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Chaos um Beherbergungsverbote: Fast jeder Zweite ändert Reisepläne
Vor den Verhandlungen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten zeigt eine Studie: Knapp die Hälfte der Deutschen ändert ihre Urlaubspläne.
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„Vielleicht schaffen wir es alle zusammen, mal für den Herbsturlaub und vielleicht auch gleich für den Weihnachtsurlaub mit, nicht so weit zu fahren“, sagte Jens Spahn (CDU) im September, „sondern einfach mal die Schönheit Deutschlands zu genießen.“ Viele Urlauber haben auf den Gesundheitsminister gehört – und werden von den Bundesländern nun via Beherbergungsverbot ausgeladen.
Erst das Europa-, nun das Deutschland-Geschäft: Das Hin und Her bei den Corona-Regeln für den Reiseverkehr erschwert es der Branche, wieder auf die Beine zu kommen. Bei Auslandsreisen war es die Quarantäne, die ab dieser Woche die Tests ersetzen soll, die zu einer Stornierungswelle führte. Im Inland ist es nun der fast über Nacht eingeführte Übernachtungsstopp für Reisende aus Risikogebieten. Mit „Last Minute“ ist eigentlich etwas anderes gemeint.
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Morgen hat die Ministerpräsidenten-Konferenz die Möglichkeit, das Durcheinander zu ordnen. Armin Laschet (CDU) aus Nordrhein-Westfalen und Michael Müller (SPD) aus Berlin wollen eine Rücknahme des Beherbergungsverbots auf die Agenda setzen. Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) wimmelt aber ab. Das sei eine „echte Notfallmaßnahme“, um die Pandemie zu bremsen. Unterstützung kommt dagegen von Gesundheitsexperten wie Karl Lauterbach, dem sonst nicht gerade mangelnde Vorsicht nachgesagt wird.
„Da wurde ein Fehler gemacht, das müsste abgeräumt werden“, sagte der SPD-Politiker am Montag. Solche Reisen seien kein Pandemietreiber. „Wenn man Regeln wie diese trotzdem aufrechterhält, verliert man die Unterstützung der Bevölkerung für Regeln, die sinnvoll und wichtig sind“, warnte Lauterbach. Viele Details wirkten zudem willkürlich.
Städtetag hält Reise-Stopp für „nicht durchdacht“
„Wir haben keine Hinweise darauf, dass Hotels oder der Verkehr mit Bus und Bahn Hotspots sind“, sagte auch der Präsident des Deutschen Städtetages, Burkhard Jung (SPD). Deshalb wirke der Reise-Stopp „nicht durchdacht“ – „da wird man noch mal rangehen müssen“. Zumindest für mehr Einheitlichkeit plädiert Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU): „Es muss zwingend eine klare Regelung geben, damit jeder Bürger weiß, woran er ist.“
Selbst, wenn sich Bundesländer und Bund morgen einigen: Die Herbstferien sind für viele Bürger gelaufen. Mit 45 Prozent gibt knapp die Hälfte der Deutschen an, ihre Reisepläne wegen des Beherbergungsverbots für Urlauber aus innerdeutschen Corona-Risikogebieten zu ändern. Das zeigt eine repräsentative Civey-Umfrage für Tagesspiegel Background. 42 Prozent ändern ihre Reisepläne bislang nicht und gut 13 Prozent sind ratlos.
Vor allem Stadtbewohner stornieren massenhaft, da vor allem Metropolen zunehmend zu den Risikogebieten zählen. Je weniger Einwohner eine Region hat, desto seltener ändern sich dementsprechend die Urlaubspläne. Außerdem zeigen sich Unterschiede zwischen Jüngeren und Älteren. Bei den 18- bis 29-Jährigen ändern etwa 37 Prozent ihre Urlaubspläne, bei den über 65-Jährigen sind es dagegen mehr als 50 Prozent. „Unentschieden“ antwortet in allen Altersgruppen mindestens jeder Achte. Am größten ist die Ratlosigkeit übrigens bei den 40- bis 49-Jährigen: Fast 15 Prozent wissen noch nicht, ob sie ihre Reisepläne ändern.
Unabhängig von den eigenen Urlaubsplänen hält eine knappe Mehrheit das Beherbergungsverbot für richtig. 52 Prozent der Befragen geben an, die Maßnahme sei „angemessen“. Je älter die Teilnehmer der Umfrage sind, desto höher steigt die Zustimmung. Während bei den unter 30-Jährigen rund 42 Prozent das Beherbergungsverbot angemessen finden, steigt die Zustimmung zu der Maßnahme auf mehr als 56 Prozent bei den Rentnern.
Schwarz-grüne Koalition für Beherbergungsverbot
Unterschiede zeigen sich nicht nur im Alters- und Stadt-Land-Gefälle, sondern auch bei den Anhängern unterschiedlicher Parteien. Bei CDU/CSU-Wählern hat das Beherbergungsverbot die meisten Unterstützer – fast zwei Drittel sagen, es sei angemessen. Bei den Grünen sind es knapp 60 Prozent, bei der SPD genau die Hälfte. Bei FDP und Linkspartei sind es mit 40 Prozent und 45 Prozent deutlich weniger. Einfach gesagt: Ältere Konservative vom Land können dem Reise-Stopp mehr abgewinnen als jüngere Liberale aus der Stadt.
Mit dem innerdeutschen Beherbergungsverbot sowie den neuen Quarantäne-Vorschriften für Reiserückkehrer aus internationalen Risikogebieten, die ab Donnerstag gelten sollen, gewinnt auch die Frage nach der Verfügbarkeit und Anerkennung von Covid-19-Tests für die Reisebranche weiter an Bedeutung. Die Wirtschaft trommelt seit Wochen dafür, etwa die neuen Schnelltests schnell verfügbar zu machen und massenhaft einzusetzen (Tagesspiegel Background berichtete).
In der neuen Teststrategie, über die das Corona-Kabinett gestern beraten hat und die am Donnerstag in Kraft treten soll, hat die Reisewirtschaft allerdings keine Priorität. Für Urlauber aus innerdeutschen Risikogebieten, die mit einem negativen Test das Beherbergungsverbot umgehen können, ist in der Verordnung nichts vorgesehen. International Reisende sollen aus Risikogebieten direkt in Quarantäne – und dann selbst schauen, wo sie einen Test machen, um diese zu beenden. Die Tourismusbranche mit ihren europaweit 23 Millionen Arbeitsplätzen kritisiert das als De-facto-Lockdown für den Sektor.
Felix Wadewitz
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