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Pharmabranche: Berliner schlucken Pillen für 500 Euro im Jahr

Berliner Kranke nehmen sehr viele Arzneimittel – aber selten die neuesten Präparate, sagen die Kassen.

Ob Patienten in Deutschland neu entwickelte Medikamente erhalten, hängt stark von ihrem Wohnort ab. Nach einer Studie des IGES-Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung verordnen Ärzte in Bremen und Niedersachsen diese Arzneimittel am seltensten. Ihr Anteil dort liegt bei 0,54 beziehungsweise 0,76 Prozent der verordneten Tagesdosen. Weit häufiger dagegen kommen frisch auf den Markt gebrachte Mittel im Osten zum Einsatz. In Sachsen beträgt ihre Quote 1,4 Prozent, in Thüringen und Sachsen-Anhalt 1,29 Prozent. Berlin und Brandenburg rangieren mit jeweils etwa einem Prozent im Mittelfeld.

Der Verband forschender Pharma-Unternehmen (Vfa) warnte Politik und Krankenkassen davor, kranken Menschen neue Arznei vorzuenthalten. Im vergangenen Jahr hätten die Hersteller 31 Medikamente mit neuen Wirkstoffen auf den Markt gebracht, sagte Vfa-Chef Wolfgang Plischke. Wichtige Fortschritte gebe es etwa bei der Behandlung von Hirntumoren oder Prostatakrebs. Dass Ärzte die innovativen Mittel eher aus ökonomischen als aus medizinischen Gründen zurückhalten, zeigt sich nach Ansicht des Pharma- Experten Bertram Häussler daran, dass deren Verbrauch nach dem Auslaufen des Patentschutzes exakt dort drastisch ansteigt, wo er vorher sehr niedrig war. „Das zeigt, dass die Ärzte die neuen Medikamente keinesfalls für verzichtbar halten.“ Allerdings seien deren Preise dann eben um bis zu 80 Prozent gesunken.

Der Studie zufolge gaben die gesetzlichen Kassen im vergangenen Jahr 29,2 Milliarden Euro für Arzneimittel und Impfstoffe aus. Das waren 5,3 Prozent mehr als 2007. Die Steigerung liege im Rahmen des Üblichen, sagte Häussler, seit 1998 habe die Steigerung pro Jahr fast immer 1,4 Milliarden Euro betragen. Einen Knick nach unten gab es nur 2004, als frei verkäufliche Arznei nicht mehr von den Kassen erstattet wurde. An dem Anstieg um 7,6 Prozent im Jahr 2007 hatte dagegen die Mehrwertsteuererhöhung großen Anteil. Besonders ins Gewicht fielen im vergangenen Jahr Umsatzsteigerungen bei Mitteln gegen Rheuma und Bluthochdruck. Die Einsparungen durch Rabatte (675 Millionen Euro) allerdings seien bei dem Anstieg nicht eingerechnet, sagte Häussler. Würden sie mit berücksichtigt, liege er bei nur 4,1 Prozent.

Auf den höchsten Arzneiverbrauch pro Kopf kam Mecklenburg-Vorpommern mit 499 Euro, gefolgt von Berlin und Sachsen-Anhalt mit 496 Euro. Am sparsamsten waren die Ärzte in Bayern und Schleswig-Holstein, sie verordneten im Schnitt jedem Patienten Arznei im Wert von 387 beziehungsweise 388 Euro. Wenn man Alter und Krankheitsstand mit berücksichtige, komme allerdings Baden-Württemberg auf die großzügigste und Bremen auf die niedrigste Quote, sagte Häussler.

Den Arzneipreisen „systemsprengende Kraft zu unterstellen“ gehe an der Realität vorbei, betonte Plischke. Bis Juni 2009 habe der Preisanstieg 0,4 Prozent betragen. Damit liege man unter den allgemeinen Verbraucherpreisen. Auch der medizinische Fortschritt gebe „keinen Anlass zur Sorge“, so der Verbandschef. „Er ist planbar und finanzierbar.“ Wenn in den nächsten Monaten keine Pandemie ausbreche, könne man den diesbezüglichen Zielwert einer 6,6-prozentigen Steigerung halten oder sogar unterschreiten.

Zur Zeit arbeite die Pharmaindustrie an 442 neuen Arzneitherapien, die bis 2013 Zulassungsreife erlangen könnten, sagte Plischke. Die neuen Mittel richteten sich gegen mehr als 130 Krankheiten. Im Zentrum der Bemühungen stehe der Kampf gegen Krebs, allein ein Drittel der innovativen Therapien konzentriere sich darauf. Allerdings sei fraglich, ob alle Patienten von den Fortschritten profitieren könnten. Während der Anteil innovativer Arznei in Frankreich, Spanien oder Italien bei 13 Prozent liege, betrage er in Deutschland gerade einmal sechs Prozent.

Dass nicht jedes neue Mittel besser sei, betonte dagegen der GKV-Verband. Was medizinisch notwendig sei, werde von den Kassen bezahlt, sagte Sprecherin Ann Martini. Allerdings müssten die Ärzte beim Verschreiben auch auf Wirtschaftlichkeit achten. Der Verband befürchtet eine Kostenexplosion durch neue Arzneimittel, insbesondere im gentechnischen Bereich, und drängt deshalb auf eine strengere Kosten- Nutzen-Bewertung.

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