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Currywurst mit Pommes: Eine gesunde Ernährung ist das nicht gerade.

© picture alliance / dpa

Agrar- und Ernährungsexperte Achim Spiller: „Wir brauchen eine Steuer auf ungesunde Produkte“

Achim Spiller berät Julia Klöckner. Anders als die Ministerin ist er für eine Steuer auf Limo und Fleisch. Hartz-4-Haushalte sollen einen Ausgleich bekommen.

Es war einiges los in den vergangenen Jahren. Die Bauern protestierten wiederholt gegen Umweltauflagen und zu niedrige Preise für ihre Produkte, die Bundesregierung holte sich Rat bei zwei Kommissionen: der Borchert-Kommission zur Nutztierhaltung und der Zukunftskommission Landwirtschaft. In beiden Kommissionen saßen Vertreter der Bauern, Umwelt- und Verbraucherschützer und Wissenschaftler, beide Gremien gaben Empfehlungen für weitreichende Reformen ab.

Achim Spiller war in beiden Kommissionen Mitglied. Der Professor aus Göttingen ist der führende Agrarökonom Deutschlands. Seit Dezember 2020 leitet der Agrarexperte zudem den wissenschaftlichen Beirat des Bundesagrarministeriums.

Herr Spiller, Aldi will in Zukunft kein Billigfleisch mehr verkaufen, andere Lebensmittelhändler ziehen nach. Gibt es jetzt Hoffnung auf eine bessere Tierhaltung in Deutschland?

Es ist ein wichtiger Schritt. Die Handelsunternehmen reagieren damit auf die Vorschläge der Borchert-Kommission zur Nutztierhaltung. In der Kommission gab es ja einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass die Nutztierhaltung besser werden muss und dass man die Landwirte beim Umbau finanziell unterstützen muss.

Die Kommission hatte ja sogar konkrete Vorschläge gemacht und eine Steuer oder eine Abgabe auf Fleisch und andere tierische Produkte vorgeschlagen.
Ja. Leider hat die Politik das nicht umgesetzt, sondern erst einmal Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben. Das hat die ganze Sache verzögert. Deshalb ist es umso wichtiger, dass der Handel nun ein Zeichen setzt und sogar konkrete und ambitionierte Termine nennt.

Der Experte: Achim Spiller ist Wissenschaftler. Sein Rat ist in allen wichtigen Kommissionen gefragt, die sich mit Agrarpolitik befassen.
Der Experte: Achim Spiller ist Wissenschaftler. Sein Rat ist in allen wichtigen Kommissionen gefragt, die sich mit Agrarpolitik befassen.

© Agentur Klein und Neumann

Eigentlich waren sich ja alle Fraktionen einig, dass etwas geschehen muss. Hätte Agrarministerin Julia Klöckner die Reform nicht in dieser Legislaturperiode abschließen müssen?
Man muss einräumen, dass der Weg, den die Borchert-Kommission vorgeschlagen hat, europarechtlich nicht unproblematisch ist. Die Machbarkeitsstudien sollten mögliche Bedenken aus Brüssel ausräumen, in der Sache haben sie aber keine nennenswerten neuen Erkenntnisse gebracht. Man kann sich schon fragen, ob das alles nötig war und so lange dauern musste. Es ist sehr schade, dass die Reform jetzt nicht abgeschlossen wurde. Mit dem Vorpreschen des Handels ist die Fleischsteuer ja möglicherweise vom Tisch.

Wirklich?
Ich hoffe schon, dass die Fleischsteuer kommt. Aber es bildet sich ja jetzt eine neue Form der Finanzierung heraus, eine, bei der sich der Markt und der Staat die Kosten für eine bessere Tierhaltung und den Umbau der Ställe teilen. Die Lösung über den Handel ist europarechtlich einfacher, es liegt ja in der unternehmerischen Freiheit der Händler, nur noch bestimmte Produkte abzunehmen.

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Allerdings müssen die Supermarktketten dann auch schauen, dass sie entsprechende Ware bekommen. Das müssen dann die Schlachtunternehmen organisieren, die anders als der Handel mit den Landwirten Verträge haben. Die Bauern stellen ihre Produktion nur um, wenn sie verlässliche, langlaufende Verträge bekommen und darauf vertrauen können, dass sie im Gegenzug für ihre Investitionen entsprechend höhere Preise bekommen. Ein neuer Stall wird nun mal über 20 Jahre abgeschrieben.

Landidylle. Viele Menschen wünschen sich, dass Nutztiere draußen gehalten werden, und sagen, dass sie dafür auch mehr Geld ausgeben würden.
Landidylle. Viele Menschen wünschen sich, dass Nutztiere draußen gehalten werden, und sagen, dass sie dafür auch mehr Geld ausgeben würden.

© Getty Images/I-Stock

Da wäre es schwierig, wenn vielleicht bereits nach zehn Jahren wieder andere, noch höhere Standards gefordert werden würden.
Wir haben viele Forschungsprojekte zu der Frage gemacht, was Verbraucher von der Tierhaltung erwarten. Die meisten Menschen möchten, dass die Tiere in Freilandhaltung auf der Weide stehen, die meisten akzeptieren aber auch Vorstufen mit halboffenen Ställen wie es sie in der Haltungsstufe drei gibt. Bei den Eiern sehen wir aber, wie dynamisch sich Märkte entwickeln können. Freilandhaltung reicht nicht mehr. Wir haben Bruderküken-Aufzuchtprogramme oder mobile Ställe. Es gibt Kunden, die bereit sind, für mehr Tierwohl einen Euro pro Ei zu zahlen. Das könnte beim Fleisch auch so kommen.

Brauchen einkommensschwache Haushalte eine finanzielle Unterstützung vom Staat, um sich auch dann noch weiterhin Fleisch leisten zu können, wenn die Preise steigen?
Ja, die soziale Kompensation ist sehr wichtig, um die Gesellschaft mitzunehmen. Haushalte mit niedrigem Einkommen geben überproportional viel Geld für Lebensmittel aus, sie wären daher von Preiserhöhungen oder einer Fleischsteuer deutlich stärker betroffen als wohlhabende Haushalte. Nehmen Sie einen Hartz-4-Haushalt, der kann gerade einmal fünf Euro am Tag für Essen und Getränke pro Person ausgeben.

Wie sollte der Ausgleich aussehen?
Es gibt verschiedene Modelle. In der Schweiz werden die Mehrkosten pauschal über die Krankenkasse ausgeglichen. Ich fände es aber besser, wenn die Menschen einmal im Jahr einen Zuschuss bekämen, bei dem klar ist, dass dieser die höheren Preise ausgleichen soll.

Um welchen Betrag geht es?
Die Borchert-Kommission schlägt ja eine Abgabe von 40 Cent pro Kilo Fleisch vor, im Schnitt isst jeder Bundesbürger 60 Kilo Fleisch im Jahr. Allein für das Fleisch wären das daher rund 24 Euro. Nimmt man noch Milch und Eier dazu, sind wir wahrscheinlich bei 40 bis 50 Euro im Jahr.

Käfighaltung: Auch viele Landwirte möchten das nicht mehr.
Käfighaltung: Auch viele Landwirte möchten das nicht mehr.

© imago/blickwinkel

In der Borchert-Kommission, aber auch in der Zukunftskommission Landwirtschaft haben Umweltschützer und Bauern Frieden geschlossen und sich darauf verständigt, dass die Landwirtschaft tiergerechter, ökologischer und qualitativ hochwertiger werden soll. Leider ist es dabei geblieben, entsprechende Gesetze gibt es nicht. Hätte Ministerin Klöckner weniger moderieren und mehr entscheiden müssen?
Ich würde das nicht so personalisieren. Ich finde es sehr gut, dass sich die gesellschaftlichen Gruppen in dieser Legislaturperiode angenähert haben. Das war vor einiger Zeit noch ganz anders. Als wir im Wissenschaftlichen Beirat 2015 in einem Gutachten einen Umbau der Nutztierhaltung gefordert haben, gab es einen Aufschrei in der Landwirtschaft. Das hat sich zum Glück geändert. Jetzt ist man sich einig, dass es einer Transformation bedarf, aber man ist sich auch einig, dass dazu zusätzliches Geld nötig ist. Die fünf Milliarden Euro aus der europäischen Agrarförderung reichen dafür nicht.

Auf EU-Ebene werden jetzt die Weichen für die neue Förderperiode gestellt. Trotz einiger Reformen wird das meiste Geld immer noch nach der Größe der Fläche verteilt. Wurde hier eine Chance vergeben?
Die Zukunftskommission schlägt ja einen Ausstieg aus den Direktzahlungen in den nächsten beiden GAP-Förderperioden vor. Die neue Regierung sollte diese Empfehlung der Zukunftskommission möglichst schnell umsetzen, wegen des Pachtmarkts. Mehr als die Hälfte des Landes gehört den Bauern nicht, sondern ist nur gepachtet, oft mit lang laufenden Verträgen.

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Die Direktzahlungen landen daher zum großen Teil gar nicht mehr bei den aktiven Landwirten, sondern über die hohen Pachtzahlungen bei den Bodeneigentümern. Die Pachtpreise sind in den letzten Jahren stark gestiegen, weil die Verpächter wissen, dass Landwirte als Direktzahlung 270 Euro pro Hektar bekommen. Wenn klar wird, dass die Direktzahlungen auslaufen, können und müssen die Landwirte darauf bestehen, dass die Pachtpreise künftig sinken. Das geht aber nur, wenn die Politik ganz klare Signale sendet.

Bauern als Umweltschützer? Die EU-Agrarförderung soll sich in diese Richtung entwickeln.
Bauern als Umweltschützer? Die EU-Agrarförderung soll sich in diese Richtung entwickeln.

© dpa

Landwirte sollen nicht nur Lebensmittel produzieren, sondern auch klimaschonend arbeiten, Insekten schützen und ihre Tiere schonend behandeln. Fühlt sich da nicht manch einer überfordert, wenn er vom Lebensmittelproduzenten zum Landschaftspfleger wird?
Der Beruf wandelt sich. Früher ging es darum, möglichst günstig für den Weltmarkt zu produzieren und sich vom Staat zu lösen. Jetzt spielen Nachhaltigkeit und andere Werte eine große Rolle, und der Staat mischt sich ein. Da kommt nicht jeder mit.

Hierzulande ändern sich ja auch die Ernährungsgewohnheiten. Viele Menschen trinken inzwischen Hafer- statt Kuhmilch oder essen Veggie-Schnitzel statt Schnitzel vom Schwein. Raten Sie Ihren Studierenden heute eigentlich noch dazu, Kühe zu halten?
Bei den Studierenden ändert sich echt etwas. Die Bereitschaft, in neue Geschäftsfelder zu gehen, ist groß. Soll ich Kaffee aus Lupinen machen, soll ich meine Produkte direkt vermarkten? Um solche Fragen geht es. Die Älteren haben da mehr Probleme. Sie empfinden den Wandel als mangelnde Wertschätzung ihrer Arbeit. Dabei haben 80 Prozent der Bürger, die wir unlängst zu den Bauernprotesten gefragt haben, gesagt, dass sie Landwirte sehr schätzen und sie unterstützen möchten. Aber sie lehnen das System ab, das was sie als Massentierhaltung empfinden und andere Verwerfungen.

Dickmacher: Viele Softdrinks enthalten zu viel Zucker.
Dickmacher: Viele Softdrinks enthalten zu viel Zucker.

© dpa

Was die Ernährung betrifft, so setzt Ministerin Klöckner auf Selbstverpflichtungen der Ernährungsindustrie, in denen die Wirtschaft verspricht, weniger Zucker, Fett und Salz bei ihren Rezepturen zu verwenden. Hat das geklappt?
Man weiß aus der internationalen Forschung, dass Reformulierungen auf Basis von Selbstverpflichtungen einen kleinen Beitrag leisten, aber eben nur einen kleinen. Man braucht weitere Instrumente. Der Nutriscore als Nährwertkennzeichnung ist so eines, aber wir brauchen auch Steuern auf ungesunde Produkte.

Warum?
Rein freiwillige Lösungen stoßen an ihre Grenzen, wenn nicht alle mitmachen und sich die Produkte der Hersteller, die mehr Fett, Salz oder Zucker verwenden, besser verkaufen, weil die Verbraucher an diesen Geschmack gewöhnt sind.

Kommt die Limosteuer in der nächsten Legislaturperiode?
Na ja, selbst die Ernährungsindustrie sperrt sich ja nicht mehr durchgängig. Softdrinks sind Dickmacher, und aus anderen Ländern wissen wir, dass eine Steuer wirkt – auch zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. Damit kann man eigentlich gar nichts falsch machen.

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