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Die Flagge der EU.

© Getty Images/Daniel Day

Mehr Kooperation: Wie sich Europa wirtschaftspolitisch verhalten muss

Europa muss sicherheitspolitisch an der Seite der USA stehen, kann bei den globalen Wirtschaftsbeziehungen aber eine offenere Rolle spielen.

Ein Gastbeitrag von Veronika Grimm

Seit Russlands Angriff auf die Ukraine und der damit verbundenen Beschleunigung geopolitischer Veränderungen wird über die Neuordnung globaler Wertschöpfungsketten und die künftige Weltordnung diskutiert. Reshoring, Friendshoring, Diversifikation – das sind die Schlagworte. Aber was passiert tatsächlich? Und wie sollten wir uns positionieren?

Laut dem aktuellen World Economic Outlook des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird die Entscheidung, wo ausländische Direktinvestitionen hinfließen, immer stärker von geopolitischen Präferenzen bestimmt. Besonders betroffen sind Investitionen in strategische Sektoren wie die Halbleiterindustrie. China etwa verliert hier seit dem russischen Überfall auf die Ukraine zunehmend Marktanteile.

Insgesamt zeichnet sich ab, dass ausländische Direktinvestitionen noch stärker auf Blöcke gleichgesinnter Ländern ausgerichtet werden. Diese Fragmentierung der Welt macht die Welt ärmer, wie Simulationen des IWF zeigen. Langfristig könnten die globalen Produktionsverluste bei fast zwei Prozent des Welt-Bruttoinlandsprodukts liegen.

Die Verluste werden ungleich verteilt sein – Schwellen- und Entwicklungsländer sind anfälliger für die Verlagerung von Direktinvestitionen als fortgeschrittene Volkswirtschaften. Profitieren dürften nach den IWF-Berechnungen hingegen Länder, die sowohl gegenüber den von China als auch den von den USA geführten Blöcken aufgeschlossen bleiben. Das erklärt auch die Strategie von Ländern wie Brasilien oder Indien.

Die fortgeschrittenen Industriestaaten müssen diese Entwicklungen in ihre Überlegungen einbeziehen. Sowohl in den USA als auch in Europa wird zurzeit deutlich, welch eine Herausforderung das dargestellt.

US-Finanzministerin Janet Yellen hat unlängst in einer Rede zur Chinapolitik deutlich gemacht, dass Sicherheitsinteressen an erster Stelle stehen, auch wenn dies negative ökonomische Folgen habe. Gleichzeitig betonte sie, man sei weiter offen für wirtschaftliche Kooperation unter fairen Bedingungen und stehe bereit, sich gemeinsam globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel oder Schuldenkrisen zu stellen.

Dagegen erklärte Joe Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan jüngst, die regelbasierte Handelsordnung sei gescheitert, es müsse einen Paradigmenwechsel geben: Mit einem Billionen schweren Investitionsprogramm in kritische Industrien und Rohstoffförderung sollen die USA und ihre Partner für den geopolitischen Wettbewerb gestärkt und Chinas Seidenstraße etwas entgegengesetzt werden.

Es ist zu erwarten, dass die Amerikaner in diesem Monat beim G7-Gipfel in Hiroshima Sullivans Vorstoß vorantreiben werden. Tatsächlich sind die USA ja auch auf Europa angewiesen. So dürfte eine militärische Aggression Chinas gegen Taiwan unwahrscheinlicher werden, wenn Europa signalisiert, im Kriegsfall fest an der Seite Amerikas zu stehen und Sanktionen entschlossen mitzutragen.

In Europa stehen ebenfalls die vielfältigen Abhängigkeiten, insbesondere von China, im Zentrum der Debatte. Europa wird, anders als die USA, bei Energie und kritischen Rohstoffen auf Importe angewiesen bleiben. Der Weg zu mehr Resilienz dürfte daher zwangsläufig stärker auf weltweite wirtschaftliche Kooperationen und Diversifikation der Importe setzen, schon um die Abhängigkeit von China zu verringern.

Insgesamt bewegen sich die westlichen Demokratien auf einem schmalen Grat. Was den internationalen Handel betrifft, ist eine zu weitreichende Abschottung ähnlich gefährlich wie das Beibehalten unserer Abhängigkeiten. Neu gestaltete Lieferketten könnten die nationale Sicherheit stärken und dazu beitragen, technologischen Vorsprung gegenüber geopolitischen Rivalen aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig dürften Reshoring oder Friendshoring die Diversifizierungs-Möglichkeiten reduzieren und das Wachstum von Entwicklungs- und Schwellenländern bremsen. Zunehmende Armut in diesen Ländern könnte zu neuen Konflikten führen und sie womöglich in die Arme des autoritären Blocks treiben.

Es ist daher nicht ratsam, die Kooperation mit Drittstaaten zu verringern, nur weil diese unseren moralischen Ansprüchen nicht genügen. Zurecht loten Kanzler Olaf Scholz und viele seiner Minister auf ihren Reisen Kooperationspotenziale bei Handelsbeziehungen, Energie und kritischen Rohstoffen aus. Mit Blick auf globale Wirtschaftsbeziehungen kann Europa durchaus eine andere, offenere Rolle als die USA spielen.

Sicherheitspolitisch jedoch darf kein Blatt zwischen Europa und die USA passen. So sehr wir auch unterschiedliche Außenwirtschaftspolitik betreiben werden, so wichtig ist es, autoritären Staaten zu signalisieren, dass die demokratische Welt bei Aggressionen gegen Drittstaaten zusammensteht. Es gilt, mit Partnern im asiatischen Raum daran zu arbeiten, die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation vor allem des Taiwan-Konflikts zu verringern. Eine militärische Eskalation in Fernost würde uns nicht zuletzt enorme Wohlfahrtsverluste bringen und drängende Aufgaben wie den Klimaschutz in den Hintergrund rücken.

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