zum Hauptinhalt
Island ist berühmt für seine Naturspektakel wie hier Geysire. Nach der Fußball-EM wird ein Touristen-Boom erwartet.

© AFP/Thorvaldur Orn Kristmundsson

Wirtschaftsboom und Wikinger-Bräuche: Das Wunder von Island - nicht nur beim Fußball

Nach einer schweren Krise boomt Islands Wirtschaft wieder. Und wenn's richtig gut läuft, werfen die Wikinger auch mal mit Quark um sich.

McDonalds hat die Flucht ergriffen, nach der Bankenkrise 2008 steckte Island in einer tiefen Depression, der Verfall der Isländischen Krone und die hohen Schutzzölle machten es zu teuer, Fleisch, Salat, Zwiebeln und Käse zu importieren. Der US-Burgerriese ist zwar nicht auf die Insel zurückgekehrt, doch Island steht wirtschaftlich heute wieder erstaunlich gut da – und dank des Erfolgs bei der Fußball-Europameisterschaft könnte der Boom noch weiter anziehen.

Alle wollen den EM-Underdog besuchen

Nach dem 2:1-Sieg am Montag gegen England hat sich die Zahl der täglichen Zugriffe auf der Website Visiticeland.com von 5000 auf mehr als 12 000 verdoppelt, auch die Fluggesellschaften Icelandair und Wow berichten über enorm gestiegen Besucherzahlen auf ihren Seiten. Alle wollen den EM-Underdog besuchen, der am morgigen Sonntag im Viertelfinale auf Frankreich trifft.

Nicht nur beim Fußball gleicht der Erfolg einem Wunder

Doch nicht nur der Erfolg beim Fußball gleicht einem Wunder, auch die schnelle Erholung nach der heftigen Krise ist mehr als erstaunlich. Nach dem Zusammenbruch der US-Bank Lehmann Brothers war Islands fremdfinanziertes Bankensystem mit in den Abgrund gerissen worden, die drei Großbanken Glitnir, Landsbanki und Kaupthing erklärten ihren Bankrott. Eine Entschädigung gab es nur für inländische Kunden, und das auch nur bis zu einer Einlagensicherung von 20 000 Euro. Ausländische Investoren gingen leer aus. Erstmals seit Jahrzehnten musste mit Island ein einst so reiches Land den Internationale Währungsfond (IWF) anpumpen, der einen Beistandkredit von 2,1 Milliarden Dollar zahlte.

Heute, acht Jahre später, gehört Island mit seinen rund 330 000 Einwohnern zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften Europas. Die Arbeitslosenquote liegt bei 3,5 Prozent, der IWF prognostiziert in seinem Länderbericht ein Wachstum von 4,6 Prozent.

Der Wikinger Flokí entdeckte das "Ice Land"

Möglich war die schnelle Erholung einerseits durch den radikalen, aber effektiven Schritt, ausländische Investoren zu enteignen. Weiter wurden Kapitalverkehrskontrollen eingeführt, mit der die Krone im Land gehalten und ein Kollaps der Währung verhindert werden sollte, die rund 70 Prozent ihres Wertes verloren hatte. Zuträglich war ebenfalls, dass die Wirtschaft schon vor der Krise gesund war. Neben dem Tourismus lebt das Land, das vom Wikinger Flokí entdeckt wurde und 930 mit dem Althing das erste Parlament weltweit gründete, von der Fischerei, der Aluminiumverarbeitung und Biotechnologie.

„Unsere größte Herausforderung ist nun, diesen stabilen und sicheren Wachstumskurs fortzusetzen“, sagte Ragnheiður Elín Árnadóttir, Islands Ministerin für Industrie und Innovation, am Freitag dem Tagesspiegel. Dabei würden insbesondere auch die Kapitalverkehrskontrollen im Fokus stehen, die in den kommenden Monaten abgeschafft werden sollen, „was hoffentlich einen positiven Einfluss auf unsere Wirtschaft haben wird“.

Auch der Regierungschef ist live im Stadion dabei

Im Herbst stehen Neuwahlen an, nachdem sich Regierungschef Sigmundur David Gunnlaugsson im Zuge der Veröffentlichung der Panama Papers zurücktreten musste. Vergangenen Samstag war der parteilose Historiker Gudni Johannesson zu seinem Nachfolger gewählt worden.

Er will am Sonntag seinem Team live im Pariser Stade de France die Daumen drücken, ebenso Industrieministerin Árnadóttir, die auf einen Sieg ihrer Mannschaft tippt. Ist überhaupt noch jemand auf der Insel? „Selbstverständlich“, sagt die Ministerin, „die Wirtschaft wird am Laufen gehalten vom Rest der 90 Prozent, vielleicht ein bisschen langsamer, wenn unsere Mannschaft spielt, dafür aber mit einem großen Lachen auf dem Gesicht.“

"Island ist sicher, aber exotisch"

Auch Árnadóttir erwartet durch die EM einen positiven Effekt auf den Tourismus, der jedoch bereits seit 2011 um 121 Prozent gewachsen sei. „Zu unseren vordersten Aufgaben gehören deshalb weitere Investitionen in die Infrastruktur, um diesem Andrang gerecht werden zu können.“

Ausgelassen jubelte Islands Nationalelf nach dem 2:1 gegen England.
Ausgelassen jubelte Islands Nationalelf nach dem 2:1 gegen England.

© dpa

Warum plötzlich alle Menschen nach Island wollen, weiß der Botschafter in Berlin, Gunnar Snorri Gunnarsson: „Wir sind ein sicheres europäisches Land, das aber gleichzeitig etwas exotisch ist.“ Viele Leute würden sich im Urlaub nicht nur erholen wollen, sondern auch Abenteuer erleben, „und da hat Island viele Besonderheiten zu bieten“.

Lernen Kinder den Schlachtruf "Hu!" schon in der Schule?

Wer aber hofft, dort auf den Straßen täglich ein lautes „Hu!“ zu hören, wie es Fans und Team zu ihrem Schlachtruf gemacht haben, den muss Gunnarsson enttäuschen. „Das ist nicht etwa eine alte Wikinger-Tradition, die schon unsere Kinder in der Schule lernen, sondern das hat sich die Mannschaft spontan ausgedacht.“ Dafür nehmen Islands Fußballer eine andere Tradition wortwörtlich: „Wer es sich leisten kann, wirft mit Skyr um sich“, lautet ein Spruch. Skyr ist ein isländischer Quark, mit dem sich manche Sportler nach erfolgreichem Spiel begießen – eine Bierdusche wäre angesichts der hohen Alkoholpreise ohnehin zu teuer.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false