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Zu Besuch in der Berliner Tiertafel: Die Ersten warten schon ab fünf Uhr
In schwierigen Lebenssituationen sind Haustiere ein Seelentröster. Wenn dann noch das Geld knapp ist, führt der Weg oft zur Tiertafel nach Hohenschönhausen.
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Für viele Menschen ist ihr Haustier ein Anker im Leben. Doch die Haltung ist teuer. Die Berliner Tiertafel e.V. hilft Bedürftigen mit Futterspenden. Wie notwendig das ist, zeigt der Andrang an der Ausgabestelle. Dass sie lange anstehen müssen, nehmen die Menschen geduldig in Kauf. Ihr Tier ist es ihnen allemal wert.
Der Weg von Moabit bis nach Hohenschönhausen mit Bahn und Tram ist weit. Viermal muss Sabine umsteigen, bis sie ihr Ziel in der Wustrower Straße endlich erreicht hat: die Berliner Tiertafel. Einen Sonnabend im Monat ist die Ausgabestelle geöffnet, von 11 bis 15 Uhr. Ohne Hilfe dieses Vereins könnte die 63-Jährige ihren Dackel Peppi nicht durchbringen. Als Welpen hat sie ihn bekommen, mittlerweile ist er 14 Jahre alt. Weil die Fahrerei für den Hund zu stressig sei, habe sie ihn heute nicht mitgenommen. Er sei ihr Ein und Alles, sagt sie und zeigt im Handy Fotos von Peppi.
Lange vor 11 Uhr haben sich schon zahlreiche Menschen vor dem Flachbau inmitten eines Wohn- und Gewerbegebiets versammelt. Manche sitzen auf Campingstühlen oder lagern auf bunten Decken. Die meisten warten mit Einkaufstrolleys vor der Tür. Einige haben ihre Tiere mitgebracht. „Die Ersten stellen sich schon morgens um 5 Uhr an“, berichtet Gaby, die hier neben elf anderen Helfern und Helferinnen ehrenamtlich tätig ist.

© Berliner Tiertafel e. V.
„Seit Kurzem geben wir Wartenummern aus, damit alles geregelter ablaufen kann“, sagt die Zehlendorferin Karin. Sie hilft seit zehn Jahren, gleich nach Beginn ihrer Pensionierung, regelmäßig bei der Tiertafel mit. Alles ist bestens organisiert.
Wer hier Futter holen will, muss seine Bedürftigkeit nachweisen. Bei der ersten Registrierung müssen Bescheide über Grundsicherung, Bürgergeld oder niedrige Rente vorgelegt werden. Auch muss der Schützling bereits länger im Haushalt leben. Für neu angeschaffte Tiere gibt es keine Unterstützung.

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Sollten Hunde oder Katzen Schonkost oder Spezialfutter benötigen, muss ein entsprechender Nachweis des Tierarztes vorgelegt werden. All diese Angaben werden in Computer eingegeben, sodass jeder Kunde bei der nächsten Abholung gleich die richtige Futterspende erhält.
Gegründet wurde die Berliner Tiertafel im August 2014. Seit 2022 gibt es zusätzliche Ausgabetermine für Menschen, die mit ihren Tieren aus der Ukraine nach Berlin geflohen sind. Der Andrang an einem einzigen Termin im Monat für alle war einfach zu groß, heißt es.
Auch Iris aus Hohenschönhausen ist Stammkundin. Die 62-Jährige muss nicht nur Millie versorgen, einen schwarz-weißen Mischlingshund, sondern auch einige Vögel. Krankheitsbedingt kann sie nicht arbeiten. Was würde sie ohne die Tiertafel machen? „Wenn es die nicht mehr gäbe, würde ich die Tiere behalten und bei den Ausgaben für mich selbst sparen“, erklärt Iris. Und wie? „Keinen Kaffee mehr kaufen zum Beispiel, einfach nur Wasser trinken“, sagt sie.

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„Wenn Millie nicht wäre, würden meine Depressionen schlimmer“, ist sich Iris sicher. „Wegen des Hundes muss ich dreimal am Tag rausgehen, das führt dazu, dass ich mich nicht vergrabe.“ Ohne Millie hätte sie die Lust am Leben längst verloren.
Auf großen Tafeln ist abzulesen, wie viel Futter pro Tier ausgegeben wird. Ein Hund der Größe S etwa bekommt vier Kilo Trockenfutter und 4,8 Kilo Nassfutter. So viel kann Sabine für ihren Peppi einpacken. Einem L-Hund, etwa ein Labrador, stehen zehn Kilo Trocken- und neun Kilo Nassfutter zu. Da kommt einiges zusammen. „Mehr als 3,5 Tonnen Futter werden monatlich benötigt, um die rund 500 Näpfe zu füllen“, heißt es auf der Website des Vereins. Ausgegeben werden auch Katzenstreu, Vogel- oder Hamsterfutter. Selbst Hundeleinen und sogar Mäntelchen für den Winter sind im Fundus.

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Aber nicht nur die Aussicht auf Futterdosen für ihre Lieblinge führt Iris und viele andere zur Ausgabestelle. Es sind auch die sozialen Kontakte. Alle duzen sich, viele kennen sich seit Jahren. Der Umgang zwischen Helfern und „Kunden“ ist freundlich, die Atmosphäre familiär. „Man wird hier als Mensch behandelt, nicht als Bittsteller“, sagt Iris.
Vieles zaubert hier ein Lächeln ins Gesicht der Bedürftigen. So ist etwa ein Glücksrad aufgestellt. Jeder Besucher darf ein Mal daran drehen und hat so die Chance, Leckerlis oder Spielzeug zu gewinnen. Manchmal bleibt der Zeiger an dem Logo der Tiertafel stehen. Bingo! Dann gibt es Leckerlis und ein Spielzeug.
Rettung in letzter Minute
„Die Berliner Tiertafel ist gemeinnützig tätig und finanziert sich aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen“, sagt Linda Hüttmann, Gründerin und Vorsitzende des Vereins. Er erhält auch regelmäßige und anlassbezogene Zuwendungen von Stiftungen sowie aus dem Budget der Tierschutzbeauftragten des Landes Berlin.

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Im vergangenen Jahr geriet die Berliner Tiertafel durch ausbleibende Fördermittel in eine existenzbedrohende Lage. „Eine Testamentsspende hat uns in letzter Minute vor der Insolvenz gerettet“, sagt Hüttmann. Man hoffe, dass es im kommenden Haushalt keine Nullrunde für die Tiertafel geben wird. „Nur wenn die Kosten für die Miete und Personal gesichert sind, können wir unser Angebot aufrechterhalten.“
Berliner, so sagt man, haben ein Herz für Tiere. Ein Besuch bei der Ausgabestelle in Hohenschönhausen zeigt, wie groß es ist. Peppi, Millie und wie sie alle heißen sind dringend darauf angewiesen.
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