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Die re:publica findet in der Kreuzberger "Station" und Teilen des benachbarten Technikmuseums statt.

© Jens Kalaene/dpa

re:publica in Berlin: Ab jetzt auch mit Bundespräsident

Europas größte Digitalkonferenz re:publica lockt ab Montag Netzaktivisten, Hacker, Unternehmer und Utopisten an. Der Star des Vorjahres sitzt derweil in Haft.

Falls es noch eines Beweises bedurfte, wie relevant die Veranstaltung inzwischen geworden ist, wird dieser Montagfrüh im gepanzerten Dienstwagen vorfahren. Mit Frank-Walter Steinmeier besucht erstmals ein Bundespräsident die re:publica. Er hält die Eröffnungsrede, lässt sich danach durch die Hallen führen, es werden Hände geschüttelt und Höflichkeiten ausgetauscht, als sei das hier die Ifa oder eine Automesse. Notorische Skeptiker werden fragen: Ist die re:publica damit endgültig im Mainstream angekommen? Hat sie gar ihre Seele verkauft?

Knappe Antwort: nein. Mehr als 20 000 Menschen werden in der kommenden Woche an drei Tagen in der Berliner „Station“ erwartet, es sind Netzaktivisten und Hacker, Unternehmer und Utopisten, Künstler und Medienmacher, so viele wie nie. Und obwohl das einstige Klassentreffen Berliner Blogger längst zu Europas größter Digitalkonferenz angewachsen ist, haben die Programmplaner achtgegeben, dass die re:publica auch im 13. Jahr reizvolles Biotop für Neugierige und Nischenfreunde bleibt. Eines, in dem man auf der Hauptbühne über Beziehungssysteme zwischen Mensch und Maschine diskutiert, während nebenan die Datenschutzrisiken der vernetzten Mobilitätswelt skizziert werden und es parallel auf der Bühne hinten links heißt: „Was können Unternehmen von Minecraft lernen?“

Neben Steinmeier hat sich eine nie dagewesene Anzahl an Spitzenpolitikern angekündigt, besonders auffällig ist die Dichte von hochrangigen SPD-Mitgliedern: Finanzminister Olaf Scholz, Arbeitsminister Hubertus Heil und Familienministerin Franziska Giffey kommen, dazu Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, und Berlins Regierender Michael Müller sowie dessen Vorgänger Klaus Wowereit. Es sind derart viele, dass sie teils zeitgleich auftreten. Dazu passt, dass die Partei jüngst ihr Social-Media-Team verstärkt hat – eine Konsequenz aus der Erfahrung, dass der vorübergehende „Schulz-Hype“ aus dem Bundestagswahlkampf 2017 zunächst online entfacht wurde, die „Möglichkeiten der digitalen Welt und ihrer Methoden“ danach laut Eigenanalyse aber „geradezu sträflich vernachlässigt“ wurden.

Edmund Stoiber trifft auf Rapper Eko Fresh

Auch prominente Kulturschaffende werden dieses Jahr mitdiskutieren. Die Schriftstellerin Sibylle Berg, die Schauspieler Katja Riemann, Anna Maria Mühe und Jürgen Vogel, die Berliner Rapperin Sookee. Satirikerin Sophie Passmann plant einen Vortrag mit dem Titel „Ich war ein Jahr ohne Pause im Internet – und das habe ich gelernt“. Ebenso unterhaltsam dürfte das Zusammentreffen des CSU-Ehrenvorsitzenden Edmund Stoiber mit Rapper Eko Fresh werden, sie wollen über den Sinn der Europawahl diskutieren.

Der größte Star des Vorjahres sitzt inzwischen wieder im Gefängnis. Whistleblowerin Chelsea Manning, die 2018 auf der Hauptbühne über ihre Zukunftspläne sprach, wurde im März in Beugehaft genommen. Sie weigert sich, vor einem US-Gericht zu Wikileaks auszusagen. Mannings Schicksal wird auf der re:publica ebenfalls Thema sein. Weitere Schwerpunkte sind Strategien gegen Hassreden und Mobbing im Netz, Deutschlands Rückständigkeit beim Breitbandausbau, der Wandel des Journalismus. Es findet sich aber auch jede Menge Skurriles, Abseitiges, ja Schrulliges im Programm. Dass der Bundespräsident kommt, ist eben kein Beleg dafür, dass sich die re:publica in ihrem Wesen verändert hat – sondern dafür, wie weit das Digitale mittlerweile alle Lebensbereiche durchdringt. Dass die digitale Gesellschaft aus der analogen längst nicht mehr wegzudenken ist.

„tl;dr“ lautet das diesjährige Motto der Konferenz, das ist Internetsprech und steht für „Too long; didn’t read“. Was wiederum ironisch gemeint und eigentlich ein Plädoyer für Tiefenrecherche, Ausdauer und Detailversessenheit ist. Zu viel Bedeutung sollte man dem Kürzel jedoch nicht beimessen. Mit re:publica-Mottos verhält es sich wie mit den Albumstiteln guter Popbands: Möglichst originell sollen sie klingen, jedes Mal muss ein anderer her, aber am Ende erfassen sie sowieso höchstens einen Bruchteil dessen, was in der riesigen Wundertüte steckt.

Von netzpolitischen Kämpfen

Und natürlich gilt: keine re:publica ohne Wundenlecken. Denn während die einen auf der Konferenz über Zukunftstechnologien spekulieren, blicken die anderen auf die netzpolitischen Kämpfe der jüngeren Vergangenheit zurück. Und hier wird die Bilanz dieses Jahr wohl erneut ernüchternd ausfallen. Sowohl die Ausgestaltung der Datenschutz-Grundverordnung als auch die der Urheberrechtsreform inklusive des umstrittenen Artikel 13 waren von Netzaktivisten scharf kritisiert worden. Besonders die Verabschiedung von Artikel 13 – von dem viele annahmen, er werde zu drastischen Beschneidungen der Freiheitsgrade im Internet führen – gilt als Niederlage. Um ihn zu verhindern, gab es deutschlandweit gut besuchte Demonstrationen, die zu einem Umschwung der öffentlichen Meinung im Land führten. Das Europäische Parlament verabschiedete das Gesetz dennoch.

Ausgerechnet der Mann, der die Urheberrechtsreform entscheidend vorangetrieben hat und dabei in der Öffentlichkeit mehrfach erstaunliche Fachunkenntnis bewies, wird nun ebenfalls auf der re:publica zu Gast sein. Der CDU-Europaabgeordnete Axel Voss gilt den Konferenzbesuchern mehrheitlich als Feindbild, kann aber trotzdem mit freundlichem Empfang rechnen. Auch das hat auf der re:publica Tradition. Vor einigen Jahren nahm der damalige EU-Digitalkommissar und mindestens ebenso unbeliebte Günther Oettinger eine Einladung zum Streitgespräch an. Es flogen keine Torten, im Gegenteil: Man ließ ihn ausreden.

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