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Acht Prozent mehr für den öffentlichen Dienst: Tarifforderung für 2,5 Millionen Beschäftigte
Verdi, der Beamtenbund und die Gewerkschaften der Polizei und der Lehrer möchten mehr Geld und zusätzlich drei freie Tage. Arbeitgeber bieten zwei Prozent.
Stand:
So teuer wie beim letzten Mal wird es nicht ganz. Die Gewerkschaften fordern für den öffentlichen Dienst der Kommunen und beim Bund acht Prozent mehr Geld sowie drei zusätzliche frei Tage je Beschäftigten. Vor zwei Jahren hatten Verdi und Beamtenbund 10,5 Prozent für die 2,5 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgerufen, so viel wie niemals zuvor. In diesem Herbst steckt die Wirtschaft in der Rezession, die Kommunen haben kein Geld und die Inflation fiel zuletzt unter zwei Prozent. Zweistellige Lohnforderungen sind also nicht möglich.
Traditionell vergehen zwischen Aufstellung der Forderung und den Verhandlungen im öffentlichen Dienst einige Monate. Erst Ende Januar beginnen die Gespräche, die sich mindestens bis März ziehen werden. Auf der einen Seite des Tisches sitzen Verdi, der Beamtenbund sowie die Gewerkschaften der Polizisten und Lehrer; auf der anderen Seite die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) sowie der Bund, vertreten von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).

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Für die VKA führt die Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) die Verhandlungen, ihre Stellvertreter sind die Landräte aus dem baden-württembergischen Rottweil und dem Havelland, beide CDU.
Die Vielfalt in der VKA erfordert von Welge Integrationsgeschick: Rote und schwarze Kommunen, arme und reiche Städte sowie 16 bisweilen sehr unterschiedlich tickende Landesverbände müssen einbezogen werden und am Ende den Einkommenskompromiss mittragen.
Teuerster Tarifvertrag aller Zeiten
Verdi und die anderen Gewerkschaften fordern acht Prozent, mindestens aber 350 Euro monatlich mehr. Für mehr Zeitsouveränität möchten die Gewerkschaften ein Zeitkonto einrichten. Auf dem Konto sollen zum Beispiel Überstunden oder Sonderzahlungen angesammelt und in Freizeit eingelöst werden können. Für Gewerkschaftsmitglieder möchte Verdi einen weiteren zusätzlichen freien Tag durchsetzen.
Die Kosten der Tarifeinigung aus dem Frühjahr 2023 machen den Kommunen noch immer zu schaffen, der damals geschlossene Tarifvertrag läuft Ende des Jahres aus. Inklusive der einmaligen Inflationsausgleichsprämie von 3000 Euro kostete der Tarifabschluss die Kommunen 17 Milliarden Euro. Auf Dauer steigen die Personalkosten der Kommunen um 13 Milliarden Euro und die Einkommen der Mitarbeitenden im Schnitt um gut elf Prozent.
Die Kosten liegen für den Bund, der viel weniger Angestellte hat als die Kommunen, bei 1,43 Milliarden Euro. Wenn die Erhöhungen auf die Beamten übertragen werden, beim Bund gehören Richter, Soldaten und Pensionäre dazu, summiert sich der zusätzliche Personalaufwand des Bundes auf 3,75 Milliarden Euro.
Das ist deutlich weniger als die Last der Kommunen, und von den Einkommenserhöhungen fließen 30 Prozent an Einkommensteuer zurück zum Bund, wie die VKA anmerkt.
Für die Kommunen war es der teuerste Tarifvertrag aller Zeiten, den die Gewerkschaften nach mageren Coronajahren und der historisch hohen Preissteigerung infolge der Energiekrise 2022 durchsetzen konnten. Das ist vorbei, und als „Orientierungsgröße“ hat VKA-Präsidentin Welge dieser Tage die Inflationsrate von rund zwei Prozent ins Spiel gebracht. Das wiesen die Gewerkschafter am Mittwoch erwartungsgemäß zurück.
Im ersten Halbjahr stiegen die Tariflöhne hierzulande im Schnitt um 5,6 Prozent. Abzüglich der Inflationsrate von 2,4 Prozent kommen die Statistiker des Tarifarchivs der gewerkschaftlichen Böckler-Stiftung (WSI) auf ein Reallohnplus von 3,1 Prozent. Seit mehr als einem Jahrzehnt ist dies der höchste Reallohnzuwachs. Allerdings gingen dem drei Jahre mit Kaufkraftverlusten voraus.
Inflationsprämie läuft aus
Einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Tariflöhne leistet 2024 zum letzten Mal die Inflationsprämie, die in nahezu allen Tarifbranchen vereinbart wurde. Ende des Jahres läuft die steuer- und abgabenfreie Prämie, die von der Ampel Ende 2022 als Instrument zur Stabilisierung der Kaufkraft eingeführt worden war, aus. 2025 werde sich der Wegfall der Prämie, „stark dämpfend auf die Tariflohnentwicklung auswirken“, glaubt das WSI.
Verdi-Chef Frank Werneke führt die Verhandlungskommission der Gewerkschaften, die am 24. Januar in Potsdam erstmals mit Welge und Faeser zusammentrifft. Das nun geforderte „Meine-Zeit-Konto“, in das die Beschäftigten Gehaltsbestandteil freiwillig einzahlen können, soll für eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit, zusätzliche freie Tage oder längere Freistellungsphasen genutzt werden, die vor allem für besonders belastete Beschäftigte gedacht sind.
Der Stress im Job ist besonders groß, wenn in Wechselschicht gearbeitet wird, am Wochenende und an Feiertagen oder in Bereitschaftsdiensten, ergab eine Umfrage im öffentlichen Dienst. Hier hat Verdi die meisten (streikbereiten) Mitglieder: Kitas, Krankenhäuser, Verkehrsunternehmen sowie Ver- und Entsorgung.
„Beschäftigte in Schichtarbeit wünschen sich höhere Zuschläge für Schichtarbeit oder auch die bezahlte Pause bei Wechselschicht“, heißt es in der Auswertung der der Beschäftigtenumfrage. Zu den gewerkschaftlichen Forderungen gehört nun eine bezahlte Pause in der Wechselschicht in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sowie allgemein höhere Zuschläge.
Unser Auftrag ist, die Kollegen und Kollegen vor Überlastung zu schützen.
Ulrich Silberbach, Vorsitzender des Beamtenbundes
Es ist also viel im Topf. Wobei Verdi selbst von einem „Teufelskreis“ spricht, wenn Mitarbeitende Entlastungstage nehmen und dadurch die Arbeitsbelastung für die verbliebenen Kolleginnen und Kollegen steigt. Drei zusätzliche freie Tage für alle sowie ein vierter Tag für Gewerkschaftsmitglieder, wie nun gefordert, würde erhebliche Lücken in den Belegschaften reißen. Es sei denn, es käme zu zusätzlichen Einstellungen, was aufgrund der Situation auf dem Arbeitsmarkt schwer umzusetzen ist.
„Wenn wir an der Arbeitszeitfragen nichts tun, würden die Probleme in besonders belasteten Berufen noch größer werden“, meinte Werneke. „Unser Auftrag ist, die Kollegen und Kollegen vor Überlastung zu schützen“, ergänzte Ulrich Silberbach, Vorsitzender des Beamtenbundes. Derzeit würden 570.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst fehlen. „Und die demografische Krise beginnt erst“, sagte Silberbach.
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