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Der Cottbuser Ostsee bietet Naherholung auf dem Gelände eines ehemaligen Braunkohletagebaus.

© IMAGO/Andreas Franke

Fünf Jahre nach dem Kohlekompromiss: Nix war’s mit dem großen Plan der vielen neuen Arbeitsplätze

40 Milliarden Euro zahlen Bund und Länder, damit in den betroffenen Regionen die Transformation von 20.000 Arbeitsplätzen gelingt. Doch es gibt zu wenig Neuansiedlungen.

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Dow Chemical als Menetekel: Der Chemiekonzern stellt seine Standorte in Mitteldeutschland (Schkopau und Böhlen) wegen der Energie- und Rohstoffkosten infrage. Damit sind nicht nur Hunderte Arbeitsplätze direkt in Gefahr, sondern die Chemieindustrie als alternativer Beschäftigungsort für Arbeitnehmer aus der Kohle könnte verschwinden.

„Es brodelt an der Basis“, sagt Daniela Kolbe vom DGB in Sachsen. „Die Zukunftsbranchen, wo wir unsere Leute unterbringen wollten, brechen weg“, ergänzt Matthias Lindig, Betriebsratsvorsitzender bei der Mibrag (Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft). Auch die Autoindustrie baut ab, vor allem VW in Zwickau.

Vor fünf Jahren beschloss der Bundestag ein Kohleausstiegsgesetz auf der Basis eines historischen Kompromisses: Ausstieg aus der Braunkohle bis spätestens 2038 und Einstieg in die langfristige Strukturentwicklung der betroffenen Regionen – das sind vor allem die Lausitz und das Rheinische Revier mit Tagebauen und Kraftwerken.

Zwei Millionen Euro für jeden Kohle-Arbeitsplatz?

Niemand der insgesamt 20.000 Beschäftigten sollte ins Bergfreie fallen, dafür griff die Politik tief in den Steuertopf: 40 Milliarden Euro von Bund und Ländern für einen erfolgreichen Strukturwandel, und das heißt an erster Stelle: gut bezahlte Arbeitsplätze.

500
Projekte wurden bislang auf den Weg gebracht

Aus Sicht von Arbeitnehmervertretern ist das bislang nur halbwegs gelungen, wie bei einer Tagung der DGB-Initiative „Revierwende“ in Berlin deutlich wurde. „Revierwende“ gehört zu den 500 Projekten, die bislang mit den Milliarden auf den Weg gebracht wurden.

Zu den größeren Vorhaben gehört das neue ICE-Instandhaltungswerk in Cottbus mit gut 1000 Arbeitsplätzen, der Ausbau der Carl-Thiem-Klinik zur Medizinischen Universität Lausitz, der ersten Uniklinik im Land Brandenburg, zehn Schienenprojekte und der massive Ausbau von Erneuerbarer Energie sowie Energiespeichern.

„Der Stellenabbau ist ausgeblieben, die betroffenen Regionen entwickeln sich nicht schlechter als andere“, zog Elga Bartsch, Abteilungsleiterin im Bundeswirtschaftsministerium, eine Zwischenbilanz. „Wir haben den Ruf nach Industriearbeitsplätzen gehört und investieren in die Rahmenbedingungen.“ Bartsch warb auch um Geduld, zumal der Ausbau der Infrastruktur Zeit brauche.

Mit den „wahnsinnig großen Summen“ sollte auch etwas Einmaliges geschafft werden, meinte der Ökonom Jens Südekum und äußerte Zweifel. Umgerechnet auf die Kohlebeschäftigten würden je Arbeitsplatz zwei Millionen Euro ausgegeben. Von einem derartigen „special treatment“ könnten andere Branchen nur träumen, auch die viel relevanteren: In rund 70 Autoclustern hierzulande arbeiten Südekum zufolge 1,6 Millionen Menschen.

„Ich konnte Ihren Ausführungen nicht folgen“, kritisierte Mibrag-Betriebsrat Lindig die Ministeriumsmitarbeiterin Bartsch. Allein bei der Mibrag seien inzwischen 600 Arbeitsplätze weggefallen, die Wirtschaftskrise zwinge zum Umdenken. „Die Welt ist eine andere, wir müssen nachjustieren, aber das findet nicht statt.“

Allgemeine Wirtschaftsschwäche bremst Ansiedlung neuer Industrien aus

Den bescheidenen Erfolg bei der Ansiedlung neuer Industrien erklärt Südekum mit der allgemeinen Wirtschaftsschwäche seit 2019 und der unzureichenden Förderpolitik. Die Milliarden würden kaum zur direkten Investitionsförderung genutzt, das EU-Beihilferecht lasse das nicht zu. Die neue Bundesregierung sollte sich deshalb in Brüssel für eine Lockerung einsetzen, meint der Ökonom.

Das Rheinische Revier bekommt zehn Milliarden Euro, um den Ausstieg aus der Kohle sozialverträglich zu gestalten.

© dpa/Federico Gambarini

Allein das Rheinische Revier erhält 15 Milliarden Euro auf Grundlage des Kohleausstiegsgesetzes, das kleine Saarland (eine Million Einwohner) bekommt 19 Millionen Euro für den Strukturwandel.

Drei grundlegende Probleme prägen die Transformation, wie Frank Nägele erläuterte, der in Saarbrücken den Wandel zu managen versucht. Ungleichzeitigkeit: Ford baue in Saarlouis in kurzer Zeit Tausende Stellen ab, Ersatzarbeitsplätze gebe es aber erst nach Jahren.

Zum Zweiten (fehlende) Planungssicherheit: Wenn fünf Jahre über die Zukunft des Autos diskutiert werde und sich die Förderkulisse ständig verändere, „kommen uns Investoren abhanden“, sagte Nägele. Schließlich die Anschlussfähigkeit von Arbeitskräften, die sich „nicht einfach umtopfen lassen“, sondern frühzeitig für neue Tätigkeitsfelder qualifiziert werden müssen.

Ein Konzern wie RWE kann das. Ohne betriebsbedingte Kündigungen halbierte das Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren die Belegschaft in der Braunkohle von 14.000 auf gut 7000 Mitarbeitende, berichtete Kemo Razanica, Personalvorstand der RWE AG.

Bereits 2030 ist Schluss mit dem Kohleabbau und der Verstromung im Rheinland, bis dahin werden noch einige Tausend RWE-Beschäftigte altersbedingt oder mit einer Abfindungszahlung ausscheiden. Für die Jüngeren, Razanica zufolge etwa 2500, habe man einen Prozess gestartet inklusive einer Personalbedarfsanalyse für die kommenden zehn Jahre.

„Wir profilen und matchen, die 2500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sich verändern“, sagte Razanica. Aus Sicht des Personalmanagers ist neben der Planbarkeit und Verlässlichkeit auch Glaubwürdigkeit ein Faktor im Strukturwandel. „Bergleute haben ein feines Gespür“, berichtete der RWE-Mann. „Die merken, wenn man ihnen Kappes erzählt.“

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