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Der Weihnachtsmarkt auf dem Gendarmenmarkt findet seit 2003 statt.

© WeihnachtsZauber Gendarmenmarkt

Zurück am Gendarmenmarkt : Wie Familie Russ den Weihnachtsmarkt zum reizvollsten Berlins machte

Kunsthandwerker, Chöre und Walking Acts: Der Weihnachtsmarkt zieht wieder an seinen traditionellen Standort am Konzerthaus. Ein Treffen mit dem Sohn des Gründers.

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Jetzt schimmern sie wieder, die sternenbekrönten Zelte im Herzen der Friedrichstadt, und entrücken den Gendarmenmarkt für einige Wochen der Realität, verwandeln ihn, geben ihm ein anderes, winterverzaubertes Antlitz. Dabei ist der Platz ja auch ohne Weihnachtsmarkt schon schön, einer der schönsten der Stadt, aufgrund seiner Lage und Geschichte, seiner Symmetrie und seiner Umfassung, also der kompakten, geschlossenen Randbebauung.

Drei Winter lang Bebelplatz

Der Weihnachtsmarkt kehrt zurück, nach schwierigen Jahren: Erst die Corona-Pandemie, dann die Umbauarbeiten auf dem Gendarmenmarkt, was drei Winter lang einen Umzug auf den nahegelegenen Bebelplatz erzwang. Aber immer noch dürfte er der attraktivste, stimmungs- und reizvollste aller Berliner Weihnachtsmärkte sein, nicht zuletzt wegen seines einheitlichen Erscheinungsbildes.

„Wir wollen unsere Besucher berühren, ihnen ein sinnliches und besinnliches Erlebnis ermöglichen, sie sollen den Alltag für eine gewisse Zeit verlassen“, sagt David Russ. Sein Vater Helmut Russ aus Kiel hat den Weihnachtsmarkt einst gegründet, inzwischen übernimmt der Sohn mehr und mehr die Leitung der Träger-GmbH „Weihnachtszauber Gendarmenmarkt“, ab 2026 wird er Geschäftsführer sein.

David Russ, in Kiel geboren, hat in Hamburg Sozialökonomie studiert und lebt sein 2019 in Berlin. Sein Bruder ist ebenfalls mit an Bord und für den Auf- und Abbau des Marktes zuständig. Das Ganze ist also ein richtiges Familienunternehmen.

David Russ ist derzeit noch technischer Produktionsleiter bei der Weihnachtszauber GmbH.

© WeihnachtsZauber Gendarmenmarkt

Es war das Jahr 2002, Klaus Wowereit Regierender Bürgermeister, und die Frage stand im Raum: Wie können wir die Friedrichstadt und die Gegend um den Gendarmenmarkt beleben, auch in der dunklen Jahreszeit? Gemeinsam mit Visit Berlin, der offiziellen Marketingagentur der Stadt, entstand die Idee eines Weihnachtsmarktes. Helmut Russ gewann die Ausschreibung.

Wir wollen unsere Besucher berühren, ihnen ein sinnliches und besinnliches Erlebnis ermöglichen, sie sollen den Alltag für eine gewisse Zeit verlassen.

David Russ, Weihnachtszauber GmbH

Er hatte im Antiquitätenhandel begonnen, aber ab Ende der 70er-Jahre auch Weihnachtsmärkte in Kiel und Umgebung veranstaltet. Seine Idee einer einheitlichen Zeltlandschaft als Hommage an die Hugenotten, die einst hier lebten, überzeugte die damaligen Entscheider.

Eine lebendige Kirche

Die Hugenotten hatte einst der Große Kurfürst geholt, als Frankreich unter Ludwig XIV. keine Heimat mehr für sie bot. Sie besiedelten den neuen Stadtteil und prägen ihn bis heute. Denn der Französische Dom ist – anders als der Deutsche Dom – nach wie vor der Sitz einer lebendigen Gemeinde, der Französischen Kirche zu Berlin, und im Turm ist seit vielen Jahren das Hugenottenmuseum eingerichtet.

Die Frage, wie sich die Gegend beleben lässt, ist bekanntlich auch im Jahr 2025 nicht gelöst. Gerade die enge, baumlose Friedrichstraße befindet sich in einer scheinbar unaufhaltsamen Abwärtsspirale. Was dabei häufig vergessen wird: Anders als der Kurfürstendamm, der Breite und Großzügigkeit besitzt und in ein funktionierendes städtisches Gewebe eingebunden ist, hat es die Friedrichstraße unendlich viel schwerer, ein pulsierender Boulevard zu werden.

Der Friedrichstraße fehlt das Hinterland

Weil sie eigentlich immer in erster Linie eine Nord-Süd-Verkehrsachse war, nicht zum Flanieren gedacht. Vor allem aber, weil ihr das entsprechende Hinterland fehlt. Das hat es mal gegeben, aber zu Mauerzeiten war die Friedrichstadt Grenzgebiet, die Gegend ist leergezogen und auch heute nicht annähernd so dicht bevölkert wie vor dem Krieg.

Der Gendarmenmarkt allerdings hat immer funktioniert und Menschen angezogen. Auch jetzt nach dem Umbau ist er stets belebt – aller Kritik zum Trotz, es gäbe zu wenig Bäume. Denn Grün ist durchaus reichlich vorhanden, wenn man sich in der richtigen Jahreszeit und von der richtigen Seite nähert, viel mehr sogar als zur Erbauungszeit im 17. Jahrhundert.

Ja, unmittelbar vor den beiden Domen hätte man noch zusätzliche Rasenflächen anlegen können. Aber der zentrale Bereich vor dem Konzerthaus muss frei bleiben – nicht nur wegen der beiden jährlichen Großveranstaltungen Classic Open Air und Weihnachtsmarkt, sondern vor allem auch, um den urbanen, ja metropolitanen Charakter des Platzes zu erhalten.

Bis zu 800.000 Besucher

Der Weihnachtsmarkt wurde 2003 erstmals abgehalten, zu Beginn mit 250.000 Besuchern. Den bis heute nicht wieder erreichten Höhepunkt markierten 800.000 Besucher im Jahr 2019. Dann schlug Corona zu, 2020 fiel der Markt aus, 2021 war er nur eingeschränkt mit Abstandsregeln möglich. 2022 bis 2024 dann das „Exil“ auf dem Bebelplatz, wo immerhin wieder rund 550.000 Menschen kamen. „Dieses Jahr kann unser Markt also erstmals seit 2019 wieder unter normalen Bedingungen am traditionellen Standort stattfinden“, erklärt David Russ.

Ein Alleinstellungsmerkmal des Weihnachtsmarktes auf dem Gendarmenmarkt sind die Kunsthandwerker, von denen viele aus der Region kommen.

© WeihnachtsZauber Gendarmenmarkt

Es gibt mehrere Aspekte, die ihn von anderen Weihnachtsmärkten in Berlin unterscheiden und zu etwas Besonderem machen. Da wären das erwähnte ambitioniert-einheitliche Erscheinungsbild oder der Eintritt von zwei Euro. Der dient nicht etwa dazu, Obdachlose draußen zu halten, sondern um die Durchführung des Marktes, das Rahmenprogramm und das Kunsthandwerkerzelt zu finanzieren.

Denn das ist ebenfalls ein Alleinstellungsmerkmal des Marktes: Vielen Kunsthandwerker, die meisten aus der Region, bieten ihre Produkte an. Außerdem unterhalten Artisten zu Fuß, sogenannte Walking Acts, die Besucher. Auf der Bühne vor dem Konzerthaus wird regelmäßig Programm geboten, vor allem mit Chören, unter anderem aus der benachbarten St.-Hedwigs-Kathedrale.

Mobile Artisten unterhalten die Besucher auf dem Gendarmenmarkt.

© WeihnachtsZauber Gendarmenmarkt

Rund 80 Weihnachtsmärkte buhlen inzwischen in Berlin um Besucher, manche davon verzichten ganz auf christlichen Charakter, nennen sich „Wintermärkte“, starten schon früh im November und bleiben bis in den Januar geöffnet. David Russ hat dafür einerseits Verständnis, die Veranstalter müssten länger öffnen, um die gestiegenen Kosten abfangen zu können. Andererseits legt er für den Gendarmenmarkt Wert auf die Tradition, hat erst am Montag nach Totensonntag geöffnet und schließt zum 31. Dezember.

Die Menschen haben weniger Geld

„Persönlich empfinde ich die Zahl der Märkte in Berlin mittlerweile als sehr hoch“, sagt er. Das würde zwangsläufig dazu führen, dass manche deutlich weniger besucht sein werden. Denn die Zahl der Besucher von Weihnachtsmärkten sei insgesamt rückläufig. Dafür gibt es ein Bündel an Gründen. Angst vor Anschlägen könnte eine Rolle spielen, außerdem kommen weniger Touristen nach Berlin. Das Ausgehverhalten habe sich in Folge von Inflation und sinkender Kaufkraft ebenfalls verändert, sagt Russ: „Früher hatten wir Stammkunden, die täglich kamen. Die sehen wir jetzt nur noch ein- bis zweimal die Woche.“

Wer dieses Jahr den Weg zum Genadarmenmarkt findet, erlebt einige Neuerungen. Bereits am 30. November wurde ein Europatag veranstaltet, mit eigenem Europazelt, in dem verschiedene europäische Künstler einen Adventskalender mit Postkarten aus ihren Heimatländern gestaltet haben, der natürlich noch den ganzen Dezember über zu sehen ist.

Außerdem können Besucher auf einer Kreidetafel ihre Wünsche hinterlassen, auch der Regierende Bürgermeister Kai Wegner hat sich dort – nein, nicht verewigt, denn das Ganze ist vergänglich, „der Regen säubert die Tafel auf natürliche Weise“, sagt David Russ. Er trägt David Russ zudem einer gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung: Dieses Jahr kommt zu den vier Glühweinständen erstmals auch ein 0,0-Prozent-Stand hinzu, an dem nur Alkoholfreies ausgeschenkt wird

Und dann natürlich Silvester, mit Feuerwerk, Akrobaten und einer Aufführung von, wie es sich in Deutschland gehört, „Dinner for One“. Auf der Bühne werden Hartmut Guy stehen – der Kabarettist hatte auch ein eigenes Gourmetrestaurant am Gendarmenmarkt – und Schauspieler Stefan Ahrens. Richtig gelesen: Miss Sophie wird also auf jeden Fall von einem Mann gespielt. Am 1. Januar ist dann alles vorbei, und die Hauptattraktion am Gendarmenmarkt wird wieder ein Besuch von Schinkels Konzerthaus sein.

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