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Stahlgipfel der Regierung: Ist die Branche noch zu retten?
Beim Treffen im Kanzleramt geht es um Standorttreue: Nur wer in Europa produziert, soll gefördert werden. Eine Studie sieht große Investitionslücken in Deutschland – und warnt vor Arbeitsplatzverlusten.
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Stahl ist ein ganz besonderer Stoff. Der Wertstoff aus Eisenerz ist „Fundament unserer industriellen Wertschöpfung“, wie die IG Metall formuliert. Dabei ist nicht entscheidend, ob der Stahl aus europäischen Hüttenwerken stammt oder aus China, Russland oder der Türkei. Doch die Situation auf dem Weltmarkt spitzt sich zu.
Weltweit werden die Überkapazitäten auf rund 700 Millionen Tonnen geschätzt. China, Indien und die USA bauen neue Fabriken und flankieren die Investitionen mit Zöllen und Subventionen. In der EU dagegen wurden 2024 neun Millionen Tonnen Produktionskapazitäten stillgelegt. Trotzdem sind die europäischen Werke nur zu knapp zwei Dritteln ausgelastet.
Auch wegen der Importe: Die EU führte im vergangenen Jahr 30 Millionen Tonnen Stahl ein, das entspricht 28 Prozent des EU-Verbrauchs. Die größten Lieferländer waren die Türkei, Südkorea und Indien, Vietnam, Taiwan und China.
Für mehr Handelsschutz haben sich in Brüssel – für die Handelspolitik ist die EU-Kommission zuständig – bereits vor Monaten elf Länder eingesetzt. Deutschland gehörte nicht dazu, weil offenbar die Autoindustrie erfolgreich dagegen lobbyierte.
Am Donnerstag beim Stahlgipfel im Kanzleramt mit Unternehmensvertretern, Gewerkschaftern und Ministerpräsidenten der Stahlländer muss die Regierung Farbe bekennen. Ein Industriestrompreis, der 2026 kommen soll, jedoch befristet auf drei Jahre, hilft der Branche nur mäßig.
Beim Thema Handelsschutz sind eine Halbierung der zollfreien Importquoten sowie ein 50-prozentiger Zoll auf darüber hinausgehende Einfuhren im Gespräch; 50 Prozent verlangen auch die USA. Die Branche plädiert ferner für einen wirksamen CO₂-Grenzausgleich (CBAM), der verhindert, dass „schmutziger“ Stahl nach Europa kommt, während die Europäer ihren teuren „grünen“ Stahl nicht loswerden.
Die Branche will Local-Content-Maßnahmen
Marktführer Thyssen-Krupp möchte ferner das CO₂-Handelssystem aufweichen, doch das ist sogar „intern“ umstritten: Salzgitter und Saarstahl bekennen sich ausdrücklich zur bestehenden Regulierung als einer Grundlage ihrer Investitionen in grünen Stahl.
Weitgehend geschlossen steht die Branche hinter den Forderungen nach Local-Content-Maßnahmen: Wertschöpfung in der EU fördern, um Industrie in der EU zu halten. Andernfalls könnte ein Teil des staatlichen Sondervermögens für Infrastruktur „zu einem Konjunkturprogramm für hoch subventionierten chinesischen Stahl“ werden, argumentiert Thyssen-Krupp.
„Local Content sollte im Kern der europäischen Industriepolitik stehen“, heißt es bei der IG Metall. Und die SPD möchte „Standorttreue einfordern“. Lars Klingbeils Ansatz, keinen Stahl mehr aus Russland zu importieren – im vergangenen Jahr 3,5 Millionen Tonnen –, befürwortet auch die Union.
Dass Stahl aus Deutschland oder aus der EU tendenziell wichtiger wird, ist die Kernbotschaft einer Studie im Auftrag der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung. Es drohe eine neue Abhängigkeit von Lieferanten wie China, was die Gefahr eines „Stahlschocks“ beinhalte, der als Ergebnis von geopolitischen Konflikten oder Lieferkettenproblemen die deutsche Wirtschaft 50 Milliarden Euro im Jahr kosten könnte.
„Wirtschaftliche Resilienz für Deutschland und Europa setzt eine starke deutsche Stahlindustrie voraus, die zeitnah und breit auf klimafreundliche Produktion umstellt“, resümieren die Autoren Tom Krebs und Patrick Kaczmarczyk von der Uni Mannheim.
Zu wenig Investitionen in Deutschland?
Die Wissenschaftler veranschlagen den jährlichen Stahlbedarf in Deutschland und der EU bis 2050 in einem Korridor von 160 bis 180 Millionen Tonnen. Um den Bedarf verlässlich zu decken, müssten davon mindestens 40 Millionen Tonnen hierzulande hergestellt werden, jeweils zur Hälfte „Primärstahl“, über CO₂-arme Direktreduktion erzeugt, und „Sekundärstahl“, der in Elektroöfen aus Stahlschrott geschmolzen wird.
Die Investitionen in neue Produktionsanlagen werden längst nicht im erforderlichen Maß getätigt.
Studie der Uni Mannheim
Die existierenden Koks-Hochöfen haben laut der Studie bis 2035 ihre technische Lebensdauer ausgeschöpft und sollten durch saubere Anlagen zur Direktreduktion ersetzt werden. Doch „die Investitionen in neue Produktionsanlagen werden längst nicht im erforderlichen Maß getätigt“, warnen Krebs und Kaczmarczyk.
Ihren Berechnungen zufolge klafft derzeit eine große Lücke im Bereich der „grünen“ Stahlproduktion: Dem künftigen Bedarf von jährlich 20 Millionen Tonnen Primärstahl stehe eine geplante Produktionskapazität von lediglich acht Millionen Tonnen gegenüber. Dies sei unter anderem auf die Absage der Investitionspläne von ArcelorMittal in Bremen und Eisenhüttenstadt sowie die „unzureichenden Pläne von Thyssen-Krupp in Duisburg zurückzuführen“.
Sollte die Stahlproduktion ins Ausland verlagert werden, wären erhebliche Arbeitsplatzverluste in Bremen, Duisburg, Eisenhüttenstadt, dem Saarland und Salzgitter die Folge. „Eine solche Wirtschaftspolitik wäre ein Konjunkturprogramm für die AfD in den betroffenen Regionen“, meinen die Wissenschaftler.
Die Böckler-Stiftung wiederum erinnert an die Abhängigkeiten von Antibiotika, bestimmte Chemikalien oder Chips für die Massenfertigung. „Jahrelang hieß es, solche vermeintlich simplen Produkte brauchen wir nicht mehr selber herzustellen, die kaufen wir billiger in Übersee. Das war ein riesiger Fehler“, sagt Christina Schildmann, Leiterin der Forschungsförderung der Stiftung. Beim „unverzichtbaren Werkstoff Stahl sollten wir den Fehler nicht wiederholen“.
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