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Schweinehaltung: Es geht auch anders. Aber größere Ställe oder Auslauf gibt es nicht zum Nulltarif.

© dpa/Marijan Murat

Mit Schweinefleisch geht es los: Agrarminister Özdemir will verpflichtende Haltungskennzeichnung

Im dritten Anlauf soll es endlich klappen. Fünf Stufen sind geplant, von Stall bis Bio. Doch die Finanzierung wackelt. Die FDP macht nicht mit.

Im dritten Anlauf soll es endlich klappen: Nachdem seine Vorgänger Christian Schmidt (CSU) und Julia Klöckner (CDU) gescheitert waren, will jetzt Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) eine staatliche Haltungskennzeichnung für Fleisch auf den Weg bringen.

Anhand von fünf Stufen sollen Verbraucher beim Einkauf auf einen Blick erkennen können, wie die Tiere gehalten worden sind. Anders als der Vorschlag von Klöckner, die wegen europarechtlicher Bedenken auf eine freiwillige Lösung gesetzt hatte und damit beim Koalitionspartner SPD abgeblitzt war, will Özdemir eine verpflichtende Kennzeichnung. Diese soll zunächst nur für Schweinefleisch gelten, das im Supermarkt, in der Metzgerei oder Online verkauft wird. Wurst und andere verarbeitete Produkte sollen später folgen, auch andere Tiere wie Geflügel oder Rinder sollen erst in einem weiteren Schritt einbezogen werden. Gleiches gilt für die Gastronomie und Kantinen. Anders als im Koalitionsvertrag vereinbart, sollen auch Transport und Schlachtung keine Rolle bei der Kennzeichnung spielen, sie soll sich nur auf die Mast beziehen.

"Wer Tiere hält, hat die Pflicht, sie gut zu halten"

„Wer Tiere hält, hat die Pflicht, sie gut zu halten“, sagte Özdemir am Dienstag in Berlin, als er die Eckpunkte der geplanten Reform vorstellte. Aber wenn Landwirte in eine bessere Tierhaltung investieren, sollen diese Investitionen sichtbar werden, betonte der Minister. Die neue Haltungskennzeichnung soll das sicherstellen. Sie soll den Landwirten so auch eine Perspektive geben. „Ich will, dass auch morgen noch gutes Fleisch aus Deutschland auf unsere Tische kommt“, betont Özdemir, der sich selbst allerdings vegetarisch ernährt.

Was geplant ist

Bereits im nächsten Jahr sollen die neuen, gekennzeichneten Produkte im Laden zu finden sein. Verbraucher können dann zwischen fünf Haltungsformen wählen: die Haltungsform „Stall“ ist die unterste Stufe und bildet gerade einmal die gesetzlichen Standards ab, in der zweiten Stufe „Stall+Platz“ bekommen die Tiere 20 Prozent mehr Platz.

Beim „Frischluftstall“ gibt es mindestens 46 Prozent mehr Platz, und eine Seite des Stalls ist offen, so dass die Schweine dauerhaft Kontakt zur Außenwelt haben. Bei der Haltungsform „Auslauf/Freiland“ müssen die Tiere mindestens 86 Prozent mehr Platz und acht Stunden Auslauf am Tag eingeräumt bekommen. Die fünfte Haltungsform kennzeichnet „Bio“. Die geplante staatliche Haltungskennzeichnung ähnelt der Systematik, die der Handel bereits seit Jahren verwendet. Auf der vierstufigen Handelsskala bilden Auslauf und Bio jedoch gemeinsam die Premiumstufe.

Erstes großes Projekt: Bundesagrarminister Cem Özdemir will eine verpflichtende staatliche Tierhaltungskennzeichnung einführen.
Erstes großes Projekt: Bundesagrarminister Cem Özdemir will eine verpflichtende staatliche Tierhaltungskennzeichnung einführen.

© dpa/Fabian Sommer

Özdemir will Landwirte finanziell unter die Arme greifen, wenn sie ihren Tieren eine höherwertige Haltungsform bieten. Eine staatliche Unterstützung soll es aber nur für die Haltungsformen Frischluftstall, Auslauf und Bio geben. Für die reine Stallhaltung gibt es keine Mittel, für die Haltungsform Stall+Platz bekommen die Landwirte Geld vom Handel.

Diese Schweine dürfen raus: Das Bundesagrarministerium will solche Haltungsformen finanziell unterstützen.
Diese Schweine dürfen raus: Das Bundesagrarministerium will solche Haltungsformen finanziell unterstützen.

© dpa/Sina Schuld

Wie soll der Umbau finanziert werden?

Im Etat des Bundesagrarministeriums steht für die Zeit von 2023 bis 2026 eine Milliarde Euro für die Haltungskennzeichnung und den Umbau der Ställe bereit. Allerdings reicht das Geld nicht für eine dauerhafte Finanzierung. Nach Berechnungen des Bauernverbands brauchen die Landwirte vier Milliarden Euro pro Jahr. Um diese Mittel aufzutreiben, hatte die noch von Klöckner eingesetzte Expertenkommission unter Leitung von Ex-Agrarminister Jochen Borchert (CDU) eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von derzeit sieben auf 19 Prozent auf tierische Erzeugnisse oder eine Tierwohlabgabe von 40 Cent pro Kilo Fleisch vorgeschlagen. Nach Berechnungen von Greenpeace würden beide Maßnahmen zusammen Verbraucher mit monatlichen Mehrkosten von knapp zehn Euro belasten.

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Mit der FDP ist das nicht zu machen. „In Zeiten, in denen die Preise für Lebensmittel durch die Decke gehen, kann und darf man weder die Mehrwertsteuer erhöhen noch eine staatliche Tierwohlabgabe einführen“, sagte der landwirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Gero Hocker dem Tagesspiegel. Eine solche Maßnahme führe nur dazu, dass die Menschen billigeres, ausländisches Fleisch kaufen, warnt Hocker. Der deutschen Landwirtschaft erweise man damit „einen Bärendienst“.

Für Importfleisch soll die neue staatliche Haltungskennzeichnung nämlich nicht gelten. Damit will Özdemir mögliche rechtliche Bedenken der EU-Kommission ausräumen. Die FDP fordert eine rein marktgetragene Lösung. Özdemir lehnt das ab, legte sich aber nicht fest, welches Modell er bevorzugt. Er könne sich auch eine Finanzierung über eine entsprechende Aufstockung in seinem Etat vorstellen, sagte er.

Orientierung im Handel: Im Supermarkt gibt es ein vierstufiges Kennzeichnungssystem.
Orientierung im Handel: Im Supermarkt gibt es ein vierstufiges Kennzeichnungssystem.

© imago images / photothek

Özdemir will jetzt starten

Klar ist aber: Selbst wenn es keine Einigung in der Koalition gibt, will der Minister starten. „Wir machen das jetzt“, kündigte Özdemir an. „Die Tierhalter können nicht länger warten.“ Die Landwirte bräuchten eine Perspektive, in vielen Betrieben steht jetzt die Entscheidung über die Hofnachfolge an.

Noch hofft der Minister auf ein Einlenken der FDP. Es geht doch um „sehr schwäbische Summen“, sagte der gebürtige Schwabe, zugleich sei der Nutzen sehr hoch. Mit jedem Euro investiere man in mehr Klima-, Tier- und Verbraucherschutz, sichere die Hofnachfolge und damit die Zukunft des ländlichen Raums.

Druck auf die FDP steigt

„Die FDP muss bei der Finanzierung endlich ihre Blockadehaltung aufgeben, sonst sieht es für den Tierschutz düster aus“, mahnte auch die Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“. Der Bund für Umwelt und Naturschutz forderte die Bundesregierung auf, sich schnellstmöglich auf ein Finanzierungssystem zu einigen. „Die Verweigerungshaltung der FDP gefährdet die Zukunft der tierhaltenden Betriebe“, kritisierte BUND-Bundesgeschäftsführerin Antje von Broock.

Allein die verbesserte Kennzeichnung werde ohne ausreichendes Geld nicht ausreichen, um die Herkulesaufgabe Tierwohl zu stemmen, befürchtet auch Greenpeace-Agrarexperte Martin Hofstetter.

Bauern fordern eine größere Lösung

Der Bauernverband wünscht sich eine weitergehende Regelung. „Wenn für verarbeitete Fleischprodukte, für andere Absatzkanäle als den Lebensmitteleinzelhandel oder für die Bereiche Rind und Geflügel kein verbindlicher Zeitplan vorgegeben ist, dann wird es keinerlei Lenkungswirkung geben und das Konzept droht im Markt unterlaufen zu werden“, befürchtet Bauernpräsident Joachim Rukwied.

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Greenpeace fordert, dass auch Aspekte wie Schlachtung, Transport und Tiergesundheit in das Kennzeichen einfließen müssen. Auch die SPD sieht hier Nachbesserungsbedarf: Die Haltungskennzeichnung müsse von der Geburt bis zur Schlachtung gelten und nicht nur bei der Mast, betonte die landwirtschaftspolitische Sprecherin Susanne Mittag.

"Mit der Mast muss die staatliche Kennzeichnung beginnen, aber am Ende muss unser Ziel eine Regelung für alle drei Nutztierarten über den gesamten Lebensweg sein", sagte sie. Das Agrarministerium will Vorgaben für Schlachtung und Transport jedoch nicht über die Haltungskennzeichnung regeln, sondern über das Tierschutzrecht.

Ein Siegel, das nur auf die Haltungsform schaut, sei irreführend, kritisierte die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. „Schweine mit entzündeten Lungen, Hühner, die am Ende der Mast nicht mehr laufen können und deshalb verdursten – an diesem täglichen Leid der Nutztiere wird die von Özdemir geplante Tierhaltungskennzeichnung nichts ändern“, sagte Foodwatch-Agrarexpertin Annemarie Botzki.

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