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Der Waldhof. (Aufnahme von 2020). Goebbels ließ das Gebäude 1939 errichten, das Blockhaus war ihm zu klein geworden.

© Gerd Illing

Goebbels Haus am Bogensee: Das verteufelte Areal

Am Bogensee wurden zwei Diktaturen ideologisch gestützt. Ein Ort, der heute zur Aufklärung beitragen könnte, verfällt. Das Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung präsentiert eine digitale Ausstellung.

Und wieder ein Versuch. Und wieder die Hoffnung, das verwunschene und verteufelte Areal am Bogensee zum Leben erwecken zu können. Aus verfallenden Geschichtsbauten eine aufklärende Erzählung zu machen, die sinnvoll ist auch für kommende Generationen. Das „Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam“ (ZZF Potsdam) hat jetzt eine historische Bestandsaufnahme angefertigt, gefördert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, wie es heißt. Der Anspruch: „historisch-kritisch“ solle die Bestandsaufnahme sein, so betonen es die Verantwortlichen.

Spannende Einblicke in digitaler Ausstellung

Am 30. Juni 2021 fand ein sogenannter dreistündiger Workshop statt. In digitaler Form wurde das Projekt in drei Vorträgen präsentiert. Und im Internet ist nun eine digitale Ausstellung zu sehen, die eigentlich schon im vergangenen Jahr vor Ort in oder an den historischen Gebäuden gezeigt werden sollte. Corona hat vieles unmöglich gemacht.

Bogensee ist jener Ort, der rund sechzig Jahre für die Öffentlichkeit weitgehend unzugänglich war. Zunächst erhielt NS-Propagandaminister Joseph Goebbels 1936 dort sein Refugium und später auch seine Arbeitsstätte. Diese wurden ihm von der Stadt Berlin auf Lebenszeit zur Verfügung gestellt. 1946 zog die Freie Deutsche Jugend (FDJ) mit ihrer „Zentralschule“ in die Nazibauten ein. In den 1950er Jahren kamen die Neubauten im stalinistischen Stil hinzu: Lektionsgebäude und Kulturhaus, dazu Studentenwohnhäuser für rund 500 Studenten. Bis 1989 wurde in der „FDJ-Jugendhochschule am Bogensee“ für ausgewählte Kader Marxismus-Leninismus gelehrt, Ende 1990 war es vorbei.

Die Gebäude gammeln seit 1999 vor sich hin

Nach einer Zwischennutzung stehen die Gebäude seit 1999 leer und gammeln vor sich hin. Offenbarer Vorsatz der Berliner Senatsverwaltung: Es möge Gras über die Geschichte wachsen.

Unter der Internetadresse bogensee-geschichte.de erhält der Nutzer nun auf einem großen farbigen Luftbild einen Überblick über das gesamte Areal und kann sich dann durch die verschiedenen Gebäude klicken. „Bogensee. Eine historische Ortsbegehung“, heißt die Schau.

Punkt eins: Das Blockhaus, am östlichen Ufer des Bogensees gelegen, eingeschossig, 120 Quadratmeter, mit einer großen Terrasse versehen. 1936 errichtet, als „Geschenk“ der Stadt Berlin, „diente es dem Gauleiter der NSDAP von Berlin und Reichspropagandaminister als privater Rückzugsort", heißt es so kühl wie nichtssagend im Begleittext.

Blockhaus. 1936 entstand es als privater Rückzugsort für Joseph Goebbels. (Aufnahme um 2007). 2019 wurde das Gebäude restlos entfernt.
Blockhaus. 1936 entstand es als privater Rückzugsort für Joseph Goebbels. (Aufnahme um 2007). 2019 wurde das Gebäude restlos entfernt.

© Ilona Rohowski/BLDAM

Als „Liebesnest“ wurde das Blockhaus einst bezeichnet. Denn dort soll die Liebschaft zwischen dem Propagandaminister und der Schauspielerin Lida Baarova im Verborgenen geblüht haben, eine Affäre, die beinahe zu einer Regimekrise führte. Im Begleittext der Potsdamer Historiker heißt es weiter: „In der Nachkriegszeit nutzte die Jugendhochschule der FDJ das Gebäude. Ab 1995 war es Wohnsitz des Försters von Lanke. 2007 wurde es unter Denkmalschutz gestellt, erlitt jedoch 2015 einen schweren Brandschaden und musste 2019 abgerissen werden.“ Dazu sind auf sechs Fotos die verschiedenen Stadien des Verfalls und warmen Abrisses zu erkennen. Von den „Berliner Forsten“ offenbar angefertigt, so der Bildnachweis.

Skandal des warmen Abrisses

Hintergründe zu dem Skandal dieses warmen Abrisses werden von den Potsdamer Historikern nicht einmal angedeutet. Die Geschichte des Blockhauses ist so etwas wie die Blaupause für das, was der Berliner SPD-Senat seit Jahrzehnten tatkräftig verfolgt. Es soll Gras über die unselige Geschichte wachsen, kritische Geschichtserzählung am historischen Ort ist nicht gewünscht, weder unter Wowereit noch unter seinem Nachfolger Müller. Das Blockhaus ist mittlerweile samt den Fundamenten beseitigt worden, nur noch Unkraut macht sich hier breit. Das Projekt „Gras über die Geschichte“ ist am Ostufer erfolgreich abgeschlossen.

Konkret geplant in Senatskreisen und mit Gutachten bereits kostspielig in Auftrag gegeben war auch der Abriss für den Waldhof von 1939 auf der westlichen Seite, ehe die Denkmalschutzbehörde dann erneut ein Veto einlegte. Denn seit 1996 stehen alle Bauten unter Denkmalschutz. Aber was heißt das schon?

Geschichtsvergessenheit der Berliner SPD

So borniert und seltsam geschichtsvergessen oder -uninteressiert wie am Bogensee zeigte sich einst, in den 1960er Jahren, die Berliner SPD auch schon unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Schütz. Damals ging es um jene historische Wannsee-Villa, in der 1942 die „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen worden war.

Seit 1965 hatte sich Joseph Wulff, der Auschwitz-Überlebende und Privathistoriker, dafür eingesetzt, im historischen Gebäude ein „Internationales Dokumentationszentrum zur Erforschung des Nationalsozialismus und seiner Folgeerscheinungen“ entstehen zu lassen. Der West-Berliner Senat war dagegen. Bürgermeister Klaus Schütz, als Nachfolger von Willy Brandt, erklärte unmissverständlich, Berlin brauche keine „makabre Kultstätte“. Damit war das Projekt vom Tisch. 27 Jahre benötigte es, um dann im historischen Haus der Wannsee-Konferenz eine Gedenk- und Bildungsstätte einzurichten. Seit 1992 ist diese aus der Erinnerungspolitik nicht wegzudenken.

Wie die historischen Gebäude am Bogensee für anschaulichen Geschichtsunterricht genutzt werden könnten, hat der Autor dieser Zeilen bereits vor zwei Jahren aufgezeigt. Die Potsdamer Historiker skizzieren nun ebenfalls „Perspektiven für eine erinnerungskulturelle Instandbesetzung“, wie ein Beitrag im „Workshop“ genannt wurde. Die Historikerin und Projektleiterin, Irmgard Zündorf, erklärt in der Pressemitteilung, „das Gelände (habe) das Potential, ein bedeutsamer Erinnerungs- und Lernort zu werden.“ Nicht neu diese Einschätzung, seit rund zwanzig Jahren wieder und wieder in die Öffentlichkeit gebracht. Allein: Maßgebliche politische Stellen haben alle Bemühungen und Anregungen bisher kraftvoll blockiert und zumeist mit Schweigen übergangen.

Jahr für Jahr Kosten von einer Viertelmillion

Verdient wurde an dieser amtlichen Konzeptionslosigkeit freilich auch ganz hübsch. Denn immer wieder wurde Geld locker gemacht für Vorhaben, die dann mit schöner Regelmäßigkeit im Sande verliefen. Und allein der sogenannte Bestandsschutz für die verfallenden Gebäude, also „die jährliche Summe für die Bewirtschaftung“, liege bei „rund 230.000 Euro“, teilte die landeseigene BIM (Berliner Immobilienmanagement GmbH) bereits vor drei Jahren mit. Eine knappe Viertelmillion, Jahr für Jahr. Enorme Summen sind seit Anfang der 2000er Jahre geflossen. Ein absurdes Spektakel auf Kosten der Steuerzahler. Dass der Rechnungshof an diesem verborgenen Ort noch nicht Alarm geschlagen hat, ist erstaunlich.

Und der Skandal um das Blockhaus? „Ab 1995 war es Wohnsitz des Försters von Lanke“, lautet der eine karge Satz der Potsdamer Historikerkommission. Richtig. „2007 wurde es unter Denkmalschutz gestellt“, lautet der nächste Halbsatz. Dazwischen liegt der Skandal begraben. Romeo Kappel heißt der Förster, seines Zeichens Forstamtsleiter, heute in Pankow tätig. Als er auszog, glaubte er, er könne über das Haus eigenmächtig verfügen, es zunächst ausschlachten, um es dann heimlich, still und leise abzureißen.

Als der Autor dieser Zeilen zufällig im Winter 2006/2007 endlich näher an das Gebäude gelangen konnte, weil keine kläffenden Hunde mehr abschreckten, alarmierte er den Senat und den Denkmalschutz. Eine Nachfrage im Februar 2007 beim Landesforstamt der Berliner Forsten: „Rund fünfzehn Jahre lang räumte man Herrn Kappel ein Wohnrecht ein, und in dem Moment, in dem er auszieht, wird das Haus zum Abriss frei gegeben? Warum? Wem gehört das Haus? Hatte Herr Kappel Miete zu zahlen? Wie hoch war diese? Warum werden hier offensichtliche Werte als wertlos betrachtet und vernichtet? Warum steht das Haus nicht weiterhin für Wohnzwecke zur Verfügung, so wie es Herrn Kappel fünfzehn Jahre lang eingeräumt wurde?“

Denkmalschützerin reagiert sofort

Die Antworten fielen ausweichend aus, hinhaltend, abwiegelnd. Die alarmierte Denkmalschützerin vom Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege, Ilona Rohowski, hingegen wich nicht aus, sondern reagierte umgehend. Sie erkannte das Original des Blockhauses, bewertete den Zustand des Gebäudes als „überraschend gut“, schrieb den Denkmalschutz fest und verhinderte damit 2007 zunächst den bereits in die Wege geleiteten Abriss.

Bei einem Ortstermin gab Romeo Kappel im Juni 2007 zu, bereits im Winter 2006 ein Abrissverfahren in die Wege geleitet zu haben. Und dies, ohne sich vorher um eine Abrissgenehmigung bemüht zu haben.

Dass die Berliner Forsten das Gebäude mitten im Wald fortan ungenügend sicherten und überwachten, passt zum einstigen Vorhaben. Es folgten wieder Vandalismus, dann Brandstiftung und endlich der gewünschte Abriss. Dafür stehen diese kargen Sätze der Potsdamer Historiker: „2007 wurde es unter Denkmalschutz gestellt, erlitt jedoch 2015 einen schweren Brandschaden und musste 2019 abgerissen werden.“

Das Areal am Bogensee ist ein „Ort der Propaganda“, geschichtlich kontaminiert, vergiftet und offenbar gehasst, ein stummer Ort der Geschichte, ein Ort der Täter und Wortverdreher. Am Bogensee wurden zwei Diktaturen gelenkt und ideologisch gestützt, mehr als fünfzig Jahre unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Die FAZ machte im August 2000 darauf aufmerksam, wozu dieses „Idyll Bogensee“ am besten taugen würde: „die Mechanismen und geheimen Verbindungslinien zweier paranoider Machtgefüge“ ans Tageslicht zu bringen und zu dokumentieren. Wie viel erhellender würde eine solche Dokumentation in historischen Räumen heute wirken, wenn man die Wirkung und Konstruktion von Propaganda dokumentierte, analysierte und erläuterte.

Ob die Initiative der Potsdamer Historiker Bewegung in den Stillstand bringt, wird sich zeigen. Zuvor sollten die Historiker freilich nachweisen, dass sie tatsächlich, wie behauptet, an einer unabhängigen, „historisch-kritischen“ Bestandsaufnahme arbeiten.

Vom Autor liegt eine umfassende Foto-Text-Dokumentation zur Geschichte dieses Ortes vor. Titel: „Goebbels' Waldhof am Bogensee. Vom Liebesnest zur DDR-Propagandastätte“. (2004 bei Ch. Links; in überarbeiteter Lizenzausgabe bei Weltbild seit 2007; heute nur noch antiquarisch zu erhalten.)

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