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Maryam Mardani, Exiljournalistin aus dem Iran.

© ALI GHANDTSCHI

Iranische Exiljournalistin Maryam Mardani: „Ich verließ mein Land, um meine Heimat zu finden“

Deutschland und den Iran im Herzen: Unsere Autorin erklärt, warum sie sich heute als „Heimatgefährtin“ der hier Geborenen fühlt.

Von Maryam Mardani

Stand:

Ich habe mein Heimatland mit einem Studentenvisum verlassen, um mein Studium fortzusetzen. Doch diese Entscheidung war keine freie Wahl, sondern ein Ausweg – eine Flucht aus dem Iran. Ich erinnere mich genau an diesen Moment vor zwölf Jahren: Ich wollte einfach nur an einen Ort, an dem ich in Ruhe leben kann, wo man mich wie einen Menschen behandelt und wo es besser ist als dort, woher ich kam.

Als ich den Iran verließ, hatte ich zwei Koffer dabei – einen großen und einen kleinen. Ich sehe mich noch heute in der Ankunftshalle des Flughafens Nürnberg zwischen diesen beiden Koffern stehen, die Griffe fest in den Händen. Wir drei – ich und die beiden Koffer – waren aus dem Iran in ein unbekanntes Land gereist.

Im kleineren Koffer befanden sich meine Bücher und mein Laptop, im größeren meine Kleidung. Doch auch ich selbst war voller Dinge: voller Gedanken, Hoffnungen, Sorgen und Träume. Und noch etwas hatte ich mitgebracht – mein inneres Bild vom Iran, die Erinnerungen an Straßen und Gassen meiner Kindheit.

Vom Flughafen fuhr ich mit dem Zug in die kleine Stadt, in der ich studieren sollte. Ich lief durch die Straßen meiner neuen Stadt, während die Bilder der alten, der iranischen, weiterhin in mir lebendig waren. Wenn ich im Studentenwohnheim im Bett lag, erschien vor meinem inneren Auge unser Haus im Iran.

Ich begriff: Grenzen zu überschreiten, bedeutet zunächst nur die physische Trennung vom Herkunftsland. Es braucht Jahre, um mit den Erinnerungen und inneren Wunden abzurechnen. Ich musste mich mit dem Iran in mir auseinandersetzen – dem Land, das ich mit über die Grenze genommen hatte.

Wenn ich in einem anderen Land einer Deutschen begegne, verstehen wir uns oft nach wenigen Worten.

Maryam Mardani, Exiljournalistin aus dem Iran

Und doch war ich froh, den Iran verlassen zu haben. In den letzten zwölf Jahren habe ich diese Entscheidung keine Sekunde bereut – aus einem einfachen Grund: Ich habe mein Land verlassen, um meine Heimat woanders zu finden.

Für mich sind Land und Heimat nicht dasselbe. Heimat ist für mich der Ort, an dem ich als Frau akzeptiert werde, an dem ich nicht gezwungen bin, mich, meine Gefühle, meine Liebe und meine Schönheit zu verstecken. Heimat ist dort, wo ich ohne Maske sagen kann: Meine Damen und Herren, das bin ich – mein wahres Ich.

Als ich den Iran verließ, war dieses Land für mich zu Ende. Ich, eine Frau mit 1,67 Metern Körpergröße und durchschnittlicher Statur, hatte in einem Land mit einer Fläche von 1.648.000 Quadratkilometern keinen Platz mehr. Gerade erst war ich Dozentin an einer Universität geworden – doch mit dem Wechsel des Staatspräsidenten wurden dreizehn weitere Lehrkräfte und ich entlassen.

Der Vorwurf: Wir hielten uns nicht an die Kleidervorschriften, sprachen mit unseren Studierenden über gesellschaftliche Tabus und forderten mehr Meinungsfreiheit.

Wegen Ungehorsams entlassen

Jeden Tag, wenn ich zur Arbeit ging, sprach mich ein Sicherheitsbeamte der Universität an – er ermahnte mich, meine Haare vollständig zu bedecken und den Hidschab korrekt zu tragen. Einige Monate später wurde ich wegen „Ungehorsams“ endgültig entlassen und musste wieder bei meiner Familie wohnen. Einen neuen Job zu finden war nahezu unmöglich – ohne Beziehungen hatte man kaum eine Chance.

Der Iran, den ich damals noch für meine Heimat hielt, ließ mich nicht einmal so schreiben, wie ich es wollte. Manche Wörter waren verboten, gewisse Themen tabu. Ich hatte Angst, allein wegen eines Textes angeklagt zu werden und eventuell eine Gefängnisstrafe zu bekommen – so wie es vielen anderen Menschen ergangen ist.

Leben ohne Angst: Maryam Mardani.

© ALI GHANDTSCHI

Also begann ich, mich selbst zu zensieren. Ich musste nicht nur meine Haare und meinen Körper verstecken, sondern auch meine Gedanken. Allmählich sammelten sich die unausgesprochenen Worte in mir an – und ich merkte, wie ich mich selbst mehr und mehr verlor.

Der iranische Staat hat klare, religiös geprägte Vorstellungen davon, wie Frauen und Männer zu sein haben – das Idealbild des „guten Menschen“. Wer sich diesem Bild anpasst oder zumindest so tut, darf auf eine Zukunft hoffen. Ich aber entschied mich dagegen, um mein wahres ich zu bewahren, und das bedeutete den Bruch mit der Gesellschaft. Irgendwann verstand ich: Dieses Land ist nicht mehr meine Heimat. Ich muss weg.

Ich war voller Iran, meine Umgebung voller Deutschland.

Maryam Mardani, Exiljournalistin aus dem Iran

Ein Teil meines Studiums im Iran fiel in die Zeit der Grünen Bewegung. Bei den Demonstrationen sah ich immer wieder, wie die Polizei mit Schlagstöcken auf Protestierende losging. Einige meiner Freundinnen wurden verhaftet – von ein paar habe ich bis heute nichts mehr gehört. Kann man ein Land, das seine Menschen in Angst versetzt und ihr Leben bedroht, überhaupt „Heimat“ nennen?

Auch in Deutschland war nicht alles einfach. Ich war voller Iran, meine Umgebung voller Deutschland. Uns fehlte eine gemeinsame Vergangenheit, und so waren Gespräche oft mühsam. Wir sprachen über das Wetter, weil uns tiefere Themen fehlten. Selbst unsere Kindheitserinnerungen – die Cartoons, die Spiele – unterschieden sich. Ganz zu schweigen von Politik, Gesellschaft oder dem Bildungssystem.

Von Anfang an fühlte ich inneren Frieden

Schon in den ersten Tagen in Deutschland fühlte ich mich fremd. Ich konnte nicht einfach laut lachen oder singen – die Straßen und Gassen schienen nicht mir zu gehören. Ich hatte gelernt, dass laut sprechen als unhöflich gilt, also zwang ich mich zur Ruhe.

Trotz aller äußeren Herausforderungen fühlte ich von Anfang an inneren Frieden. Ich musste keine Angst mehr haben – nicht, weil ich eine Frau war, nicht, weil ich kein Kopftuch trug. Ich konnte endlich meine Gedanken frei aufschreiben, ohne Angst vor Verhaftung.

Mit der Zeit merkte ich, wie leicht mir der Kontakt zu manchen Deutschen fiel. Wir sprachen stundenlang, lachten gemeinsam, ohne uns Gedanken über das Gesprächsthema machen zu müssen. Ich habe mit Deutschen studiert, die Aufnahme Geflüchteter 2015 miterlebt, gemeinsam die Corona-Zeit durchgestanden.

Ich habe mit ihnen an Wahlen teilgenommen, mir Sorgen um die Zukunft gemacht, Filme auf der Berlinale geschaut, gekocht, Weihnachtsmärkte besucht, Glühwein getrunken und das neue Jahr gefeiert. Ich habe mit ihnen für Demokratie demonstriert und die Regierung kritisiert. Wir haben gemeinsam laut gefordert, keine Deals mit dem iranischen Regime zu machen. All das ist gemeinsame Geschichte.

Heute trage ich nicht nur den Iran, sondern auch Deutschland in mir. Wohin ich auch gehe – ein Teil von Deutschland wird mich begleiten. Wenn ich in einem anderen Land einer Deutschen begegne, verstehen wir uns oft nach wenigen Worten – weil wir eine gemeinsame Vergangenheit teilen. Ich denke, inzwischen kann ich behaupten, auch wenn ich hierzulande als Bürgerin mit Migrationshintergrund gelte, fühle ich mich seit einigen Jahren als Heimatgefährtin derer, die hier geboren wurden.

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