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Kein Aufschwung in Sicht: Wirtschaftsweise senken Prognose erneut und fordern Infrastrukturfonds
Eine Woche nach dem Scheitern der Ampel-Koalition stellen die Wirtschaftsweisen ihr Jahresgutachten vor. Erneut bringt es wenig gute Nachrichten mit sich – außer bei der Inflation.
Stand:
Die Wirtschaftsweisen rechnen nach einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr auch 2025 nicht mit einem spürbaren Wachstum der deutschen Wirtschaft. Der Sachverständigenrat erwartet 2025 nur ein Mini-Plus des Bruttoinlandsprodukts von 0,4 Prozent und senkt damit seine Prognose deutlich.
Die deutsche Volkswirtschaft befinde sich weiterhin in der Stagnation, teilte der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten mit. „Die anhaltende Wachstumsschwäche legt nahe, dass die deutsche Wirtschaft von konjunkturellen wie auch von strukturellen Problemen ausgebremst wird.“
Wirtschaftsweise senken Prognose
Im Mai hatte der fünfköpfige Rat noch ein Wachstum von 0,2 Prozent im Jahr 2024 und von 0,9 Prozent im Jahr 2025 erwartet. Nun heißt es, die deutsche Wirtschaft werde sich erst im Verlauf des Jahres 2025 leicht erholen. Produktion und Wertschöpfung in der Industrie seien zurückgegangen. Investitionen seien ebenfalls rückläufig. Die Erholung der Weltwirtschaft führe nicht im bisher üblichen Maße zu einer Steigerung der deutschen Exporte. Auch der private Konsum komme nicht in Schwung. Die Sparquote bleibe hoch. Das bedeutet: viele Haushalte legen ihr Geld lieber auf die hohe Kante, als es auszugeben.
Eine Entspannung gibt es aber nach den hohen Inflationsraten in den vergangenen Jahren bei den Verbraucherpreisen. Laut Prognose dürfte die Inflationsrate im Jahr 2024 durchschnittlich 2,2 Prozent betragen und im kommenden Jahr 2,1 Prozent.
Ampel-Aus führt zu weiterer Unsicherheit
Die Bundesregierung hatte im Oktober ihre Konjunkturprognose gesenkt. Sie rechnet für dieses Jahr mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent. Ein Grund war Unsicherheit bei Unternehmen und Bürgern, die sich mit Investitionen zurückhalten. Diese könnte nun nach dem Scheitern der Ampel und der Frage, wie es weitergeht, weiter steigen. Die Neuwahl des Bundestags ist im Februar geplant.
Für das kommende Jahr erwartet die Bundesregierung ein Wachstum von 1,1 Prozent. Dabei setzt sie aber auch auf eine geplante Wachstumsinitiative mit Steuererleichterungen, Arbeitsanreizen und Strompreis-Vergünstigungen. Ob dies zumindest in Teilen noch bis Jahresende umgesetzt wird, ist aber nach dem Scheitern der Ampel völlig offen.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte bei der Übergabe des Gutachtens der „Wirtschaftsweisen“, die Wachstumsinitiative sei sehr dringend notwendig. Er wolle möglichst viele überzeugen. SPD und Grüne haben aber keine Mehrheit mehr im Bundestag.
Offen sind auch für zusätzliche Maßnahmen zur Entlastung der Industrie. Am Freitag ist ein erneuter Industriegipfel bei Scholz geplant. Wirtschaftsverbände fordern seit langem grundlegende Reformen vor allem für niedrigere Energiepreise und weniger Bürokratie.
Deutschland fällt zurück
Einst war Deutschland in Europa die „Wachstumslokomotive“ – das gilt aber nicht mehr. Das Bruttoinlandsprodukt sei in den vergangenen fünf Jahren real insgesamt lediglich um 0,1 Prozent gewachsen, so die „Wirtschaftsweisen“. Damit bleibe die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands im internationalen Vergleich weiter zurück. In den USA liege das Bruttoinlandsprodukt bereits heute um mehr als zwölf Prozent über dem Vor-Corona-Niveau, im Euro-Raum um gut vier Prozent.
„In Deutschland gab es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Versäumnisse in der Politik und in der Wirtschaft. Um so wichtiger ist es, die Modernisierung unseres Landes jetzt entschlossen voranzutreiben“, sagte Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Das Gremium, dessen Mitglieder auch als „Wirtschaftsweise“ bezeichnet werden, berät die Bundesregierung.
Wirtschaftsweise schlagen Reformen vor
Der Staat müsse mehr investieren in wichtige Zukunftsvorhaben, sagt der Rat. Bisher seien in Deutschland öffentliche Ausgaben für Verkehrsinfrastruktur, Bildung und Verteidigung zu gering. „In allen drei Bereichen besteht ein hoher Nachholbedarf.“
Die Wirtschaftsweisen empfehlen der Bundesregierung, zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben bei der Haushaltsaufstellung und Finanzplanung „verbindlich“ zu erhöhen. Bei Ausgaben für Verkehrsinfrastruktur, Verteidigung und Schulbildung trete der gesellschaftliche Nutzen größtenteils erst in der Zukunft ein – daher würden sie von der Politik oft zurückgestellt. Nötig seien daher „institutionelle Vorkehrungen“, damit ausreichende Mittel für diese Ausgaben eingesetzt werden.
Für die Verteidigungsausgaben und die Bildungsausgaben, insbesondere für die Schulbildung, schlagen die Wirtschaftsweisen Mindestausgabenquoten vor. Für Verteidigung biete sich das Zwei-Prozent-Ziel der Nato an. „Bei der Bildung könnte ein Indikator ausgehend von Mindestausgaben je Schülerin und Schüler festgesetzt werden“, heißt es im Gutachten. Diese Quoten sollten länderspezifisch festgelegt werden, da die Kosten für Bildung von den Ländern getragen werden.
Verkehrsinfrastrukturfonds
Für den Erhalt, die Modernisierung und den Ausbau des bundeseigenen Straßen- und Schienennetzes eigne sich ein Verkehrsinfrastrukturfonds mit dauerhaft eigenen Einnahmequellen, die aus dem Bundeshaushalt übertragen werden, wie beispielsweise Mauteinnahmen, erläuterte der Wirtschaftsweise Achim Truger. Der Nachholbedarf zur Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur könnte über begrenzte Kreditrahmen innerhalb einer „reformierten“ Schuldenbremse finanziert werden, schlug er vor. Truger hatte sich kürzlich für eine Aussetzung der Schuldenbremse ausgesprochen.
Eine Pkw-Maut gibt es bisher nicht. 2019 war die geplante Pkw-Maut in Deutschland – ein Prestigeprojekt der CSU in der damaligen Bundesregierung – vom Europäischen Gerichtshof als rechtswidrig gestoppt worden, weil sie faktisch nur für ausländische Autofahrer gelten sollte.
Auch in der Ampel-Regierung gab es Ideen für einen Infrastrukturfonds, damit Ausgaben verstetigt werden und nicht jedes Jahr neu im Haushalt verhandelt werden müssen. (dpa, AFP, fki)
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