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Khaled Al Aboud, Exiljournalist aus Syrien.

© ALI GHANDTSCHI

Exiljournalist aus Syrien: „Meine Heimat ist meine Erinnerung“

Ein Coffee-to-go-Becher, den er jeden Morgen neu auffüllt: Mit diesem Heimatgefühl läuft Khaled Al Aboud durch die Straßen Berlins.

Stand:

Die Frage nach der Heimat ist das tägliche Brot eines Geflüchteten. Die Frage stellt sich auch dann, wenn sie in den täglichen Gesprächen nicht gestellt wird.

Oft beziehen sich die Antworten auf Geografie oder auf die Papiere, die man besitzt – den Pass etwa.

Für mich bedeutet Heimat jedoch etwas anderes. Ich bin jemand, der sein Land unfreiwillig verlassen hat und das neue Land nicht gewählt hat. Ich hatte nur eine Chance: entweder sie zu nutzen oder im eigenen Land unter den Gewehren und Bomben der Truppen des alten Regimes zu bleiben.

Meine Heimat als Geflüchteter, Verbannter, Vertriebener oder „Kameltreiber“, wie manche mich liebevoll nennen, ist meine Erinnerung. Wie könnte ich von mir sagen, ich sei Deutscher, wenn mein Name und meine Identität je nach Kontext neu definiert werden?

Der Politiker benutzt mich als Trumpf in Wahlkampagnen oder hängt ihren eigenen Misserfolg an mir auf. Der Forscher sieht in mir ein Studienobjekt, der Statistiker eine Zahl, und für meine Kollegen in den Medien bin ich ein dankbares Material, wenn sie über „Flüchtlingswellen“ schreiben.

Selbst wenn ich die deutsche Staatsbürgerschaft trage, bleibt Migration und Flucht Teil meines Lebens – ich bleibe „ein Deutscher mit Migrationshintergrund“.

Deshalb ist meine Erinnerung meine Heimat. Ich höre morgens noch oft die Lieder von Fairuz und abends Umm Kulthum oder Sabah Fakhri. Ich bin ständig auf der Suche nach dem Geschmack eines Falafel-Sandwichs, wie es Abu Hisham auf der Hauptstraße unseres Dorfes verkaufte – sei es in Berliner Falafelbuden oder in jeder deutschen Stadt, die ich besuche.

Doch dem Essen fehlt der tief verwurzelte Geschmack der Gerichte meiner Mutter, mit denen ich jedes andere Essen vergleiche – und wogegen jedes andere Essen verliert.

Meine Heimat ist meine Erinnerung, die sich mal in Trauer auf meinem Gesicht zeigt, mal in einem überraschenden Lächeln. Papiere, Kategorien, Bezeichnungen und Geografie bleiben außerhalb dieser Bedeutung.

Meine Heimat ist wie ein „Coffee to go“-Becher, den ich nicht wegwerfe. Jeden Morgen fülle ich ihn neu und laufe damit durch die Straßen Berlins.

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