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Im AKW Grafenrheinfeld wurden im August die Kühltürme gesprengt: Der Ökonom Marcel Fratzscher argumentiert, dass Zerstörung auch Platz für Innovation und Neues schaffen kann.

© imago/Jan Huebner/IMAGO/Blatterspiel

Trump-Sieg und Ampel-Bruch: Politische Schocks? Kreative Zerstörung!

Die Krisen der vergangenen Wochen werden unser Land grundlegend prägen. Das birgt enorme Chancen, schreibt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

Marcel Fratzscher
Ein Gastbeitrag von Marcel Fratzscher

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In der vergangenen Woche erlebte Deutschland vermutlich zwei der größten politischen Schocks seit 1989: die Wahl von Donald Trump und das Ende der Ampelkoalition. Diese Ereignisse werden unser Land in den kommenden Jahren grundlegend prägen. Pessimismus ist eine verständliche Reaktion. Doch diese Krise könnte auch Positives bewirken, indem sie eine kreative Zerstörung in wichtigen Politikbereichen anstößt.

Der Begriff „kreative Zerstörung“ stammt vom österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter. Er zeigte vor 80 Jahren, dass eine Wirtschaft nur dann innovativ und wohlhabend sein kann, wenn sie Altes und Unproduktives beseitigt, um Platz für Neues und Innovatives zu schaffen.

Es ist nicht schwer, das Zerstörerische in den Ereignissen vergangener Woche zu erkennen. Trumps angekündigte Handelskonflikte werden der Welt – besonders offenen Volkswirtschaften wie Deutschland – viel Wohlstand kosten. Geopolitische Konflikte dürften sich verschärfen, Risiken und Unsicherheiten steigen.

Das Ende der Ampelkoalition kommt zu einer Zeit, in der Deutschlands politische Verantwortung für sich und für Europa wichtiger denn je ist. Die politische Handlungsunfähigkeit wird zunächst anhalten, da eine neue Bundesregierung erst in mehreren Monaten ihre Arbeit aufnehmen kann.

Die Geschichte zeigt jedoch, dass umfassende Reformen in Demokratien oft erst möglich werden, wenn ein Land in einer tiefen Krise steckt. So war es mit dem DDR-Ende vor 30 Jahren und mit der Bundesrepublik als „kranker Mann Europas“ vor 20 Jahren. Hier liegt eine Chance: Allen in Deutschland muss bewusst sein, dass nicht nur die Politik, sondern auch Wirtschaft und Gesellschaft nicht weitermachen können wie bisher – ein Kurswechsel ist notwendig. Wir müssen die gesellschaftliche Erstarrung und die mentale Depression überwinden.

Mehr Verantwortung für Europa

Konkret bietet diese Krise die Chance auf einen Neustart in vier zentralen Politikbereichen. Die vielleicht dringendste Herausforderung ist ein Kurswechsel in der Verteidigungs- und Europapolitik. Trumps Präsidentschaft wird Deutschland und Europa zwingen, endlich ihre Verteidigung in den Griff zu bekommen und die Ukraine viel stärker durch Waffen und finanzielle Hilfen zu unterstützen.

Außerdem werden Trumps Handelskonflikte Deutschland spürbar schaden, wenn sich Europa nicht endlich stärker integriert und mit einer Stimme spricht. Der Bericht von Mario Draghi bietet eine Blaupause für eine neue europäische Wirtschaftsunion. Die Ampelregierung hat in den letzten drei Jahren viel zu wenig Verantwortung für Europa übernommen und war oft mehr ein Bremsklotz als ein verlässlicher Partner.

Massive Investitionen in Infrastruktur

Zweitens muss Deutschland in der Wirtschafts- und Finanzpolitik entscheiden, ob es den wirtschaftlichen Niedergang nur verwalten oder aktiv bekämpfen will. Der Staat muss massiv in Infrastruktur, Bildung und Innovation investieren, Bürokratie abbauen und vor allem bessere Rahmenbedingungen für alle Unternehmen schaffen.

Die Ampelregierung hat in den letzten drei Jahren viel zu wenig Verantwortung für Europa übernommen und war oft mehr ein Bremsklotz als ein verlässlicher Partner.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung

Dies erfordert kurzfristig ein Aussetzen der Schuldenbremse und mittelfristig eine grundlegende Reform der Schuldenregeln. Viele CDU-Ministerpräsidenten fordern dies bereits, sodass es eine realistische Option für die neue Bundesregierung werden könnte.

Transformation beschleunigen statt ausbremsen

Drittens brauchen wir eine Neuausrichtung in der Klima- und Umweltpolitik. Die Ampelkoalition hat wichtige Fortschritte erzielt und den Ausbau erneuerbarer Energien deutlich beschleunigt, jedoch nicht ausreichend soziale Akzeptanz dafür geschaffen. Obwohl die Regierung im Koalitionsvertrag mit Maßnahmen wie dem Klimageld angedeutet hatte, dass sie die sozialen Herausforderungen versteht, blieb die Umsetzung oft ungenügend.

Die grüne Transformation ist essenziell für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. Die neue Regierung muss diese Transformation beschleunigen, statt bremsen. Der von Christian Lindner vorgeschlagene Stopp von Förderprogrammen und Ausbauzielen und die Stärkung fossiler Energieträger würden diese Transformation bremsen, die Energiekosten deutlich erhöhen und damit die Deindustrialisierung fördern.

Erfüllung des Gesellschaftsvertrages ohne einseitige Belastung der Jungen

Der vierte reformbedürftige Bereich ist die Sozialpolitik. Hartnäckig hält sich die falsche Behauptung, der Staat könne kurzfristig große Einsparungen durch Kürzungen bei den Sozialausgaben erzielen. Es ist dringend notwendig, diesen populistischen Diskurs zu beenden, der verletzliche Gruppen gegeneinander ausspielt.

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Grundlage unseres Gesellschaftsvertrags ist, dass der Staat seine Versprechen bei der Rente, im Gesundheits- und Pflegewesen sowie bei der Absicherung des Existenzminimums erfüllt. Gleichzeitig muss die Politik Maßnahmen umsetzen, damit die junge Generation nicht übermäßig belastet wird, wirtschaftlicher Schaden vermieden wird und die Solidarität erhalten bleibt. Die Ampelkoalition hatte erste Reformvorschläge für die Rente gemacht, die jedoch weiter gefasst werden müssen und nicht nur eine stärkere Umverteilung von Jung zu Alt beinhalten dürfen.

Die politische Krise wird Deutschland zu Reformen zwingen. Wir brauchen eine kreative Zerstörung, bei der Althergebrachtes und überholte Konventionen über Bord geworfen werden, sodass eine grundlegende politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Erneuerung möglich ist. Dies ist die Chance und Herausforderung, vor der Deutschland heute steht. Ich bin überzeugt, dass daraus etwas Besseres entstehen wird, auch wenn der Weg schwierig sein wird.

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