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Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche Potenziale - was bringt die Künstliche Intelligenz? Darüber diskutiert die neue Enquetekommission des Bundestags.

© Foto: Sven Hoppe/dpa

KI-Enquete-Kommission: Von Horroszenarien und Freiheiten

Der Bundestag hat eine Enquetekommission zur Künstlichen Intelligenz gestartet. Es geht um gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche Potenziale.

Als Dieter Janecek vor zwei Wochen in China war und Sensetime besuchte, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Das Unternehmen ist auf Künstliche Intelligenz (KI) und Gesichtserkennung spezialisiert, zu den wichtigsten Kunden des weltweit am höchsten bewerteten KI-Start-ups gehört die chinesische Regierung selbst. „Die Politik in China zielt darauf ab, die komplette Gesichtserkennung, die totale Überwachung und Entschlüsselung der DNA zu erreichen. Das ist ein Horrorszenario“, erzählt Janecek, Sprecher für digitale Wirtschaft und digitale Transformation der Grünen im Bundestag. Doch wie kann Künstliche Intelligenz so entwickelt und genutzt werden, dass sie wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen bringt? Wie kann Deutschland im Wettlauf um die Zukunftstechnologie mithalten, ohne Grenzen zu überschreiten?

Mit diesen Fragen wird sich die Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche Potenziale“ beschäftigen, deren Mitglieder sich heute zur konstituierenden Sitzung treffen: 19 Mitglieder des Bundestages sowie 19 Sachverständige gehören dem Gremium an (komplette Liste am Ende des Textes), das nach der parlamentarischen Sommerpause 2020 seinen Abschlussbericht mitsamt Handlungsempfehlungen vorlegen soll. 

Die Enquete-Kommission ist damit die parlamentarische Antwort auf die Digital-Gremien der Bundesregierung, zu denen unter anderem gehören: Der Digitalrat, die Datenethikkommission, die Expertenworkshops und das Online-Konsultationsverfahren im Rahmen der KI-Strategie sowie der Innovationsdialog.

Designierte Vorsitzende ist die SPD-Politikerin Daniela Kolbe

Daniela Kolbe, Sprecherin für Verteilungsgerechtigkeit und soziale Integration der SPD-Fraktion, dürfte heute zur Vorsitzenden der Kommission gewählt werden. Sie hat bereits Enquete-Erfahrung gesammelt als Vorsitzende der Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ von 2011 bis 2013 und ist als Diplom-Physikerin technikaffin genug, um Algorithmen nicht nur buchstabieren, sondern ihren Einfluss in der heutigen Welt auch verstehen zu können.

Denn genau daran hapert es aus Sicht von Katharina Zweig bisher erheblich auf politischer Ebene. „Viele Dinge werden unter dem Begriff KI zusammengefasst und vermischt“, kritisiert die Professorin für Informatik an der TU Kaiserslautern, die von Linken als Sachverständige in die Kommission berufen wurde. Wenn die Regierung in den Eckpunkten ihrer KI-Strategie schreibe, dass mit KI die Verwaltung effizienter gemacht werden soll, höre sich das zwar gut an – doch was das genau bedeute, sei unklar: „Sollen künftig Algorithmen entscheiden, ob Leute Hartz IV oder andere Sozialleistungen bekommen oder eben nicht? Oder geht es etwa nur um die Digitalisierung der Verwaltung? Das ist bisher nicht deutlich.“ Einer der großen Knackpunkte in der Kommission wird aus ihrer Sicht die Diskussion über die Regulierung von Szenarien sein, in denen Maschinen über Menschen entscheiden.

Wie stark soll der Staat regulierend eingreifen?

Wie stark der Staat eingreifen sollte, wenn es um Algorithmen geht, gehört auch aus Kolbes Sicht zu den Themen, über die es wohl die meisten Diskussionen in der Kommission geben dürfte. Auch darüber, wie KI bei Verteidigungsthemen eingesetzt werden sollte: „Ziel sollte sein, solche Handlungsempfehlungen zu formulieren, mit denen die Chancen von KI gehoben, aber die Risiken in der Anwendung minimiert werden können.“ Wichtig sei weiter, auch die Öffentlichkeit mit in die Diskussion einzubeziehen – ob und wie dies beispielsweise über Veranstaltungen laufen kann, stehe aber noch nicht fest.

Grünen wollen Stiftung beantragen

Um den Bürgerinnen und Bürgern mögliche Sorgen vor der Künstlichen Intelligenz zu nehmen, wollen die Grünen die Gründung einer gemeinwohlorientierten Stiftung ähnlich der Nesta aus Großbritannien anstreben, sagt Janecek. Ein entsprechender Antrag soll bis Ende des Jahres eingebracht werden. Weiter werden die Grünen einen eigenen Think Tank zu KI aufbauen, der erste Termin mit einer Expertenanhörung ist für den 5. November geplant. Dort, wie auch in der Enquete-Kommission, strebt Janecek an, „die Widersprüche der KI zu beschreiben und die riesigen Chancen der Technologie in Handlungsempfehlungen zu bringen, die sozial und nachhaltig sind“.

„Wir brauchen eine gemeinwohlorientierte KI“ 

Petra Sitte, innovationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, will in der Kommission einen besonderen Schwerpunkt darauf setzen, welche  haben wird. Dabei müsse auch das Thema „Computerdividende“ diskutiert werden: „Wenn durch den zunehmenden Einsatz von KI immer weniger Menschen immer mehr produzieren, müssen die sozialen Sicherungssysteme entsprechend gestärkt werden“, sagte sie. „Wir brauchen eine gemeinwohlorientierte KI.“ 

Aber eben auch eine Regulierung, die Deutschland weiterhin wettbewerbsfähig macht. „Wir haben Glück, dass wir irgendwann mal das Auto erfunden haben, langsam muss da aber mal was Neues kommen“, sagt Mario Brandenburg, der technologiepolitische Sprecher der FDP, der selber Informatiker ist. Start-ups müssten deshalb nicht nur gute Förderung, sondern auch die Freiheiten bekommen, die sie ähnlich wie in den USA oder der Schweiz haben könnten.   

Klausur im Oktober

Der Start der Enquete ist nach Meinung von Daniela Kolbe, „der späteste Zeitpunkt, um noch gestaltend eingreifen zu können“. Den Zeitplan bis Herbst 2020 findet sie „ambitioniert, aber machbar.“ Doppelarbeit mit anderen Gremien, wie der Datenethikkommission der Regierung, will sie vermeiden, und sich deshalb entsprechend mit den Mitgliedern austauschen. Auch ein Vertreter der Bundesregierung soll Anfang Dezember eingeladen werden, um die KI-Strategie zu erläutern.

Für den 15. Oktober ist eine Klausurtagung der Enquete-Kommission geplant, bei der auch Arbeitsgruppen gebildet werden sollen. Die erste reguläre Sitzung steht am 5. November im Terminkalender, anschließend sind zunächst monatliche Treffen geplant, die dann aber wohl auf jede Sitzungswoche ausgeweitet werden, um den engen Zeitplan einhalten zu können.

Die Liste aller Mitglieder der Enquete-Kommission: 

Liste der Abgeordneten (ordentliche Mitglieder):

CDU/CSU: Christoph Bernstiel, Hansjörg Durz, Ronja Kemmer, Jan Metzler, Stefan Sauer, Prof. Dr. Claudia Schmidtke, Andreas Steier SPD: Saskia Esken, Daniela Kolbe, Falko Mohrs, René Röspel AfD: Dr. Marc Jongen, Uwe Kamann FDP: Mario Brandenburg, Daniela Kluckert DIE LINKE.: Dr. Petra Sitte, Jessica Tatti BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dr. Anna Christmann, Dieter Janecek

Liste der Abgeordneten (stellvertretende Mitglieder):
CDU/CSU: Axel Knoerig, Ulrich Lange, Jana Schimke, Tankred Schipanski, Nadine Schön, Tino Sorge, Marcus Weinberg
SPD: Dirk Heidenblut, Arno Klare, Siemtje Möller, Dr. Jens Zimmermann
AfD: Joana Cotar, Dr. Götz Frömming
FDP: Carl-Julius Cronenberg, Manuel Höferlin
DIE LINKE.: Anke Domscheit-Berg, Alexander Ulrich
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dr. Danyal Bayaz, Tabea Rößner

Liste der Sachverständigen: Susanne Dehmel, Prof. Dr. Wolfgang Ecker, Prof. Dr. Alexander Filipović, Dr. Tina Klüwer, Prof. Dr. Antonio Krüger, Prof. Dr. Jörg Müller-Lietzkow, Dr. Sebastian Wieczorek, Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin, Rechtsanwalt Jan Kuhlen, Lena-Sophie Müller, Lothar Schröder, Prof. Dr. Boris Hollas, Prof. Dr. Knut Löschke, Dr. Aljoscha Burchardt, Andrea Martin, Dr. Florian Butollo, Prof. Dr. Katharina Zweig, Prof. Dr. Hannah Bast, Dr. Stefan Heumann.

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