
© Lena Gansmann
„Ein unverrückbarer Bestandteil der öffentlichen Gesundheit“: So lief der 5. Tagesspiegel-Impfgipfel
Wo stehen wir beim Impfen, welche Bedeutung hat die Immunisierung für den Einzelnen, die Gesellschaft, die Wirtschaft? Fragen und Antworten gab es beim 5. Tagesspiegel-Impfgipfel.
Stand:
Fünf Jahre, das ist schon ein kleiner Grund zum Feiern: So lange veranstaltet der Tagesspiegel bereits den jährlichen Impfgipfel, bei dem Akteure aus dem Gesundheitswesen und der Politik erörtern, wie sich die Impfquoten in Deutschland steigern lassen. Fünf Jahre, das bedeutet auch: Der erste Gipfel fand noch vor der Covid-19-Pandemie statt, die das Thema Impfen nochmal auf eine ganz andere gesellschaftliche Ebene gehoben hat, im Guten wie im Schlechten.
Denn auch die häufig irrationale Gegnerschaft zur Immunisierung ist während dieser zwei Jahre so stark angeschwollen wie noch nie. Die Bedeutung des Impfens für Individuum und Gemeinschaft, als „unverrückbarer Bestandteil der öffentlichen Gesundheit“ (Moderator und Tagesspiegel-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff), wurde also vom Tagesspiegel – vor allem in Gestalt von Verlagsleiterin Susan Knoll, die die Idee zum ersten Gipfel hatte – nicht etwa erst während der Pandemie erkannt.
Zwei zentrale Themen
Dieses Jahr schälten sich auf dem Gipfel zwei zentrale Themen heraus: Erstens die Bedeutung des Impfens, nicht nur medizinisch, sondern auch wirtschaftlich und, zweitens, die alternde Gesellschaft und was sie für das Impfen bedeutet.
Aufgrund wichtiger Abstimmungen im Bundestag konnten mehrere politische Vertreter nicht dabei sein. Ines Perea von der Abteilung „Gesundheitsschutz“ im Bundesministerium für Gesundheit vertrat ihre Chefin Ute Teichert und betonte die Wichtigkeit regelmäßiger Impferinnerungen.
„Bei Säuglingen und Kleinkindern klappt das super, aber wenn die Menschen älter werden, hört das auf“, so Perea, „und dabei wäre es gerade bei ihnen so wichtig.“ Und künftig wird es immer mehr ältere Menschen geben, mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Während die einen pflegebedürftig sind, sind andere noch völlig fit und denken gar nicht daran, sich impfen zu lassen.
Was helfen könnte: Die Möglichkeit, dass auch Apotheken impfen können, hat offenbar eine wichtige politische Hürde genommen und scheint demnächst Realität zu werden, wie Perea erklärte.
Die Pandemie hat die Impfbereitschaft nicht gefördert. Weil sich Politik eingemischt hat in Dinge, von denen sie nichts versteht,
Thomas Fischbach, Nationales Aktionsbündnis Impfen
Aufgrund eines Unfalls konnte Heidrun Thaiss dieses Jahr nicht dabei sein. Sie ist Professorin, hat bis 2020 die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geleitet und den Code of Conduct als Verhaltenskodex für alle Stakeholder im Impfwesen maßgeblich mit formuliert. Wer dafür als regelmäßiger Gast auch dieses Jahr wieder dabei war: Thomas Fischbach, Kinderarzt und Co-Vorsitzender des Nationalen Aktionsbündnisses Impfen.

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Fischbach ist keiner, der ein Blatt vor den Mund nimmt. Er redet meistens klar heraus und kommentiert viele verschiedene Aspekte des Impfens. Zum Beispiel: „Die Pandemie hat die Impfbereitschaft nicht gefördert. Weil sich Politik eingemischt hat in Dinge, von denen sie nichts versteht. Das hat bei denen, die sich leicht verunsichern lassen, zu einer Verunsicherung geführt. Wenn an einem Denkmal wie der Ständigen Impfkommission (Stiko) gekratzt wird, dann nimmt diese Schaden.“
Die Rolle der Schulen
Auch zur Rolle der Schulen beim Impfen, zum immer noch nicht eingeführten elektronischen Impfpass oder zur Bedeutung der Pharmaindustrie äußerte sich Fischbach direkt und ohne Umschweife: „Was uns überhaupt nicht hilft: das ständige Verdammen der Pharmaindustrie, die nur in die eigene Tasche wirtschaften würde. Ja, das tut sie auch. Aber dieses Denken existiert, glaube ich, nur in Deutschland und ist für mich nicht nachvollziehbar. Wir brauchen die pharmazeutische Industrie. Auch dieses Jahr sind wieder fast alle Nobelpreise alle in die USA gegangen. Forschung muss man auch unterstützen.“
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Als Gast präsentierte Judith Klose vom Berliner Meinungsforschungsinsitut Civey interessante Ergebnisse, etwa dass der Arbeitsplatz von den meisten befragten Menschen noch nicht als relevant angesehen wird, wenn es um Auskünfte zum Impfen geht. Da stehen natürlich Ärzte an erster Stelle, gefolgt von Apotheken, Radio und TV, Online- und Printmedien, soziale Plattformen und Apps.
Mit Andrea Kaifie-Pechmann vom Institut für Arbeits-, Sozial und Umweltmedizin in Erlangen war auch eine Vertreterin der Betriebsärzte anwesend – und konnte auf eine besorgte Frage aus dem Publikum reagieren. Denn nicht nur die Bevölkerung insgesamt, auch die Ärzteschaft wird älter, geht in Rente: Wer wird uns künftig impfen? „Wir sehen, dass Akademien zur Weiterbildung in der Arbeitsmedizin brechend voll sind“, so Kaifie-Pechmann. Zumindest hier scheint also der Nachwuchs gesichert zu sein.
Medizin im Video
Dass Impfen auch direkten Einfluss auf die Wirtschaft eines Landes hat, weil es Krankenstände verringert, ist Konsens auf dem Impfgipfel, auch wenn konkrete Zahlen nicht sofort zur Hand waren.

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In Großbritannien soll der Effekt aber mindestens ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, so Han Steutel, Präsident des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller, ebenfalls ein treuer und unverzichtbarer Gast auf dem Tagesspiegel-Impfgipfel.
Manches wurde also erreicht, wie die oben erwähnte Verabschiedung des Code of Conduct. Aber so lange die Impfquoten bei den meisten Krankheiten und vor allem in den älteren Bevölkerungsschichten so niedrig liegen wie jetzt, wird es noch viele Anlässe für weitere Impfgipfel geben.
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