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Die vierspurige Morandi-Brücke war auf einer Länge von 200 Metern eingestürzt.

© Stefano Rellandini/Reuters

Update

Zahlreiche Tote durch Einsturz: Die Morandi-Brücke in Genua - ein Problembau

Beim Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua starben zahlreiche Menschen. Die genauen Gründe für das Unglück sind noch unklar. Heftige Kritik gibt es aber am Konstrukteur.

Augenzeugen und Helfer sprechen von Szenen aus der Hölle. „Für das, was ich hier sehe, habe ich keine Worte“, berichtet einer. Am frühen Mittwochmorgen bestätigt die Präfektur, dass der Einsturz der Genueser Ponte Morandi, einer vierspurigen Autobahnbrücke, zahlreichen Menschen das Leben gekostet hat. Die Staatsanwaltschaft gab die vorläufige Zahl der Toten mit 42 an, während die Präfektur von 39 sprach. Auch mindestens drei Kinder sollen sich unter den Toten befinden, im Alter von acht, zwölf und dreizehn Jahren. Von mindestens 16 Verletzten war die Rede, der Zustand von 12 soll kritisch sein. Italiens Regierungschef Giuseppe Conte sagte, dass die Zahlen noch steigen dürften. Auch in der Nacht gingen die Rettungsarbeiten weiter.

Die Morandi-Brücke auf der Autobahn A10, der berühmten Urlaubsverbindung „Autostrada dei Fiori“, stürzte in mehr als 40 Metern Höhe auf einem 100 Meter langen Stück ein. Autos wurden in die Tiefe gerissen, Lkw landeten im Fluss Polcevera. Rund 30 Fahrzeuge sind von den Trümmern der Brücke begraben. Das Ausmaß der Katastrophe ließ sich lange nicht überblicken, einige Bereiche der Einsturzstelle waren zunächst nicht erreichbar. Der Viadukt überquerte unter anderem Gleisanlagen und ein Gewerbegebiet im Westen Genuas.

In Italien sind nach Informationen des „Corriere della Sera“ in den letzten fünf Jahren zehn Brücken eingestürzt. Vor allem aus einem Grund: Die Investitionen in die Infrastruktur gehen nach unten, es wird auch an der Wartung gespart.

Regierungsmitglieder machten am Mittwoch hingegen den privaten Betreiber der Autobahn für das Unglück verantwortlich. Zunächst müsse die Führung des Unternehmens Autostrade per l'Italia zurücktreten, forderte Verkehrsminister Danilo Toninelli im Netzwerk Facebook. Außerdem prüfe die Regierung die Auflösung des Vertrags mit der Firma sowie Bußgeldforderungen in Höhe von bis zu 150 Millionen Euro.

Der Brücken-Betreiber erklärte dagegen, das Unternehmen habe sogar zusätzliche Prüfungen vorgenommen und dafür modernste Technologien eingesetzt und externe Experten befragt.

Von Anfang an musste ständig nachgebessert werden

Die Genueser Morandi-Brücke, benannt nach ihrem Konstrukteur, dem Ingenieur Riccardo Morandi, war praktisch von Anfang an ein Problembau. Zunächst kletterten die Kosten für den vor mehr als 50 Jahren eröffneten Bau deutlich über die ursprünglich veranschlagten Kosten hinaus. Danach waren ständig Eingriffe und außerplanmäßige Wartungen nötig, um das knapp 1200 Meter lange Bauwerk mit den 90 Meter hohen Pfeilern nutzbar zu halten.

In einem Artikel in einer Fachzeitschrift, aus dem italienische Zeitungen jetzt zitierten, wies der Bauprofessor und Spezialist für Stahlbeton, Antonio Brencich, vor zwei Jahren auf die umfassenden Nachbesserungen hin, die die Brücke seit den frühen 1960ern immer wieder unterzogen wurde, und prognostizierte: „In nicht wenigen Jahren werden die ständigen Kosten für die Erhaltung höher liegen als die für einen Neubau der Brücke.“ Dann sei es Zeit, sie abzureißen.

Experte bezeichnet Bauwerk als technisches Versagen

Unter anderem mussten die Tragseile Ende der 80er und Beginn der 90er Jahre nicht nur ausgewechselt werden, sondern sie mussten auch durch zusätzliche verstärkt werden. In einem Interview nach dem Unglück legte Brencich am Dienstag im italienischen Fernsehen nach: „Die Morandi-Brücke wird immer als Meisterwerk der Ingenieurskunst bezeichnet. In Wirklichkeit ist sie technisches Versagen.“

Unter anderem sei das Nachgeben des Stahlbetons falsch berechnet worden, was dazu führte, dass die Fahrbahn bis in die 80er Jahre hinein Wellen schlug, die beim Darüberfahren spürbar waren. Morandis Art der Planung, so Brencich, sei bereits in den 50er Jahren überholt gewesen.

Der römische Ingenieur Morandi (1902-1989), nach dessen Plänen die Brücke zwischen 1963 und 1967, dem Jahr ihrer Inbetriebnahme, gebaut wurde, war ein Anhänger des Rationalismus. Er wurde vor allem durch seine Brückenbauten in Spannbeton bekannt, dessen Nutzen er entdeckt hatte, als er in Kalabrien nach einem Erdbeben baute.

Morandi lehrte auch als Professor Brückenbau an den Universitäten Florenz und Rom. Er baute den Flughafen Fiumicino seiner Heimatstadt mit, plante eine Tiberbrücke dort und war auch in Kolumbien, Libyen, Kanada und Südafrika als Brückenkonstrukteur tätig. Einen Teil der Arena von Verona verstärkte er auf der Basis seines Patents Morandi M5, das er auch in Genua nutzte.

Seine Brücke in Venezuela stürzte auch ein

Berühmt wurde er durch ein Projekt in Venezuela. Die von Morandi konzipierte General Rafael Urdaneta-Brücke in der Bucht von Maracaibo erstreckte sich über 8,7 Kilometer – bis 1964. Sie stürzte ein, als der Öltanker Exxon Maracaibo, mit 36.000 Tonnen voll beladen, aus der Lagune von Maracaibo kommend gegen zwei ihrer Pfeiler stieß, nachdem er durch einen Kurzschluss außer Kontrolle geraten war. Beide Pfeiler stürzten mit einem Teil der Brücke ein.

Es stellte sich heraus, dass die Möglichkeit eines derartigen Unfalls in der Planung nicht berücksichtigt worden war. Nach bisherigen Erkenntnissen gibt es außer den beiden Unglücksbauten, der venezolanischen und der Genueser Brücke, nur noch eine in Libyen, die nach diesem Bauprinzip errichtet wurde.

Zum Zeitpunkt des Einsturzes am Dienstag waren an der ewigen Baustelle wieder Bauarbeiten im Gang. Die Basis des betroffenen Viadukts sollte verstärkt werden. Die zuständige Autobahnmeisterei versicherte, der Abschnitt sei „unter dauernder Beobachtung und Aufsicht“ gewesen. „Die Einsturzursache werden wir genauer analysieren können, sobald es wieder möglich ist, die Unfallstelle sicher zu betreten.“

Kurz vor dem Einsturz soll ein Blitz eingeschlagen sein

Was den längst problematischen Bau letzten Endes hat einstürzen lassen, ist bisher Gegenstand von Mutmaßungen. So soll kurz zuvor ein Blitz auf der Brücke eingeschlagen sein. Auf dem Handyvideo eines Passanten war ein weißer Lichtstrahl zu sehen, von dem aber unklar ist, ob es sich um einen Blitz handelte. Die Betreibergesellschaft teilte mit, wegen der Bauarbeiten habe ein Kran auf ihr gestanden.

Klar ist, dass die Brücke stark belastet war. Die Autobahn A 10, deren Teil sie ist, ist nicht nur eine wichtige Verkehrsader der Stadt Genua. Deren Hafen, zuvor im Niedergang begriffen, hat in den vergangenen Jahren einen neuen Aufschwung erlebt. Dadurch liefen auch verstärkt Schwertransporte über den Dauersanierungsfall. Nun soll die Brücke endgültig abgerissen werden. (mit dpa)

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