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Roman Kirsch, Gründer des Modeunternehmens Lesara, muss sich darauf einstellen, dass sein Start-up abgewickelt wird.

© Kai-Uwe Heinrich

Modehändler Lesara: Der Shooting-Star der Berliner Start-ups steht vor dem Aus

Es sah aus, als könne der einst gefeierte Onlineshop Lesara gerettet werden. Doch in letzter Sekunde sprang ein Investor ab. Die Geschichte eines tiefen Falls.

Es war am Donnerstagabend zu später Stunde. Noch bis Mitternacht hatte das Berliner Start-up Lesara Zeit, einen Investor zu finden. Ansonsten wäre wohl Schluss für den Online-Modehändler. Der vorläufige Insolvenzverwalter der Lesara AG, Christian Graf Brockdorff, hatte in den vergangenen Tagen die finalen Details des Kaufvertrags mit einem strategischen Investor ausgehandelt; es sah aus, als könnte das insolvente Unternehmen doch noch gerettet werden.

Doch in letzter Sekunde kam alles anders. „Kurz vor Unterschrift des endverhandelten Vertrages hat sich dieser Investor gestern überraschend zurückgezogen“, teilte Brockdorff am Freitag Mittag mit. Damit steht Lesara vor dem Aus.

Das 2013 gegründete Unternehmen galt als Shooting-Star der Berliner Start-up Szene. Lesara ist ein Online-Shop für günstige Klamotten. Zielgruppe ist vor allem die Kundschaft von Geschäften wie H&M oder Primark. Bekannt war Lesara dafür, dass das Start-up mit Hilfe von Algorithmen soziale Netzwerke wie Instagram oder Facebook durchforsten und damit schneller als die Konkurrenz Trends wittern konnte. Simpel gesprochen registrierte Lesara so, wenn besonders viele User ihrer Zielgruppe über Einhörner sprachen, und designte daraufhin T-Shirts mit Einhörnern.

Um diese Kleidungsstücke dann auch möglichst schnell verkaufen zu können, verzichtete Lesara auf Zwischenhändler und arbeitete direkt mit Produzenten in China zusammen. Dort unterhielt das Unternehmen Standorte in Guangzhou und Shenzhen. Zehn Tage nachdem das System die Einhörner registriert hatte, waren die T-Shirts online verfügbar.

Das schnellstwachsende Start-up Deutschlands

Der Erfolg stellte sich schnell ein. Laut Branchenexperten lag der Umsatz schon zwei Jahre nach dem Start bei 30 Millionen Euro, in den Folgejahren stieg er rapide an. 2016 kürte das Wirtschaftsmagazin Gründerszene Lesara als schnellstwachsendes Start-up Deutschlands. 2018 war das Unternehmen in 24 Ländern aktiv und beschäftigte mehr als 300 Mitarbeiter. Im August 2018 hatte Lesara ein eigenes 60.000 Quadratmeter großes Logistikzentrum bei Erfurt eröffnet.

Grund für den Sonderstatus in der Szene war wohl auch der charismatisch auftretende Gründer Roman Kirsch. Sein erstes Unternehmen, den Möbel-Shoppingclub Casacanda, gründete er direkt nach seinem Master-Abschluss an der London School of Economics im Alter von 23 Jahren – acht Monate später verkaufte er das Start-up für zehn Millionen Dollar an das US-amerikanische Designunternehmen Fab.

2016 wählte ihn das US-Wirtschaftsmagazin Forbes zu den wichtigsten „30 unter 30“ im Bereich Onlinehandel. Auch bei Lesara gab er stets den gut gelaunten Frontmann und hatte erst im vergangenen Jahr in der Vox-Sendung „Das Vorstellungsgespräch“ nach neuen Mitarbeitern für Lesara gesucht.

Vielleicht auch deshalb traf die Zahlungsunfähigkeit von Lesara die Berliner Start-up-Szene so überraschend. Im November hatte das Unternehmen mit Sitz an der Jannowitzbrücke Insolvenz angemeldet. Insgesamt hatten Investoren seit Gründung des Modehändlers rund 90 Millionen Euro in das Geschäft gesteckt, doch dem Unternehmen, das zunächst bewusst auf Wachstum, nicht auf Profit gesetzt hatte, war dennoch das Geld ausgegangen. Bisherige Investoren, darunter bekannte Namen wie Northzone, Mangrove Capital Partners und Vorwerk Ventures, waren nicht bereit, eine Brückenfinanzierung zu bewilligen.

Streit um Logistikzentrum in Erfurt

Eine Schlüsselrolle für die Pleite nimmt wohl das neue Logistikzentrum in Thüringen ein. Für das 40 Millionen Euro teure Projekt hatte Lesara auch Fremdkapital und Subventionen vom Land Thüringen eingeplant, musste das Geld jedoch zunächst vorstrecken, wie Kirsch in einem Interview mit Gründerszene im Januar sagte.

Mit Geld von der Sparkasse Mittelthüringen wollte Lesara die Zeit überbrücken, bis die vom Land zugesagten Fördermittel auszahlt werden sollten. Doch dieses Geld von der Sparkasse „kam für Lesara zu spät“, sagte Kirsch nun gegenüber dem Tagesspiegel. Er betont dabei aber: „Die Sparkasse Mittelthüringen trägt keine Mitschuld für den Insolvenzantrag von Lesara.“ Damit ruderte er zurück, nachdem er den Zeitpunkt der Auszahlung zuvor als „einen großen, aber nicht den einzigen Faktor“ für die Insolvenz bezeichnet hatte.

Für Lesara sieht es nun schlecht aus. Bis Ende Januar konnten die laufenden Kosten aus dem Insolvenzgeld bestritten werden, ab dem 1. Februar müsste das Unternehmen alle Gelder wieder selbst zahlen. Da das ohne Investor nicht möglich ist, soll das Insolvenzverfahren nun eröffnet werden.

Mitarbeiter haben Kündigungen erhalten

Weitere ernsthafte Interessenten für den Geschäftsbetrieb der Lesara AG seien derzeit nicht bekannt, teilte Insolvenzverwalter Brockdorff mit. Für das Logistikzentrum, das von der Tochtergesellschaft Lesara Logistics SE betrieben wird, gebe es jedoch mehrere Interessenten. Hier strebe man eine baldige Übernahme an.

Auch für das bereits stark geschrumpfte Team sieht es schlecht aus. Mit 50 Mitarbeitern will Lesara in den kommenden Monaten seinen kompletten Lagerbestand im Online-Shop verkaufen, der zu diesem Zweck vollständig aufrecht erhalten wird. Die übrigen rund 20 verbliebenen Mitarbeiter werden freigestellt. Alle Mitarbeiter der Lesara AG hatten bereits diese Woche vorsorglich die Kündigung erhalten. Sie hätten auch im Fall einer Investorenlösung ihre Anstellung zunächst verloren, hätten aber im Rahmen einer sogenannten „Geschäftsbesorgung“ für den neuen Eigentümer wieder tätig sein sollten. Der Geschäftsbetrieb der Logistiktochter geht unterdessen vollumfänglich weiter. Dort sind 80 Mitarbeiter beschäftigt.

Auch vor der Insolvenz stand Lesara immer wieder in der Kritik. Verbraucherschützer warfen dem Start-up eine unklare Preispolitik vor. Mit System würde Lesara neben dem eigentlichen Preis höhere, aber durchgestrichene Preisangaben machen und so Schnäppchen suggerieren, die es gar nicht gibt. Umweltschützer standen Lesara skeptisch gegenüber, weil ihr Ansatz von „Fast-Fashion“ keinen nachhaltigen Gebrauch von Kleidungsstücken fördern würde.

Menschenrechtler kritisierten Lesara wegen ihrer Produktion in China. Und das Manager Magazin schrieb in dieser Woche, Lesara habe seine Umsätze in den Bilanzen mit fragwürdigen Mitteln aufgepumpt. Kirsch wies jedoch alle Vorwürfe stets zurück. So betonte er etwa, dass er die Arbeitsbedingungen in den dortigen Fabriken besser beurteilen könne als andere Unternehmen, weil er keine Zwischenhändler habe. Auch die Umsatz-Vorwürfe bezeichnete Lesara als falsch. Zumindest um solche Fragen muss sich Kirsch nun keine Sorgen mehr machen.

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