nicht retten.

„Weniger Unterstützung zwingt Flüchtlinge zu herzzerreißenden Entscheidungen: Sollen sie alles verkaufen, was sie haben, oder ihre Kinder aus der Schule nehmen? Sollen sie in Städte umziehen oder in ihre Heimat zurückkehren, trotz der damit verbundenen Risiken?“, sagt Marcus Prior, Landesdirektor des Welternährungsprogramms (WFP) in Uganda, gegenüber dem Tagesspiegel.

Die Organisation hat einen Alarmruf gestartet, um die erforderlichen 50 Millionen Dollar aufzubringen, die benötigt werden, um weitere Kürzungen der Lebensmittelrationen zu verhindern und die Flüchtlinge durch das Jahr 2025 hindurch zu versorgen.

Flüchtlinge aus dem Sudan in Uganda

© WFP Courtesy Photos

Wenn die Finanzierung nicht gesichert werden kann, werden die Familien noch tiefer in die Not geraten, und laut Prior werden weitreichende Auswirkungen in den Aufnahmezentren für Neuankömmlinge zu spüren sein. „Dort ist die Unterernährungsrate zwischen März und Mai 2025 auf 21,5 Prozent gestiegen und hat damit die Notfallschwelle der Weltgesundheitsorganisation von 15 Prozent überschritten“, sagt er.

Die Notlage der Flüchtlinge in Uganda unterscheidet sich nicht von der Situation Millionen anderer Menschen, die weltweit von Vertreibung betroffen sind, vor dem Hintergrund einer akuten Finanzierungskrise, die mit der sogenannten „Gebermüdigkeit“ in Verbindung gebracht wird.

Schon seit Covid müssen Flüchtlinge mit Kürzungen der Lebensmittelrationen kämpfen. Hinzu kommt die geopolitische Lage, in der wohlhabende Länder ihre Aufmerksamkeit auf innenpolitische Themen und geopolitische Probleme wie den russischen Einmarsch in der Ukraine und später den Krieg im Nahen Osten verlagert haben.

Die Krise hat sich nach dem jüngsten Einfrieren der US-Finanzhilfen weltweit noch verschärft. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hat das humanitäre System als „am Rande des Zusammenbruchs stehend“ beschrieben und musste wegen der Kürzungen der Finanzmittel Programme aussetzen.

123
Millionen Menschen leben weltweit als Vertriebene

In ihrem Bericht „Global Trends 2024“ wies sie jedoch darauf hin, dass Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen in einer schwierigen Lage sind, da sie einen unverhältnismäßig großen Anteil der weltweit 123,2 Millionen Menschen beherbergen, die aufgrund von Verfolgung, Konflikten, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen gewaltsam vertrieben wurden.

Die Kürzung der Finanzmittel bedeutet, dass Länder mit sehr großen Flüchtlingspopulationen wie Uganda, Tschad, die Demokratische Republik Kongo, Äthiopien, Sudan, Bangladesch und Pakistan kaum noch oder gar keine Ressourcen mehr haben, um die Situation zu bewältigen.

Das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) gab bekannt, dass von den insgesamt 46,08 Milliarden US-Dollar, die zur Unterstützung von 188 Millionen Menschen in Not in 72 Ländern benötigt werden, bis zum 30. April 2025 nur neun Prozent (4,19 Milliarden US-Dollar) bereitgestellt worden waren.

Migrationsdruck wächst

In der westafrikanischen Sahelzone, die sich über Mali, Niger, Burkina Faso und Nachbarländer erstreckt, wächst aufgrund der Kürzungen der Finanzmittel die Befürchtung, dass betroffene Familien sich auf gefährliche Weiterreisen über das Meer nach Europa begeben könnten. In diesen Ländern sind Menschenschmuggler aktiv.

Frontex, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, die die EU-Mitgliedstaaten bei der Sicherung der EU-Außengrenzen unterstützt, machte bereits im vergangenen Jahr darauf aufmerksam, dass in der Region die Fluchtbewegungen nach Europa auf dem See- und Landweg zunehmen.

Sie wies auch darauf hin, dass die Zahl der Malier, die sich über irreguläre Routen bewegten, im Vergleich zum Vorjahr um 57 Prozent auf 19.200 gestiegen sei, wobei ein deutlicher Anstieg entlang der nordwestafrikanischen Seeroute zu beobachten sei. Im Mai dieses Jahres haben mindestens 11.065 Menschen diese Route genommen.

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Angesichts der Zahl von 3,8 Millionen Menschen, die in der Sahelzone gewaltsam vertrieben wurden, und deren weiterem Anstieg, gibt es Befürchtungen, dass die sinkenden Finanzmittel für Programme zur Unterstützung der Flüchtlinge zu einer weiteren Zunahme der Migration führen könnten.

Einzelne Flüchtlinge und humanitäre Helfer vor Ort berichten von Verzweiflung, langen Fußmärschen auf der Suche nach Arbeit, Kindern, die kurz davorstehen, die Schule abzubrechen, sowie Kliniken in Flüchtlingszentren ohne Medikamente und Personal.

Übers Mittelmeer gehen oder zum Goldabbau

„Als wir im Januar die Nachricht erhielten, dass die Schulfinanzierung eingestellt wird, erfuhren wir von etwa zehn geflüchteten Schülern, die den Tschad verlassen wollten, um über die Sahara nach Libyen zu gelangen, dort das Mittelmeer zu überqueren und nach Europa zu gelangen. Andere teilten der Schule mit, dass sie in den Goldabbau gehen wollten“, berichtete Khamis Alfadil, Koordinator für Gemeinschaftsbildung mit Sitz im Tschad.

Die Sorge um die Ausbeutung von Flüchtlingen durch bewaffnete und terroristische Gruppen ist auch in der Sahelzone weit verbreitet. Hier stehen laut dem Global Terrorism Index 2025 mehr als die Hälfte aller Todesfälle im Zusammenhang mit Terrorismus.

Da diese Notsituationen kaum politische oder mediale Aufmerksamkeit erhalten, werden sie bei der Vergabe humanitärer Hilfsgelder oft vernachlässigt. Denn die Vergabe basiert zunehmend auf geopolitischen Interessen oder orientiert sich an dem Ausmaß der medialen Aufmerksamkeit für bestimmte Krisen.

Auch die Bemühungen, die Ursachen dieser Krisen zu bekämpfen, sind ins Stocken geraten oder wurden einfach aufgegeben, wie der Norwegische Flüchtlingsrat (NRC) in einem am 5. Juni veröffentlichten Bericht über vernachlässigte Krisensituationen feststellte. Dem Bericht zufolge sind acht der zehn am meisten vernachlässigten Vertreibungskrisen in Afrika.

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