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Das Projekt der Waterfront am Ostufer wurde von dem weltbekannten Architekten Renzo Piano als Geschenk an die Stadt entwickelt: Aus dem ehemaligen Messegelände Genuas wird ein maritimes Quartier, ein neues Stadtviertel, das bis 2023 fertiggestellt werden soll. Hier in der Luftaufnahme zu sehen: die Ausgangssituation mit dem alten Messegelände (rechts) und dem historischen Hafen, Porto Antico.

© Municipality of Genoa

Quartiersentwicklung: Genua - die Stadt der Taten

Italiens größte Hafenstadt bricht zu neuen Ufern auf: Das Waterfront-Projekt. Ein Ortstermin

Es geht immer ein bisschen Meer. Italiens wichtigste Hafenstadt, langgestreckt auf einem schmalen Küstenstreifen zwischen Apennin und der Wasserlinie, entwickelt sich – auf einem anderen Niveau – weiter wie sonst nur noch der Stadtstaat Singapur. Die natürlichen Grenzen werden verschoben. Wer das „Museo del Mare“ im Porto Antico besucht, sieht es gleich im ersten Ausstellungsraum: Genua treibt seine Stadterneuerung in Richtung Wasser voran. Wie bereits vor Jahrzehnten Kapstadt, leistet sich nun auch Genua eine "Waterfront" im alten Hafenquartier. Hier liegen die Vergangenheit und die Zukunft. Hier soll eine „Città del Mare“ entstehen, mit Werfen für große Yachten. Große Vergnügungen sollen hier ihre Plätze finden. Um die Kapazität des alten Flughafens von einer auf fünf Millionen Passagiere jährlich zu erweitern, soll zudem eine Insel mit einer weiteren Start- und Landebahn vorgelagert werden. Nicht zu vergessen: der einige Kilometer lange Hafendamm „Diga Foranea“, an dem auch die größten Passagier- und Containerschiffe anlegen können. Mehr Aufbruch war selten an diesem Knotenpunkt des Wandels und Handels zwischen Europa, Afrika und dem Orient.

Die visionäre Kraft Genuas fehlt Berlin

„Die visionäre Kraft Genuas würde ich gerne so mancher Stadt, in der ich zu tun habe – nicht zuletzt Berlin – wünschen“, sagt Stadtplaner und Architekt Christoph Kohl, der nicht weit von Genua entfernt an der italienischen Riviera dei Fiori ein "monolocale" (eine Einzimmerwohnung) sein Eigen nennt. „Genua – La Superba (die Hervorragende) – war immer schon eine Stadt, die die Welt zum Staunen brachte“, sagt Kohl. Die Genueser seien nicht erst seit jüngerer Zeit wagemutig. Man denke an Cristofero Colombo 1492, oder an die Strada Nuova, die als erste in der Renaissance auf perspektivische Wirkung hin projektierte großbürgerliche Straße. Mehr noch, ergänzt Stadtarchitekt Klaus Theo Brenner (Berlin), der in einer Kooperation der Fachhochschule Potsdam mit der Università degli studi de Genova mit Studenten die Gebäudetypologien Genuas erfasst hat und in einem kleinen Büchlein über die Geschichte der Strada Nuova Genuas schrieb, als wäre es ein aktueller Befund:  „Der Wandel zur Neuzeit bringt auch stadträumlich für Genua eine wesentliche Veränderung: Den durch den Levantehandel reich gewordenen Adels- und Patrizierfamilien wird die Stadt zu eng.“ Und wohl nicht nur ihnen.

Italiens wichtigste Hafenstadt erfindet sich neu: Genua entwickelt in Richtung Meer neue Stadtlandschaften. Die futuristischen Pläne des Stararchitekten Renzo Piano nehmen an der „Waterfront“ Gestalt an. 
Italiens wichtigste Hafenstadt erfindet sich neu: Genua entwickelt in Richtung Meer neue Stadtlandschaften. Die futuristischen Pläne des Stararchitekten Renzo Piano nehmen an der „Waterfront“ Gestalt an. 

© Municipality of Genoa

So war es, so ist es heute. Das aktuell ambitionierteste Projekt ist die bereits in Umrissen erkennbare Waterfront am Ostufer, entworfen von Renzo Piano, der zur Weltelite der Architekten gehört. Ein Geschenk des gebürtigen Genuesen an seine Stadt. Er entwarf bereits den Masterplan für den 1992 vollendeten Porto Antico, den alten Hafen, in den heute vor allem die Touristen einlaufen, um sich zu vergnügen. Renzo Piano zeichnete 2017 auch die nahe gelegene Struktur des ehemaligen Messegeländes von Genua neu.

Pietro Piciocchi, Genuas Baustadtrat und stellvertretendem Bürgermeister, fällt die Aufgabe zu, den Grundgedanken Renzo Pianos in Baugeschehen umzusetzen: „Die Stadt gewinnt das Meer für sich zurück.“ So werden Grachten in das einst aufgeschüttete Messegelände eingegraben. „Die Bürger der Stadt können das Meer derzeit gar nicht für sich nutzen, weil es allein kommerziellen Zwecken dient“, interpretiert Piciocchi Pianos Ansatz. Stadt, Hafen und Meer sollen eins werden. Die Stadtoberen haben sich die Elemente an Ort und Stelle angeschaut. Alte Messepavillons wurden abgerissen – was wertvoll erschien, wird verwandelt.

Die Mehrzweckhalle Palasport di Genova durchläuft ein Restyling

Da ist vor allem die immer noch imposante Mehrzweckhalle Palasport di Genova, die im Jahr ihrer Eröffnung, 1962, als sehr futuristisch galt. Die Großsporthalle befindet sich in einem Zustand der Transzendenz – ein Restyling-Projekt. Die Betonstützen werden verstärkt, man will der Struktur die modernsten Standards der Energieeffizienz einschreiben, die Schönheit und die Charakteristiken des Baus hervorheben. Das Gebäude soll als Raum für Sport und Events neu entstehen, ein Anziehungspunkt werden.

Die Palasport di Genova ist eine 1962 eröffnete Mehrzweckhalle, die 2020 für 14,25 Millionen Euro an die private CDS Holding verkauft wurde. Sie ist das Zentrum des aktuell laufenden Waterfront-Projektes, das ab 2022 um das Infrastrukturprojekt eines neuen Hafendammes ergänzt wird. Hier zu sehen: Eine der Verschalungen zur Verstärkung der alten Betonpfeiler.
Die Palasport di Genova ist eine 1962 eröffnete Mehrzweckhalle, die 2020 für 14,25 Millionen Euro an die private CDS Holding verkauft wurde. Sie ist das Zentrum des aktuell laufenden Waterfront-Projektes, das ab 2022 um das Infrastrukturprojekt eines neuen Hafendammes ergänzt wird. Hier zu sehen: Eine der Verschalungen zur Verstärkung der alten Betonpfeiler.

© Reinhart Bünger

„Die heutige Aufbruchstimmung ist auch wieder genuinen Bürgern der Stadt zu verdanken“, sagt Christoph Kohl: „Allen voran Renzo Piano. Er sitzt nicht in seinem Elfenbeinturm, und mäkelt ungnädig an den ein oder anderen Unvollkommenheiten herum, die in seinem Oevre vielleicht auch zu finden wären. Nein, er – im 85. Lebensjahr stehend – bringt sich, sein Genie und seine Kraft noch ein in die städtebauliche Programmierung von Genua, damit es auf Kernherausforderungen vorbereitet ist: Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Digitalisierung.“

Der Hafen von Genua im Juli 2023. Die Neubauten des von Renzo Piano entworfenen Quartiers sind am linken Bildrand gut zu erkennen.
Der Hafen von Genua im Juli 2023. Die Neubauten des von Renzo Piano entworfenen Quartiers sind am linken Bildrand gut zu erkennen.

© Reinhart Bünger

Piano gibt der Stadt die maritime Perspektive zurück. Das nautische Quartier soll bis 2023 fertiggestellt werden und Baustadtrat Pietro Piciocchi glaubt fest daran. „Das wird unter dem Label „Modell Genua“ in Rekordzeit erledigt, trotz Covid und Lockdown“, sagt er und spielt damit auf den rekordverdächtig schnellen Wiederaufbau der 2018 eingestürzten Morandi-Brücke an. An der Waterfront wird es auf einer Fläche von etwa 100 000 Quadratmetern neben der renovierten Großsporthalle einen Stadtpark und ein Viertel mit Dienstleistungen, Wohnungen und kommerziellen Aktivitäten geben. Unterirdisch werden 600 Parkplätze angelegt.

Die alte Großsporthalle aus den sechziger Jahren wird komplett saniert und erhält ihre Funktion als Sportzentrum und Raum für Großveranstaltungen zurück. Daneben wird ein Kanal für Sportboote angelegt, der zum Zentrum des Wassersports werden soll. Die alte blaue Messehalle bleibt in ihrer Funktion erhalten.
Die alte Großsporthalle aus den sechziger Jahren wird komplett saniert und erhält ihre Funktion als Sportzentrum und Raum für Großveranstaltungen zurück. Daneben wird ein Kanal für Sportboote angelegt, der zum Zentrum des Wassersports werden soll. Die alte blaue Messehalle bleibt in ihrer Funktion erhalten.

© Municipality of Genoa

Die Stadt wird über neu zu schaffende Kanäle an das Meer angebunden. Zwischen den Kanälen: ein neuer Bereich, der sich als Insel sehen lässt. Darauf gelegen: der von Jean Nouvel entworfene historische Messepavillon, der auch in seiner Funktion erhalten bleibt.

300000 Kubikmeter Erde sollen dem Wasser weichen

„300000 Kubikmeter Erde müssen abgetragen werden“, sagt Piciocchi und seufzt ein wenig. Die Kanäle im kleinen schiffbaren Quartier werden 3,5 Meter tief und vierzig Meter lang sein. Ein weiterer 200 Meter langer und 35 Meter breiter Kanal wird auf beiden Seiten das Anlegen möglich machen. Zusammen mit den Baumaßnahmen ist die Inbetriebnahme eines Wartungssystems für stehendes Wasser im städtischen Kanal geplant. Ein System zur Sauerstoffanreicherung – natürlich mit energiesparenden Geräten realisiert – soll für die angemessene Geruchsästhetik sorgen. Italiener können nicht nur Piazze mit großer Aufenthaltsqualität bauen, sondern auch Yachthäfen mit großer Wohnqualität, wie auch in der Marina Portorosa auf Sizilien zu studieren ist.

„Ähnlich wie es Sir Norman Foster erfolgreich im Duisburger Innenhafen vorgemacht hat, werden Grachten gezogen, und es gibt in Zukunft wieder mehr Wasser im Quartier als im ehemaligen Industriehafen“, sagt Städtebauer Kohl, der in Bernau, nördlich von Berlin, ein neues Stadtquartier entwickelt.

Die Mehrzweckhalle (rechts) ist das Zentrum des aktuell laufenden Waterfront-Projektes, das ab 2022 um das Infrastrukturprojekt eines neuen Hafendammes ergänzt wird.
Die Mehrzweckhalle (rechts) ist das Zentrum des aktuell laufenden Waterfront-Projektes, das ab 2022 um das Infrastrukturprojekt eines neuen Hafendammes ergänzt wird.

© Citta di Genova

Genuas Messegelände wird ganz im Zeichen der ökologischen Nachhaltigkeit wiederbelebt. Es gibt Parkflächen zum resilienten Regenwassermanagement nach den Konzepten des UNaLab-Konsortiums. „Neben Eindhoven und Tampere gehört Genua zu den Vorreiterstädten Europa, die mit Vertretern aus Kommunen, Forschung, Wirtschaft und der Industrie verschiedene NBS-Pilotprojekte gemeinsam mit den lokalen Akteuren und der Bevölkerung in einem Co-Kreationsprozess planen und umsetzen, und den Einfluss vor allem im Hinblick auf das städtische Klima- und Wassermanagement validieren“, sagt Kohl. Es werden zirka 1000 Bäume gepflanzt, vorwiegend hochstämmig, werthaltige Gehölze.

Der neue Park wird der größte der Stadt Genua sein

„Es wird mit 16000 Quadratmetern Fläche der größte Park in der Stadt sein“, sagt Piciocchi und bemüht einen weiteren Superlativ: „Es wird die größte Marina in Italien.“ Auf der Ostseite des Waterfront-Quartiers werden drei Wohnkomplexe (300 Einheiten) errichtet. In der Formgebung hat sich Renzo Piano an Schiffssilhouetten orientiert. Alle Gebäude, die von Grund auf neu errichtet werden, sollen der neuesten Generation angehören: NZEB-Bauten ("nearly Zero Energy Building"), die die Prinzipien der bioklimatischen Architektur berücksichtigen. Die zum Betrieb der Häuser notwendige Energie werde aus dem Meer bezogen, sagt Mirco Grassi, operativer und administrativer Technikchef Genuas.

Im Hafenbecken – dem Jean-Nouvel-Pavillon gegenübergestellt – entsteht ein neuer Lotsenturm, eine mit modernster Technik ausgestattete Anlage zur Kontrolle des Seeverkehrs. Die Konstruktion aus Stahl ist 60 Meter hoch, mit Photovoltaik-Paneelen ausgestattet und trägt das Kontrollzentrum an der Spitze. Ein weiterer Beitrag, der die Stadterneuerung durch die Verbindung von Funktionalität und Technologie symbolisieren soll.

Der vom berühmten französischen Architekten Jean Nouvel entworfene Ausstellungspavillon B nahe der Mehrzweckhalle Palasport wird in neues Umfeld integriert. Dazu gehören an der Ostseite drei Wohngebäude mit Meerblick für insgesamt 300 Einheiten.
Der vom berühmten französischen Architekten Jean Nouvel entworfene Ausstellungspavillon B nahe der Mehrzweckhalle Palasport wird in neues Umfeld integriert. Dazu gehören an der Ostseite drei Wohngebäude mit Meerblick für insgesamt 300 Einheiten.

© Comune di Genova

„Für die Politik steht Marco Bucci, mit dem Genua seit 2017 wieder einen engagierten Bürgermeister mit Tatendrang und einer Vision hat“, sagt Christoph Kohl: „Und kompetente Mitarbeiter in der Verwaltung, wie die Assessorin für Städtebau und Stadtplanung, Architektin Simonetta Cenci. In ganz Italien ist die Rede vom „Modell Genua“. Dazu gehören finanzielle Anreize, um Bewohner und Ladenbetreiber wieder in der Altstadt anzusiedeln. Und um der Zersiedlung im Hinterland entgegenzuwirken oder gar Wegzug aus der in einen Kessel gepresste Stadt entgegenzuwirken, wird mit der Waterfront Levante – so der Masterplan – im alten Hafengebiet ein gemischt genutztes, autofreies Stadtquartier integriert.“

Auf der anderen Seite gibt es eine Promenade bis nach Boccadasse, ein beschaulicher kleiner Ort, ein Fischerhafen.

Zwischen dem Messepavillon von Jean Nouvel und der Mehrzweckhalle Palasport wird ein 40 Meter langer, von Brücken überspannter Kanal angelegt, angebunden an den Hauptkanal, der in den kommenden Monaten ausgehoben wird: Der 200 Meter lange und 35 Meter breite Kanal ermöglicht das Anlegen auf beiden Seiten. Entlang des Kanals werden Kaianlagen gebaut - hier finden Geschäfte, Yachtanlagen und weitere maritime Einrichtungen ihre Plätze. Am Ufer des Waterfront-Projektes entsteht der größte Park der Stadt Genua.
Zwischen dem Messepavillon von Jean Nouvel und der Mehrzweckhalle Palasport wird ein 40 Meter langer, von Brücken überspannter Kanal angelegt, angebunden an den Hauptkanal, der in den kommenden Monaten ausgehoben wird: Der 200 Meter lange und 35 Meter breite Kanal ermöglicht das Anlegen auf beiden Seiten. Entlang des Kanals werden Kaianlagen gebaut - hier finden Geschäfte, Yachtanlagen und weitere maritime Einrichtungen ihre Plätze. Am Ufer des Waterfront-Projektes entsteht der größte Park der Stadt Genua.

© Citta di Genova

Das Projekt ist ein Beispiel für eine öffentlich-private Partnerschaft, die von der Stadt Genua, der Region Ligurien und der Hafenbehörde des west-ligurischen Meeres (AdSP MLO) gesteuert wird. Die Gesamtinvestitionen für die Waterfront belaufen sich auf 350 Millionen Euro. Davon entfallen 250 Millionen auf den privaten Bauherren, die CDS Holding. Den Rest bringt die Stadt zur Erfüllung der öffentlichen Aufgaben auf: für den Park, die Grachten, die Sportarena.

Finanziert wird das Projekt mit Geldern aus dem EU-Recovery-Fund für den Wiederaufbau der italienischen Wirtschaft. Die größten Mittel sind dabei für die Digitalisierung und moderne Umwelttechnologien (sowie das Gesundheitswesen) vorgesehen. Unter dem Slogan „La Cittá Del Fare“ („Die Stadt der Taten“) stehen insgesamt acht Milliarden Euro für alle Umsetzungen in der Hauptstadt Liguriens zur Verfügung.

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