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Freie Bahn – in diesem Jahr gibt es vermutlich keine  streikbedingten Ausfälle.

© dpa/Marijan Murat

Keine Streiks bei der Bahn: Tarifpartner wollen schnelle Einigung

Die Gewerkschaft EVG ist auf Konsenskurs und strebt auch wegen der Bundestagswahl einen schnellen Kompromiss an. Erst im Frühjahr 2026 sind die Lokführer der GDL am Zug.

Stand:

Die Deutsche Bahn bleibt in diesem Jahr wahrscheinlich von Streiks verschont. Am 23. Januar beginnt zwar ein neuer Tarifkonflikt, wenn die Eisenbahngewerkschaft EVG ihre Gehaltsforderung präsentiert. Und nach den Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit wären einige Wochen später die ersten Streiks zu erwarten. In diesem Jahr aber nicht. Die Spitze der Gewerkschaft möchte ohne Getöse und so schnell wie möglich einen neuen Tarifvertrag unterschreiben.

Die EVG ist für rund 180.000 Beschäftigte bei der bundeseigenen Deutschen Bahn (DB) zuständig. Ein Blick zurück gibt Hinweise auf die kommenden Verhandlungen. Im Dezember verständigte sich die EVG mit privaten Eisenbahn- und Verkehrsunternehmen auf Lohnerhöhungen um jeweils zwei Prozent im November 2025 und 2026. Ferner zahlen die Arbeitgeber eine steuerfreie Inflationsprämie sowie ab 2026 einmal im Jahr ein tarifliches Zusatzgeld in Höhe von 25 Prozent des Monatsgehalts, das bestimmte Beschäftigtengruppen in Freizeit umtauschen können.

„Jubelstürme hat es nicht gegeben“, heißt es in der Gewerkschaft über den Tarifabschluss. Erst nach zwölf Monaten steigen im November die Einkommen um zwei Prozent. EVG-Verhandlungsführerin Cosima Ingenschay verteidigt den Tarifvertrag mit Hinweis auf die Inflationsprämie, die zwischen 1200 und 1600 Euro pro Kopf betrage. Die von der Ampel 2022 eingeführte Prämie lief 2024 aus.

Ohne staatliche Hilfen müssen die Tarifparteien 2025 einen Weg durch die Rezession finden, auch bei der Bahn. Der staatliche DB-Konzern ist ein Sanierungsfall, allein in der Güterverkehrssparte sollen 5000 Arbeitsplätze verschwinden. Der Spielraum der EVG ist entsprechend klein – aber groß genug, um bestimmten Beschäftigtengruppen mehr Freizeit zu verschaffen, jedenfalls perspektivisch.

Freie Tage statt kürzere Wochenarbeitszeit

Mit dem tariflichen Zusatzgeld, von der IG Metall erfunden und seit 2019 in der Metallindustrie erprobt, bleibt die EVG beim Thema Arbeitszeit ihrer Linie treu: zusätzliche freie Tage statt einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Damit unterscheidet sich die EVG von der Konkurrenzgewerkschaft GDL, die 2024 für eine kürzere Wochenarbeitszeit von Schichtarbeitenden gestreikt hatte und sich schließlich auf einen Korridor zwischen 35 und 40 Stunden verständigte. Im Frühjahr 2026 muss die Bahn wieder mit der GDL über Geld verhandeln.

Die EVG wiederum regelte im vergangenen Dezember mit den privaten Bahnbetreibern eine Freizeitalternative zum tariflichen Zusatzgeld: Beschäftigte in Wechselschicht, Eltern mit Kindern unter zwölf Jahren sowie Mitarbeitende, die Angehörige ab Pflegegrad 2 betreuen, können von 2027 an zwei freie Tage anstatt des Geldes wählen. Dieses Modell strebt die EVG auch im DB-Konzern an.

Zeit oder Geld stehen zur Wahl

Zeit oder Geld – die EVG schrieb 2016 Tarifgeschichte, als sie eine Wahloption durchsetzte: Die Beschäftigten können sich seitdem zwischen sechs Tagen zusätzlichem Urlaub, ein paar Prozenten mehr Geld oder einer Arbeitszeitverkürzung von einer Stunde pro Woche entscheiden. Zwei Jahre später folgte sogar die Erweiterung auf bis zu zwölf freie Tage.

Nach Angaben der Bahn votiert etwa ein Drittel der Beschäftigten für zwölf Tage, ein Drittel wählt ausschließlich Geld und ein weiteres Drittel sechs Tage sowie die Hälfte der Entgelterhöhung. „Selber zwischen drei Alternativen entscheiden zu können, das hatte es bisher noch bei keinem Tarifvertrag gegeben“, lobt sich die EVG. Das neue Zusatzgeld mit der Wahloption für Schichtarbeitende und pflegende Angehörige soll die Erfolgsgeschichte fortschreiben.

Die Zerschlagung der Bahn wäre ein fundamentaler Angriff auf unsere Arbeitsplätze.

Eisenbahnverkehrsgewerkschaft EVG

Am 28. Januar verhandelt die Gewerkschaft erstmals mit der Bahn. Weitere Treffen sind vereinbart, doch zuvor, am 3. Februar, ruft die EVG ihre Mitglieder zur Demo vor den Bahntower am Potsdamer Platz. Höhere Einkommen, eine Zukunft für die Gütersparte DB Cargo sowie „keine Zerschlagung der Deutschen Bahn“ sind die Forderungen kurz vor der Bundestagswahl. Eine schwarz-gelbe Regierung könnte die Infrastruktur vom Bahnbetrieb trennen. Für die EVG ist das „ein fundamentaler Angriff auf unsere Arbeitsplätze“.

Angesichts der miesen wirtschaftlichen Lage und der Sorge um die Zukunft des integrierten Konzerns stünden „viele Arbeitsplätze auf dem Spiel“, weshalb „die EVG in die Offensive geht“. Gemeint ist die Bereitschaft zu einem Tarifabschluss sogar noch vor dem Ende der Friedenspflicht im März, nach dem Motto: in diesen Zeiten bloß keine Streiks und damit eine unberechenbare Eskalation des Konflikts riskieren.

„Unser Ziel ist es, bis Ende Februar einen neuen Tarifvertrag abschließen zu können“, sagte Ingenschay dem Tagesspiegel. Im März, parallel zu den Koalitionsverhandlungen, können sich Gewerkschaft und Konzernspitze dann auf die große Bahnpolitik konzentrieren. „Insbesondere für die jetzt gestartete Sanierung der DB sind Stabilität, Planbarkeit und Sicherheit sehr wichtig“, wünscht sich ein Bahn-Sprecher geschmeidige Verhandlungen mit der EVG.

Auch aufgrund der Erfahrungen von 2023 scheut die Gewerkschaft den Konflikt. Für die damalige Forderung nach zwölf Prozent, mindestens aber 650 Euro mehr im Monat, verrannte sich die EVG-Führung in mehreren Streiks. Erst mithilfe der Ex-Politiker Heide Pfarr und Thomas de Maizière kam ein Schlichtungsergebnis zustande, das mit knapper Mehrheit von der EVG-Basis gebilligt wurde.

Die EVG verlor 2023 rund 900 Mitglieder, ist mit gut 184.000 aber nach wie vor deutlich stärker als die Konkurrenzgewerkschaft GDL (rund 38.000). Eine Lehre aus dem ausufernden Arbeitskampf 2023: Zu einer weitsichtigen Tarifpolitik gehört eine Lohnforderung, die nicht nur halbwegs umsetzbar ist, sondern die auch die Erwartungen der Gewerkschaftsmitglieder nichts ins Blaue schießen lässt.

Im vergangenen August forderte die EVG 7,6 Prozent für die privaten Bahnunternehmen für zwölf Monate. Vereinbart wurden vier Monate später vier Prozent plus tarifliches Zusatzgeld (entspricht 2,1 Prozent) bei einer Laufzeit des Vertrags von 25 Monaten. Das ist die Größenordnung, auf die die Bahn sich einstellen kann.

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