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Die Impfstoffentwicklung dauert oft Jahre. Ministerin Karliczek hofft, dass es „in zwölf bis 18 Monaten“ ein Mittel gegen Covid-19 gibt.

© imago images/Hans Lucas

Anja Karliczek über deutsche Innovationspolitik: „750 Millionen gehen komplett in die nationale Impfstoffentwicklung“

Forschungsministerin Karliczek über Europas technologische Souveränität, die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung und was getan werden kann, um schnell einen Coronavirus-Impfstoff zu entwickeln.

Anja Karliczek (CDU) ist seit 2018 Bundesministerin für Bildung und Forschung.

Frau Karliczek, wann kommt der Impfstoff gegen Covid-19?

Ich hoffe, in zwölf bis 18 Monaten. Die Impfstoffforschung dauert normalerweise von Beginn der Entwicklung bis zur Zulassung mehr als zehn Jahre. Und manchmal kommt man nie zum Ziel. Einige Forscher hatten mit ihren Arbeiten am Sars-Virus schon gute Vorarbeiten geleistet, sodass ich relativ optimistisch bin. Die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Covid-19 begann im Januar jedenfalls nicht bei null.

Welche Vorarbeiten meinen Sie?
Das Coronavirus ist ein spezifisches Sars-Virus, mit dem sich Impfentwickler bereits zum Teil länger beschäftigt haben. Zudem gibt es seit 2017 mit dem internationalen Netzwerk der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations – genannt Cepi – eine internationale Impfstoff-Allianz. Cepi hat die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Covid-19 bereits seit Januar massiv angeschoben und fördert übrigens verschiedene Ansätze der Impfstoffentwicklung. Einige Impfstoffentwickler sind bereits in der ersten klinischen Testphase – auch in Deutschland.

Wie geht es weiter?
In der ersten klinischen Phase nach der Überprüfung im Tiermodell wird der Impfstoff vielleicht 100 Probanden verabreicht. In der zweiten Testphase dann mitunter an bis zu 1000 Personen und in der dritten Phase an noch mehr Menschen. Am Ende geht es vor allem darum, noch stärker möglichen Nebenwirkungen nachzugehen. Mit unserem 750-Millionen- Euro-Sofortprogramm wollen wir die klinischen Studien bereits in der zweiten Testphase vergrößern, damit der Impfstoff schon da viel mehr Personen angeboten werden kann. Es ist allerdings damit zu rechnen, dass dann noch kein optimaler Impfstoff zur Verfügung steht.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Landen die 750 Millionen im Cepi-Netzwerk?
Von den 525 Millionen Euro, die die Bundeskanzlerin kürzlich bei der internationalen Geberkonferenz zugesagt hat, fließen 230 Millionen Euro an Cepi. Die 750 Millionen gehen komplett in die nationale Impfstoffentwicklung. Wir wollen die Impfstoffentwicklung und Impfstoffherstellung in Deutschland stärken.

Hätten Sie es ohne Corona gewagt, 20 Milliarden Euro zusätzliche Forschungsmittel für die Jahre bis 2023 zu fordern?
Ich habe von der Steigerung der Investitionen im Bundeshaushalt insgesamt gesprochen. Der von mir vertretene Bereich Bildung, Forschung und Innovation fällt natürlich darunter. Ich will noch einmal den Zusammenhang klarstellen: Die Bundesregierung wird ein Konjunkturprogramm zur Stimulierung der Wirtschaft beschließen. Dieses Programm muss aus meiner Sicht aber langfristig angelegt sein. Es muss digital, klimafreundlich sein und die technologische Souveränität Europas stärken. Dazu gehört auch die Medikamentenforschung und -entwicklung.

„Technologische Souveränität“ betrifft dann vorrangig die Pharmaindustrie?
Nicht nur. Mein Lieblingsbeispiel ist die Batterietechnologie. Wir waren vor ein paar Jahrzehnten stark in der Forschung und in der Batterieproduktion. Irgendwann hat die Wirtschaft das Feld der Konkurrenz aus Asien überlassen. Doch dann wurde klar, wie wichtig der Bereich ist, nicht nur für die Elektromobilität, sondern als Hightech-Produkt in allen Bereichen des täglichen Lebens – von Haushaltsgeräten bis hin zu Hörgeräten. Wir haben im Jahr 2008 im BMBF begonnen, die Batterieforschung wieder zu fördern und aufzubauen. Wir sind jetzt wieder mit an der Weltspitze in der Forschung. Nun muss auch der nächste Schritt getan werden: die industrielle Produktion!

Anja Karliczek (CDU) amtiert seit 2018 als Bundesministerin für Bildung und Forschung.
Anja Karliczek (CDU) amtiert seit 2018 als Bundesministerin für Bildung und Forschung.

© Reuters

Wie ist denn der Stand bei der Forschungsfabrik Batteriezelle (FFB) in Münster? Geht es bei dem 500-Millionen-Euro-Projekt vorwärts?
Das erste Teilprojekt zum Aufbau und zur Inbetriebnahme einer ersten Produktionslinie wurde im Oktober 2019 in einem Umfang von rund 150 Millionen Euro bewilligt. Die Aufbauarbeiten gehen voran.

Aus der Industrie ist zu hören, dass es kein Geschäftsmodell für die FFB gibt. Und es fehlt auch – anders als in Ulm oder Karlsruhe – die industrielle Anbindung in der Region.
Diese Einschätzung teile ich nicht. Die Forschungsfertigung Batteriezelle als Teil des Dachkonzeptes „Forschungsfabrik Batterie“ steht ganz Deutschland zur Verfügung. Und auch Automobilproduktion gibt es an vielen Orten – auch im Westen, Norden und Osten. Die Forschungsfertigung wird den Weg für eine industrielle Massenproduktion von Batteriezellen ebnen. Unsere Konkurrenten sind China und Südkorea. Wir sollten sie nicht im Lande suchen.

Aber wer kauft wann zu welchem Preis die Zellen aus Deutschland? Und welches Unternehmen übernimmt irgendwann die FFB von der Fraunhofer-Gesellschaft?
Ich gehe davon aus, dass die ersten Zellen 2023 in Münster hergestellt werden. Ich bin sehr optimistisch, dass die Forschungsfertigung Batteriezelle ihre Ziele erreicht. Entsprechende Gespräche mit der Industrie sind vielversprechend. Was wann zu welchem Preis angeboten werden kann, wird der Betreiber, die Fraunhofer-Gesellschaft, im Sinne eines wirtschaftlichen Betriebes entscheiden.

Seit Monaten streitet die Bundesregierung über die Wasserstoffstrategie. Wann kommt die denn nun?
Die Bundesregierung wird ihre Strategie nun hoffentlich am kommenden Mittwoch im Kabinett beschließen. Jedenfalls ist die Befassung angemeldet. Das wird ein wichtiger Tag für das Innovationsland Deutschland, den Wirtschaftsstandort und den Klimaschutz in unserem Land. Wir schlagen ein neues Kapitel in unserer Wirtschafts- und Klimaschutzgeschichte auf.

Was ändert sich mit der Wasserstoffstrategie? Es gibt schon Dutzende Projekte für die Herstellung und die Bundesländer haben alle eigene Strategien.
Wir haben dann aber eine Gesamtstrategie. Wir müssen aufpassen, dass sich die Transrapid-Geschichte nicht wiederholt.

Das heißt?
Wir müssen Innovationen nicht nur entwickeln, sondern auch umsetzen. Ein Großteil der Wasserstofferzeugung wird aus wirtschaftlichen Gründen sicherlich im Ausland stattfinden. Aber die Maschinen und Anlagen, die dafür notwendig sind, sollten in Deutschland produziert werden. Hier werden wir die Forschung weiter unterstützen, aber auch die Industrie ist gefragt. Wir müssen auf vielen Feldern aktiv sein. Unter anderem müssen wir die Frage beantworten, wie wir unsere Erdgasnetze für grünen Wasserstoff zur Verfügung stellen.

Sie sind also der Ansicht, dass Wasserstoff auch zur Wärmeversorgung eingesetzt werden sollte?
Hauptsächlich sollte es zunächst in der Industrie zum Einsatz kommen, auch damit diese die CO2-Ziele erreichen kann. Die Industrie hat ein riesiges Interesse am grünen Wasserstoff. Er kann perspektivisch aber auch in anderen Bereichen wie der Wärmeversorgung zum Einsatz kommen. Wir werden das Thema Wasserstoffwirtschaft während unserer EU-Ratspräsidentschaft auf die europäische Ebene heben.

[Milliarden für Wasserstoff: Wie ein Konjunkturpaket für die Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts aussehen könnte. Lesen Sie hier einen Kommentar.]

In der Frage, wie viel grüner – also CO2-neutraler – Wasserstoff bis 2030 in Deutschland produziert werden soll, haben Sie sich mit dem Wirtschaftsminister auf zehn Gigawatt Elektrolysekapazität geeinigt?
Darüber sprechen wir, ich mache mich für eine ambitionierte Zielsetzung stark.

Wie viel grünen Wasserstoff müssen wir importieren?
Heute importieren wir 70 Prozent unserer Energie. Daran wird sich grundlegend nichts ändern. Nur werden wir in Zukunft mit dem Grünen Wasserstoff eine andere Art von Energie aus dem Ausland einführen – und aus anderen Regionen, etwa aus Afrika oder Australien.

Zeigt das Projekt Desertec nicht, dass die Vision, Öko-Energie in sonnenreichen Ländern zu erzeugen und nach Europa zu transportieren, nicht funktioniert?
Dort war das Problem doch, dass Leitungen gebaut werden sollten. Wasserstoff und seine Folgeprodukte lassen sich gut per Schiff transportieren. Es gibt für alles die richtige Zeit. Man darf nicht zu früh, aber auch nicht zu spät kommen. In den Ecowas-Staaten in Westafrika sehen wir zum Beispiel aktuell ein großes Interesse bis in die Spitzen der Politik, dieses nachhaltige Geschäftsfeld zu erschließen. Im Übrigen werden sich weder Deutschland noch Europa autark mit erneuerbaren Energien versorgen können.

Wie lange wird „grauer Wasserstoff“, bei dessen Herstellung aus Erdgas CO2 entsteht, noch gebraucht beim Übergang zu einer grünen Wasserstoffwirtschaft?
Je länger der Übergang dauert und je länger wir Parallelstrukturen aufrechterhalten, desto teurer wird es. Die Nachfrage wird zunächst aus der Industrie – also vor allem von den Chemie- und Stahlproduzenten – kommen. Diese können nur mit grünem Wasserstoff ihre Klimaschutzziele erreichen. Klar scheint auch, dass der normale Pkw-Bereich zunächst nicht dazu gehören wird.

Das sehen Verkehrsminister Andreas Scheuer und die Autoindustrie anders.
Ich finde es gut, wenn Unternehmen versuchen, neben den batteriebetriebenen auch wettbewerbsfähige Wasserstoffantriebe zu entwickeln.

Aber entstehen so nicht die teuren Parallelstrukturen?
Im Lkw wird es absehbar keinen sinnvollen Einsatz von Batterie-elektrischen Antrieben geben. Dort werden Wasserstoff und Brennstoffzelle gebraucht – und die entsprechende Infrastruktur zur Versorgung. Das sind keine Parallelstrukturen.

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