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Ute Samtleben 1991 vor ihrer Galerie in der Brandenburger Straße 66. Der Name am Fenster stammt noch den Vorgängern. Gemietet hatte Samtleben die Räume zum 1. April 1990 vom VEB Umweltgestaltung und Bildende Kunst.

© Archiv Ute Samtleben

Verlorene Kulturorte: Die Galerie Samtleben holte 1990 Kunst in Potsdams Mitte

In der Zeit des Umbruchs etablierte Ute Samtleben eine private Galerie in der Brandenburger Straße. Sie wurde Sozialstation für Künstler, Begegnungsort - und eine Schule des Sehens.

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Das Jahr geht für das Potsdam Museum mit einem Geschenk zu Ende. Es handelt sich um einen kleinen Schatz: knapp ein Quadratmeter Potsdamer Kulturgeschichte. Es ist ein Porträt der jüngst verstorbenen Malerin Barbara Raetsch, die wie keine zweite der Stadt Potsdam in die Seele blickte. Es zeigt eine Frau, die Potsdams Kunstlandschaft jahrelang belebte. Ernst, schmal, kurzes Haar und runde Brille. Ute Samtleben im Jahr 1985.

Heute ist Ute Samtleben 82. Erkennt sie sich wieder? „Nicht direkt“, sagt sie. „Aber ich weiß, dass es wahr ist, eine wahrhaftige Wiedergabe.“ Ein Foto von 1991 zeigt eine andere Ute Samtleben, auch die wahr. Aufgenommen in der Brandenburger Straße, ein Schmunzeln im Gesicht. Die Galerie, vor deren Schaufenstern sie steht, gehört ihr seit einem Jahr.

Siebzehn Jahre lang führte Ute Samtleben bis 2007 die „Galerie Samtleben“ in Potsdams mittigster Mitte. Auf dem Foto hält sie das Gemälde von Barbara Raetsch in den Händen, und zwar so, als würde sie es gerade schnell mal irgendwohin tragen. Der Schnappschuss einer Frau, die sich selber in der Hand hat.

Ute Samtleben im November 2025 in ihrer Potsdamer Wohnung.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Das Gruppenbild „Potsdamer Maler“ (1976/80) von Karl Raetsch, dem Mann von Barbara Raetsch, zeigt den damaligen Kreis: Peter Rohn, Wolfgang Wegner, Christian Heinze, die Raetschs. Auch Ute Samtleben und der Künstler Gottfried Höfer (1931-1983) sind darauf zu sehen. Höfer war Samtlebens Lebenspartner.

„Das waren ernste Zeiten“, kommentiert Ute Samtleben. „Und so gucken wir auf dem Bild auch.“ Staatliche Aufträge waren in den 1970ern und frühen 1980ern auf Eis gelegt worden, um politisch Druck auf die Künstler auszuüben. Ute Samtleben bringt die Gruppe dazu, sich zu wehren, formuliert Briefe an den Künstlerverband, die Parteileitung. „Wahrscheinlich hätte uns gar kein Anwalt geholfen. Aber wir haben damit gedroht. Und komischerweise sind die dann auch umgefallen.“ Gottfried Höfer kann die Spieluhr, die heute noch am Luisenplatz steht, 1979 doch noch bauen.

Wenige Schritte davon entfernt eröffnet Ute Samtleben im Frühjahr 1990 ihre Galerie. Eins ist ihr von vorneherein klar: Der Ort soll ihren Namen tragen. „Wenn ich dort ausstelle, dann sollte auch mein Name draußen an der Tür sein“, sagt sie heute. Falls die Galerie ein Erfolg würde, will sie persönlich dafür einstehen. Beim Gegenteil auch. Sie wohnt über der Galerie, hat bald 16-Stunden-Tage. „Für die Galerie war das gut, für mich nicht immer.“

Barbara Raetschs Porträt von Ute Samtleben aus dem Jahr 1985 wird am 22. Januar vom Freundeskreis dem Potsdam Museum übergeben.

© Andreas Klaer PNN/Andreas Klaer

Trauer, Enttäuschung, Wut? Elan!

In den 1970er Jahren war Ute Samtleben Kuratorin am Kulturhaus „Hans Marchwitza“ gewesen, ab 1981 Journalistin bei der CDU-Tageszeitung „Märkische Union“. Sie ist längst keine Unbekannte in der Stadt mehr, ein Wagnis ist die eigene Galerie mitten in Umbruchzeiten dennoch. Die DDR gibt es nur noch auf dem Papier, das wiedervereinigte Land noch nicht. Kein Mensch weiß, wer sich wie lange noch für Kunst interessieren wird.

Ute Samtleben kurz nach der Galerie-Eröffnung in den 1990er-Jahren.

© Archiv Ute Samtleben

Ute Samtleben war bei der Gründung des Neuen Forums in Potsdam dabei, dann auch Teil des Sprecherrats. Bei den Volkskammerwahlen im März 1990 gibt es für die Oppositionellen-Gruppen nur knapp drei Prozent der Stimmen. Andere erfüllt das mit Ernüchterung, Trauer, vielleicht Wut. Ute Samtleben offenbar mit Elan. Die Galerie Samtleben übernimmt zum 1. April 1990 die Räume des aufgelösten VEB Umweltgestaltung und Bildende Kunst in der Brandenburger Straße 66.

„In den ersten drei Jahren war ich vor allem Sozialstation“, sagt sie heute. Künstler, denen mit der Auflösung des VEB Struktur und Auftraggeber weggefallen waren, suchten bei ihr Unterschlupf. „Bequem war es nie, aber die ersten Jahre waren wirklich ein Mordskampf.“

Lebensbegleiter Humor und Furchtlosigkeit

Humor und eine gewisse Furchtlosigkeit, zwei Lebensbegleiter, dürften beim Gelingen geholfen haben. „Bis Zweiten war’s noch Spaß, am 3.10.1990 wirds ernst!“ steht eines Tages kurz vor der Wiedervereinigung auf einem Zettel am Schaufenster ihrer Galerie. Ute Samtleben hat ihn aufgehoben.

Ute Samtleben war als Bürgerrechtlerin aktiv und am 5. Dezember 1989 neben Manfred Kruczek, Peter Frenkel, Rainer Speer und Detlef Kaminski beim Runden Tisch im Potsdamer Stadthaus mit Oberbürgermeister Manfred Bille dabei.

© Manfred Thomas Tsp/MANFRED THOMAS TSP

„Bequem war es nie“, sagt Samtleben. Aber auch nie ausweglos. Ende der 1990er schenkt sie einmal wöchentlich „Anti-Depri-Suppe“ aus. „Was ist aus der gesellschaftlichen, geachteten Kraft der Kultur und Geisteswissenschaften geworden?“, fragt sie im Katalog zu einer Ausstellung in Hamburg schon 1993. Es ist die Zeit, da die Brandenburgische Philharmonie aufgelöst und das Hans Otto Theater abgespeckt wird, Kulturhäuser schließen. „Im Osten erfährt die Kunst ihre totale Reduktion auf die Rolle der Unterhaltung bei hochgradigem Gelangweiltsein derer, die Geld haben.“

Als „50-jährige Deutsche, aus zweiter Hand“ spüre sie den Druck der ersten Hand noch deutlich auf ihrer Kulturhaut, schreibt sie weiter. „Das Erinnerungsvermögen ist mein Instrument zum Unterscheiden, ob der Druck nachgelassen, zugenommen hat oder zum Schmerz wurde.“

Das große Verdienst von Ute Samtleben war, was sie für die regionalen, zeitgenössischen Künstler gemacht hat. Ihre Galerie hat eine Lücke hinterlassen. Bis heute.

Markus Wicke, Vorsitzender vom Förderverein des Potsdam Museums

Ute Samtleben konnte immer scharf formulieren, sie kann es noch heute. In die neue Arbeit als unabhängige Galeristin stürzt sie sich mit Mut, Neugier und Witz. Schnell entscheidet sie sich, auf Kongresse zu fahren, Fragen zu stellen, den Austausch zu suchen. Und in ihrer Galerie nicht nur Kunst zu zeigen, sondern sie auch zum Ort für Dialog zu machen. Dabei helfen die Literaturveranstaltungen, die Ute Samtleben in Zusammenhang mit dem Brandenburgischen Literaturbüro organisiert.

Ute Samtleben in den 1990er-Jahren in ihrer Galerie.

© Archiv Ute Samtleben

1998 allein kommen Alexander Osang, Reporter für die „Berliner Zeitung“, der Verleger Christoph Links, der Autor Ingo Schulze, der damals gerade seinen Erfolgsroman „Simple Storys“ vorgelegt hat. Die Galerie wird zum Ort, an dem die Stadtgesellschaft die Möglichkeit hat, die neue Zeit zu verdauen.

Saskia Hüneke und Klara Geywitz als „Potsdamen“

Bis sie 2007 in den Ruhestand geht, stemmt Ute Samtleben rund 200 Ausstellungen: Gezeigt wird Potsdamer Kunst von Heinz Böhm, Wolfgang Wegener, Hubert Globisch oder Suse Ahlgrimm, aber auch die von Heidrun Holke, Christa Düll, Michael Hegewald, Michael Otto.

Flyer zur Ausstellung „Potsdamen“ 2005.

© Archiv Ute Samtleben

Gemeinsam mit Malerin Claudia Hauptmann gibt sie 15 „Potsdamen“ eine Bühne: Frauen aus Potsdam, die porträtiert werden und ihre Lieblingsgedichte verlesen. Grünen-Politikerin Saskia Hüneke und Klara Geywitz, bis vor Kurzem Bundesbauministerin, sind dabei. Eingeladen wird auch zum „Aufstellen zum Gruppenbild mit Dame“.

Die Galerie hat große Fenster zur Straße hin, Kunst wird von selbst Teil der Stadt. Die Galeristin selbst auch. Samtleben weiß von mindestens einem Ehepaar, das sich in ihren Räumen fand. Zu Ausstellungseröffnungen kommen bald nicht nur die, die um die Ecke wohnen, sondern auch Publikum aus Zehlendorf. Manche vertrauen Ute Samtleben so blind, dass sie aus dem Schaufenster heraus kaufen. Heribert Prantl zum Beispiel, Redakteur der „Süddeutschen“, der manchmal aus München vorbeiguckt.

Ute Samtleben bei einer Vernissage, links von ihr Malerin Suse Ahlgrimm, rechts im Hintergrund der Maler Hubert Globisch

© Archiv Ute Samtleben

Kämpferin für lokale Kunst und Bürgerin im besten Sinne

„Ich habe in der Galerie von Ute Samtleben erst sehen gelernt“, sagt einer, der Potsdams Kultur heute selbst mit prägt. Markus Wicke ist Vorsitzender des Fördervereins vom Potsdam Museum. Um 2010 hat er noch nicht viel mit Kunst zu tun, den Weg in die Galerie Samtleben findet er über einen Zettel, der im Schaufenster hängt: eine Unterschriftensammlung. „Damals gab es den kühnen Plan, das Brandenburger Tor um zwei gläserne Häuser und Bauten zu erweitern“, erinnert Wicke sich. „Das fand ich sehr empörend.“

Ute Samtleben auch. Wicke und Samtleben kommen ins Gespräch, gründen die Bürgerinitiative „Freies Tor“. Sie schaffen, was sich schnell dahinschreibt, aber damals viel Kraft, Zeit und Engagement kostet: Der Umbau wird gekippt. Nicht nur stadtpolitisch haben die beiden eine Wellenlänge, auch im Blick auf die Kunst. Wicke lernt bei Ute Samtleben unter anderem den Maler Peter Wilde kennen.

Was war die Qualität der Kunst, die Ute Samtleben zeigte? „Sie hatte einen Blick fürs Handwerk“, sagt Markus Wicke. „Aber das große Verdienst von Ute Samtleben und auch der Galerie Sperl war, was sie für die regionalen, zeitgenössischen Künstler gemacht haben.“ Wicke fehlt das heute. Ute Samtleben ist für ihn das, „was man im besten Sinne Bürgerin nennt“: „Sie hat gesagt, ich will mich einbringen in der Stadt. Ihre Galerie hat eine Lücke hinterlassen. Bis heute.“

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