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Wenn onkologische Präparate knapp werden

© IMAGO/Robert Poorten

Krebsmedikamente sind Mangelware : Wie gut wirken Maßnahmen gegen Lieferengpässe?

Seit einigen Jahren steigt die Zahl an Arzneimitteln, die von Lieferengpässen betroffen sind – auch bei Onkologika herrscht Knappheit. Über den aktuellen Stand der Versorgungslage

Von Heike Gläser

Stand:

Als vor zwei Jahren das für Brustkrebspatientinnen so wichtige Tamoxifen plötzlich kaum mehr zu bekommen war, wurde das Ausmaß der Lieferengpässe mehr als deutlich. Das Bundesgesundheitsministerium musste offiziell einen Versorgungsmangel feststellen.

Der Arzneistoff wird hauptsächlich zur Therapie von Mammakarzinomen eingesetzt. Die komplexe und aufwendige Herstellung von Medikamenten mit dem Wirkstoff Tamoxifen führte zu längeren Vorlaufzeiten. Zusätzlich wurde die Versorgung durch Hamsterkäufe erschwert.

Die Ursachen für den Versorgungsengpass seien „vielgestaltig“, vermeldete das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Die selbstständige Bundesoberbehörde mit Sitz in Bonn veröffentlicht in ihrer Datenbank sämtliche Medikamente, die von Lieferengpässen betroffen sind.

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Medikamente sind derzeit von Lieferengpässen betroffen.

Tamoxifen steht exemplarisch für den Mangel an versorgungsrelevanten Arzneimitteln, der in den vergangenen Jahren kontinuierlich angewachsen war. Vor gut zwei Jahren wurde die Spitze mit über 600 Medikamenten erreicht, insbesondere bei patentfreien, also generischen Arzneimitteln kam es zu einem deutlichen Anstieg. Inzwischen sinkt die Zahl etwas, derzeit finden sich knapp 470 Medikamente auf der vom Arzneimittel-Bundesinstitut veröffentlichten Liste der gemeldeten Präparate.

Seit vier Wochen fehlt das Medikament Vindesin, das wir bei aktuter lymphatischer Leukämie einsetzen.

Bernhard Wörmann, Onkologe

Diese Statistik betrifft alle Medikamente. „Die Zahlen gehen leicht zurück“, sagt Bernhard Wörmann, medizinischer Leiter der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO). Auch wenn es statistisch noch keine belastbaren Zahlen zum aktuellen Stand gebe, beobachtet der Onkologe, dass es in der Krebsmedizin dennoch wieder zu Engpässen kommt. „Seit vier Wochen etwa fehlt das Medikament Vindesin, das wir bei akuter lymphatischer Leukämie sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen einsetzen“, so Wörmann.

Das neue Lieferengpassgesetz

Um die Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln kurz- und langfristig zu stärken, wurde ein neues Gesetz auf den Weg gebracht. Vor knapp einem Jahr verabschiedete der Bundestag in dritter Lesung das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz, kurz ALBVVG. Hinter diesem Wort­ungetüm verbergen sich strukturelle Maßnahmen im Bereich Festbeträge, Rabattverträge sowie der Medikamentenproduktion.

Das neue Gesetz bezieht sich vornehmlich auf Kinderarzneimittel und Antibiotika, enthält aber auch drei Regelungen, die für Krebsmedikamente von Bedeutung sind.

Dazu zählt zum einen die Pflicht der Apotheken, kontinuierlich und versorgungsnah patentfreie Arzneimittel für sechs Monate zu bevorraten, zum anderen ein Frühwarnsystem für drohende, versorgungsrelevante Lieferengpässe beim BfArM zu etablieren sowie außerdem die Lieferketten bei Antibiotika zu diversifizieren.

Letztere bedeutet, dass Antibiotika, die im europäischen Wirtschaftsraum produziert werden, bei Ausschreibungen von Kassenverträgen zusätzlich berücksichtigt werden müssen, um die ­Anbietervielfalt zu erhöhen.

Nach der Katastrophe mit Tamoxifen hatten wir gehofft, dass die Onkologika mitaufgenommen werden.

Bernhard Wörmann, medizinischer Leiter der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie

Die medizinischen Fachgesellschaften, die sich mit der Erforschung von Krebskrankheiten und der Krebsversorgung beschäftigen, begrüßen einerseits die beschlossenen Maßnahmen, weisen aber andererseits darauf hin, dass unter anderem Krebsmedikamente im ALBVVG nicht berücksichtigt wurden. „Nach der Katastrophe mit Tamoxifen hatten wir gehofft, dass die Onkologika mitaufgenommen werden“, sagt Wörmann.

Unverzichtbare Arzneimittel

Doch inzwischen bewegt sich etwas: Das Bundesinstitut hat im April eine Liste mit unverzichtbaren Arzneimitteln für die Onkologie angefordert, die von der DGHO erstellt wurde.

Welche Medikamente sind denn unverzichtbar? „Dazu gehören Generika und Präparate, die in Leitlinien empfohlen sind und nicht ersetzt werden ­können“, erklärt Bernhard Wörmann. Wenn es eine Alternative gibt, die auch evidenzbasiert ist, ist ein Präparat nicht unverzichtbar. Dabei muss der Wirkstoff nicht zwingend der gleiche sein, sondern kann auch aus derselben Wirkstoffgruppe stammen.

Wörmann veranschaulicht es am Beispiel von Epirubicin, einem wichtigen Zytostatikum bei der Behandlung von Brustkrebs: „Epirubicin kann durch Doxorubicin ersetzt werden. Es ist genauso wirksam, dazu gibt es Studien, die das belegen.“ Es habe zwar ein etwas höheres Risiko der Herzbelastung. „Das Risiko liegt aber im niedrigen einstelligen Bereich, sodass für uns das höhere Gut zählt, die Heilungsrate hochzuhalten.“

Wird ein Medikament als unverzichtbar eingestuft, wie beispielsweise besagtes Tamoxifen, für das es keinen Ersatz gibt, greifen Regelungen, die es in früheren Gesetzen schon gab, etwa der erleichterte Import. Insofern greift das neue Lieferengpassgesetz hier nicht. „Das ALBVVG ist längerfristig angelegt, damit unentbehrliche Arzneimittel besser geschützt werden“, sagt Wörmann.

Mehr Produkte aus Europa

Das sieht Kim Green, Präsident des Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker, ähnlich. Er berichtet, dass er als Fachapotheker im Klinikum Oldenburg stellenweise immer noch mit Ausfällen bei onkologischen Präparaten zu kämpfen hat: „Wir haben es mit Herstellerwechseln zu tun oder müssen auf Alternativprodukte ausweichen.“

Krebsmedikamente sind ein knappes Gut in manch einer Apotheke

© IMAGO/YAY Images/imago

Dass das BfArM im April eine Liste mit onkologischen Medikamenten erstellt hat, bedeutet, dass die Bevorratung in Krankenhausapotheken auf vier Wochen erhöht wird.

Kim Green sieht die Problematik aber vor allem im Bereich der Produktion, die einen langen Vorlauf braucht. Seiner Meinung nach müsse die pharmazeutische Industrie in die Pflicht genommen werden und für stabilere Lieferketten sorgen. Das habe man im Nachgang zur Covid-Pandemie gelernt.

Wir haben es mit Herstellerwechseln zu tun oder müssen auf Alternativprodukte ausweichen.

Kim Green, Präsident des Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker

Sind Containertransporte überlastet, steigt der finanzielle Druck. Ein Schiffscontainer koste heute das Dreifache im Vergleich zu vor vier Jahren. „Das muss man alles bei der Produktion von Wirkstoffen oder Medikamenten mitberücksichtigen“, sagt Green.

Er befürwortet die Bestrebungen, Teile der Produktion in den europäischen Wirtschaftsraum zu verlegen, dies sei aber ein sehr langfristiges Unterfangen. „Da werden wir vor 2030 keine großen Effekte sehen“, sagt Green und weist darauf hin, dass „alles, was jetzt an neuen Produktionsstandorten von pharmazeutischen Firmen entsteht, sicherlich nicht durch das neue Lieferengpassgesetz gewachsen ist.“ Die Planungen dafür seien sehr viel älter.

Lieferengpässe halten an

Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika, sieht die neuen Regeln für Krebsmittel kritisch, wie er in einer Mitteilung Ende Mai verlauten ließ. Er sehe keine Entspannung im Hinblick auf Lieferengpässe. Wie bei ­Antibiotika ist nunmehr in Ausschreibungen der Krankenkassen stets auch ein Anbieter mit europäischer Wirkstoffquelle zu bezuschlagen – sofern es denn einen gibt.

Der Gamechanger bei der Krebsmittel-Knappheit ist das nicht.

Bork Bretthauer, Geschäftsführervon Pro Generika

Engpässe wie etwa bei dem Anti­östrogen Tamoxifen würden damit nicht verhindert, denn es werde bereits in Europa produziert. „Die Regelung klingt gut und die Idee ist an sich auch richtig, weil sie auf Diversifizierung von Lieferketten setzt“, so Bretthauer. „Der Gamechanger bei der Krebsmittel-Knappheit ist das nicht.“

Auch wenn die Lieferengpässe bei Onkologika weiterhin anhalten, ist die Versorgungslage bei Tamoxifen nach Einschätzung der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. derzeit stabil. Dies bestätigt auch Krankenhausapotheker Kim Green: „Bei Tamoxifen hat sich die Situation wieder verbessert, sodass wir sagen können, dass wir das Produkt bekommen, wenn wir es brauchen.“

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