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 Ein Fahrzeugmonteur arbeitet bei Bombardier Transportation in Hennigsdorf an einer S-Bahn.

© dpa

Großfusion in der Bahnindustrie: Alstom darf Bombardier übernehmen

Die EU-Kommission erlaubt das Sechs-Milliarden-Euro Geschäft unter Auflagen: Hennigsdorf verliert Talent-Fertigung.

Schneller als gedacht hat die EU-Kommission eine industriepolitische Weichenstellung genehmigt, die sich auch in Berlin-Brandenburg bemerkbar machen wird. Am Freitag bekam die französische Alstom grünes Licht aus Brüssel zur Übernahme der Schienensparte des kanadischen Bombardier-Konzerns für rund sechs Milliarden Euro. Dazu müssen die beiden Partner jedoch Geschäfte und ganze Werke abgeben. Entsprechende Zugeständnisse hatte Alstom bereits vor drei Wochen bekanntgegeben, unter anderem ist das Bombardier-Werk in Hennigsdorf betroffen.

Stadler an Hennigsdorf interessiert

Alstom, Bombardier und Siemens sind die größten europäischen Hersteller von Schienenfahrzeugen. Vor allem Siemens hatte nach Angaben aus Branchenkreisen gegenüber der EU-Wettbewerbsbehörde auf die marktbeherrschende Größe von Alstom-Bombardier in Frankreich hingewiesen. Anfang 2019 hatte die EU-Kommission den Zusammenschluss von Siemens mit Alstom untersagt, was damals scharf von Regierungsmitgliedern in Deutschland und Frankreich kritisiert worden war. Entsprechend dünn fiel am Freitag die Kommentierung im Bundeswirtschaftsministerium aus. Man nehme die Entscheidung aus Brüssel zur Kenntnis, hieß es in Berlin.

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Die EU-Kommission betonte die Auflagen, die für den Deal zu erfüllen sind. Unter anderem wird Bombardier „die Talent 3-Plattform und die damit verbundenen Produktionsanlagen am Standort Hennigsdorf“ veräußern. Hennigsdorf am nordwestlichen Berliner Stadtrand ist mit knapp 2500 Beschäftigten, von denen der Großteil in der Administration und der Entwicklung tätig ist, der größte deutsche Standort von Bombardier Transportation. In der Produktion gibt es rund 450 Arbeitskräfte, davon knapp 200 in der Talent 3-Fertigung. Der Talent ist ein Triebwagen für den Nahverkehr. Wie es in der Branche heißt, hat die Schweizer Stadler, die in Pankow Straßen- und U- Bahnen baut, großes Interessen an der Übernahme der Talent-Fertigung.

6000 Bombardier-Mitarbeiter in Deutschland

Alles in allem beschäftigt Bombardier noch gut 6000 Personen in Deutschland. Hennigsdorf ist das Entwicklungszentrum und spezialisiert auf den Bau von Prototypen und Testfahrzeuge; Kassel fungiert als Produktionszentrum für Loks, die in Mannheim entwickelt werden. In Braunschweig ist die Signal- und Steuerungstechnik ansässig und in Siegen werden Drehgestelle gebaut. Der traditionsreiche sächsische Standort Görlitz hat sich auf Wagenkästen spezialisiert und das hochmoderne Werk in Bautzen auf den Innenausbau.

125 Millionen beim Personal sparen

Bombardier Transportation schleppt sich von einer Umstrukturierung zur nächsten und hat Tausende Arbeitsplätze in den letzten Jahren abgebaut. Dazu geriet das Unternehmen immer wieder mit Qualitätsmängeln und Lieferproblemen in die Schlagzeilen. Und mit Personalien. Michael Fohrer, seit 2016 Chef von Bombardier Transportation, trat vor zwei Wochen zurück, weil er die Gängelung durch die kanadische Konzernführung nicht länger ertragen wollte. Die Konzernbosse in Montreal machen Druck und hatten von Fohrer verlangt, in den kommenden vier Jahren 125 Millionen Euro Personalkosten in den deutschen Werken zu sparen. Darüber gibt es im August erste Verhandlungen mit der IG Metall und den Betriebsräten, doch die Verzichtsbereitschaft der Arbeitnehmer ist begrenzt, weil niemand weiß, was die neue Konzernführung für Pläne hat mit Alstom-Bombardier. In Frankreich hätte das neue Unternehmen quasi eine Monopolstellung, weshalb das Alstom-Werk im elsässischen Reichshoffen mit 800 Arbeitsplätzen verkauft werden muss.

Michael Fohrer, rund vier Jahr Chef der Bombardier Transportation GmbH, trat vor ein paar Wochen entnervt zurück.
Michael Fohrer, rund vier Jahr Chef der Bombardier Transportation GmbH, trat vor ein paar Wochen entnervt zurück.

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Bombardier will dazu seinen Projektanteil an einem Hochgeschwindigkeitszugs abgeben und Alstom die Fertigung des „Coradia Polyvalent“. Schließlich sollen Wettbewerber „Zugang zu bestimmter fahrzeugseitiger Signaltechnik sowie Zugsteuerungs- und -sicherungssystemen“, bekommen, hatte der TGV-Hersteller Alstom kürzlich mitgeteilt.Wie es in der Branche heißt, müssen die Codes für die Kommunikation zwischen Signaltechnik und Zug offengelegt werden. Die Züge kommunizieren mit dem Leitsystem, und je digitaler und schneller das passiert, desto mehr Züge bekommt man auf die Strecke.

Görlitz ist der älteste Standort

Was aus den deutschen Standorten in dem fusionierten Unternehmen wird, werden die Konzernstrategen erst entscheiden, wenn die Vereinbarungen mit Brüssel und der Übernahmevertrag mit Montreal unterschrieben sind. Anschließend stehen Verhandlungen mit Arbeitnehmervertretern und der Politik an. Das Alstom-Werk in Salzgitter, wo Stadtbahnen, Regionalzüge und der nach eigenen Angaben „weltweit erste brennstoffzellenbetriebene, rundum emissionsfreie Regionalzug“ gebaut wird, gilt als sicher. Ebenfalls zukunftsfähig ist das hochmoderne Bombardier-Montagewerk in Bautzen. Von dem mehr als 100 Jahre alten Bahnstandort Görlitz lässt sich das nicht sagen. Görlitz ist das letzte klassische Rohbauwerk hierzulande; diesen Teil der Fertigung haben die meisten Bahnhersteller nach Osteuropa verlagert.

Bürgschaften von Bund und Land

Die Bundesregierung sowie die Bundesländer mit Bombardier-Standorten hatten kürzlich Bürgschaften im Volumen von 750 Millionen Euro freigegeben, mit denen Kredite unter anderem von Deutscher Bank und Commerzbank abgesichert werden. Rund die Hälfte der Summe verbürgt der Bund, jeweils 100 Millionen übernehmen Brandenburg und Sachsen mit den größten Werken; den Rest sichern die übrigen Länder mit Bombardier-Standorten ab.

Die weltweite Bahnindustrie wird von einem Oligopol dominiert, und seit vor ein paar Jahren durch eine Fusion in China der mit Abstand größte Bahnhersteller entstand, sehen sich auch die europäischen Unternehmen unter Konsolidierungsdruck. Die IG Metall fordert auch deshalb eine Local-Content-Klausel: Wenn etwa die Deutsche Bahn Züge bestellt, dann müsste ein bestimmter Anteil der Wertschöpfung hierzulande erfolgen. Das sei in Frankreich ebenso üblich wie in Großbritannien, wo 80 Prozent der Wertschöpfung im Land erfolgen müsse.

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