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Die Einträge zur Krankenversicherung sind auf einer Gehaltsabrechnung zu sehen.

© dpa/Jens Büttner

„Abgaben werden ungebremst steigen“: Ökonomen warnen vor deutlich höheren Sozialbeiträgen

255 Euro müssen 2025 im Schnitt mehr für die Krankenkasse bezahlt werden. Forscher fürchten, dass die Abgaben auch für Pflege und Rente unter Schwarz-Rot weiter klettern – mit schweren Folgen.

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Schlechte Nachrichten für die Bundesbürger: Krankenkasse, Pflege, Rente – die Sozialbeiträge in Deutschland könnten nach übereinstimmender Erwartung von Experten bereits 2026 Jahr erneut spürbar steigen. Was steckt hinter der Entwicklung? Und wie bewerten Ökonomen den Umgang der sich anbahnenden schwarz-roten Koalition damit?

„Ich erwarte, dass die Krankenkassenbeiträge ohne Reformen in den kommenden zwei Jahren jeweils um rund 0,2 Beitragssatzpunkte steigen“, sagte der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Der Koalitionsvertrag verschärft das Problem.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)

Bereits zum Jahreswechsel musste ein Durchschnittsverdiener laut dem Berliner Forschungsinstitut IGES „einen sprunghaften Anstieg der Beitragsbelastung“ verkraften. In diesem Jahr seien dann im Schnitt 255 Euro mehr für die Krankenkasse zu zahlen. Der Zusatzbeitrag zum allgemeinen Satz von 14,6 Prozent war Anfang 2025 auf im Schnitt 2,9 Prozent gestiegen. „Ohne weitere Maßnahmen werden diese Belastungen zunehmen“, sagte IGES-Geschäftsführer Martin Albrecht der dpa.

Innerhalb der kommenden zehn Jahre erwartet IGES einen Anstieg der Belastung durch die gesamten Beiträge der einzelnen Sozialversicherungen von gut 42 auf 49 Prozent – je nach genauer Entwicklung werde der Wert dann zwischen 46 und 53 Prozent liegen.

Forscher erwarten keine strukturellen Reformen

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sagte: „Der Koalitionsvertrag verschärft das Problem: Anstelle von Vorschlägen zu einer Begrenzung des künftigen Beitragsanstiegs gibt es hier teure Versprechungen wie beispielsweise ein stabiles Rentenniveau und eine ausgeweitete Mütterrente.“

Auch der Mannheimer Ökonom Nicolas Ziebarth erwartet keine „strukturellen Reformen“ zur Senkung des wachsenden Kostendrucks in den Sozialversicherungen. „Die Sozialabgaben werden also ungebremst steigen“, sagte der Wissenschaftler am Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). „Die steigenden Sozialbeiträge sind heute eine der drängendsten Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft.“

Abgaben behindern Konjunkturerholung

Die Abgabenbelastung gilt als eins der vordringlichen Hemmnisse für ein stärkeres Anspringen der Konjunktur in Deutschland. „Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass wir das dritte Jahr hintereinander eine Rezession mit schrumpfender Wirtschaftsleistung erleben“, sagte Fratzscher.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), erwartet eine weiter schrumpfende Wirtschaftsleistung.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Die Zölle von US-Präsident Donald Trump und die Folgen des russischen Kriegs in der Ukraine verschärften die Lage. „Wir bräuchten aber auch wieder mehr privaten Konsum in Deutschland“, sagte Fratzscher. „Hohe Sozialabgaben wirken hier deutlich dämpfend“, so der DIW-Chef. „Wenn die Menschen in Deutschland nicht wieder mehr ausgeben, wird nachhaltige konjunkturelle Erholung kaum gelingen.“

Nötige Reformen werden verschoben

Auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt sich besorgt über die Ankündigungen von CDU/CSU und SPD. „Reformen werden verschoben, weil sich die Koalitionspartner nicht einigen können“, kritisierte IW-Steuer- und Sozialexperte Jochen Pimpertz. Stattdessen bringe die neue Koalition viele Kommissionen auf den Weg – etwa für die Zukunft der Kranken- und der Pflegeversicherung.

„Den Kommissionen, die Reformen für die Koalition vorschlagen sollen, fehlt ein klarer Auftrag“, sagte Pimpertz der dpa. „Und sie kommen zu spät.“ So sollten Vorschläge für die Krankenversicherung erst 2027 vorliegen. Aus Sicht von Pimpertz reicht das nicht: „Diese werden eher im nächsten Bundestagswahlkampf zerredet, als dass sie umgesetzt werden.“

Da werden auch unangenehme Entscheidungen getroffen werden müssen. Wir sollten den Menschen nicht Sand in die Augen streuen.

Thorsten Frei, Unions-Parlamentsgeschäftsführer (CDU)

CDU-Chef Friedrich Merz hatte unmittelbar nach der Einigung auf den Koalitionsvertrag Reformen bei Gesundheit, Pflege und Rente zugesichert. Entsprechende Veränderungen könnten nicht im Rahmen von Koalitionsverhandlungen beschlossen werden. Sofort nach dem Regierungsantritt würden entsprechende Kommissionen berufen, sagte der voraussichtlich nächste Bundeskanzler am 10. April im ZDF.

Thorsten Frei (CDU) war einer der Chefunterhändler der Union in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Unions-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) kündigte vor dem Osterwochenende Einschnitte im sozialen Sicherungssystem an. Frei sagte dem Portal „Table Briefings“ nach Angaben vom Freitag: „Gesundheit, Pflege und Rente, das sind die großen Herausforderungen. Da werden auch unangenehme Entscheidungen getroffen werden müssen.“ Angesichts des demografischen Wandels brauche es „eine veränderte Prioritätensetzung“.

Frei, einer der Chefverhandler der Union in den Koalitionsgesprächen mit der SPD, erwartet eine Umschichtung der öffentlichen Ausgaben. Wenn etwa die Ausgaben für Verteidigung erhöht werden müssten, gehe das zwangsläufig auf Kosten anderer Aufgaben. „Das kann ja gar nicht anders möglich sein.“ 

Sozialverband fordert von Merz sichere Rente

Der CDU-Politiker plädiert dafür, die Botschaft offen auszusprechen: „Wir sollten den Menschen nicht Sand in die Augen streuen“, sagte Frei. Der mündige Bürger sei der Maßstab. „Wir leben in einer aufgeklärten Gesellschaft, deshalb ist Paternalismus nicht notwendig.“

Der Sozialverband VdK vermisst bei den Plänen der geplanten neuen Bundesregierung den großen Wurf. Der Blick auf den Koalitionsvertrag und jüngste Äußerungen von Merz zeigten, dass sich die neue Koalition davor drücke, die gesetzliche Rente jetzt schon zukunftsfähig aufzustellen, so Präsidentin Verena Bentele am Ostersonntag.

„Wer die gesetzliche Rente dauerhaft auf sichere Füße stellen will, muss auch die Einnahmeseite verbessern und darf in dieser unsicheren Weltlage nicht nur auf Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum setzen“, so Bentele. (dpa, lem)

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