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Mitglieder der Bewegung Fridays for Future demonstrieren vor dem Landtag in Schwerin gegen Nord Stream 2.

© Büttner/dpa

Wechsel auf erneuerbare Energien würde erschwert: Scientists for Future sehen Ausbau von Erdgas als Verzögerung der Energiewende

Die Klimafreundlichkeit von Erdgas wird in neuen Studien bezweifelt. Scientists for Future warnt auch vor finanziellen Risiken.

Von Corinna Cerruti

Der geplante Ausbau von Erdgas-Infrastruktur in Deutschland lässt sich nicht klimapolitisch begründen und birgt zahlreiche finanzielle Risiken. Zudem wird die geplante Energiewende verzögert. So lauten die Thesen eines von Scientists for Future (SFF) veröffentlichten Diskussionsbeitrags. Darin wird die vermeintliche Klimafreundlichkeit von Erdgas anhand neuer Studienerkenntnisse in Zweifel gezogen: Erdgas bestehe als fossiler Energieträger zum großen Teil aus Methan.

Dieses soll in seiner Wirkung als Treibhausgas genauso klimaschädlich wie Kohlendioxid sein. Somit eigne sich Erdgas nicht als Brückentechnologie, wie Befürworter der Pipeline Nord Stream 2 behaupten. Investitionen in weitere Erdgas-Infrastruktur würden zum Verlustgeschäft werden, heißt es in dem Beitrag.

Neue Klimastiftung soll Pipeline unterstützen

Anlass für diesen war die Debatte um die neue von Mecklenburg-Vorpommern gegründete Klimastiftung, die auch die Fertigstellung der umstrittenen Ostsee-Pipeline unterstützen soll. Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future wollten das Diskussionspapier am Dienstagabend Ministerpräsidentin Manuela Schwesig vorstellen.

Erdgas soll in der Energiewende als Brückentechnologie dienen, da Gaskraftwerke wesentlich weniger CO2 als Öl oder Kohle verursachen. Um etwaige Versorgungslücken zu schließen, sollen Erdgaswerke flexibel eingesetzt werden – da Energie aus Wind, Sonne und Wasser Schwankungen unterliegt. Die SFF-Wissenschaftler kritisieren die Pläne.

Abhängigkeiten vermeiden

Deutschland ist das Land mit den zweithöchsten Gasinvestitionsplänen in Europa. Etwa 18,3 Milliarden Euro seien für Kraftwerke, Gasnetze und Flüssigerdgas-Terminals in Planung, heißt es im Beitrag – und wegen sinkendem Erdgasverbrauch nicht notwendig. SFF sieht im Ausbau von Erdgasstrukturen ein Risiko für die Finanzierung der Energiewende.

Dem widerspricht Timm Kehler, Vorstand der Brancheninitiative „Zukunft Gas“. Die bestehende Infrastruktur sei nicht überdimensioniert, sagt er. „Im Gegenteil, jeder Ausbau sorgt für mehr Wettbewerb. Jeder zweite Deutsche heizt mit Gas. Das sei auch eine soziale Frage, denn Erdgas trage dazu bei, dass die Heizkosten stabil bleiben.“ Kehler erklärt: „Die vielen Möglichkeiten Gas zu importieren – auch mehr als erforderlich wäre – machen den europäischen Markt stark für den globalen Wettbewerb, wodurch Abhängigkeiten vermieden werden.”

Es gibt keine Deckungslücke

Franziska Holz, Energieökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat in einer Studie die Bedarfsentwicklung am deutschen und europäischen Erdgasmarkt untersucht. Ihr Fazit: Es gibt keine Deckungslücke. „Dafür haben wir ausreichende Importmöglichkeiten und Erdgasspeicher, die im langjährigen Mittel überdurchschnittlich gefüllt waren“, sagt sie.

Für kurzfristige Engpässe könnten aktuell weiter Erdgaskraftwerke genutzt werden. Langfristig ließen sich zwar nicht alle Teile der Industrie elektrifizieren. „Doch wenn wir jetzt weiter Erdgaskraftwerke und -pipelines bauen, dann werden die sich nicht damit begnügen, nur in Zeiten von Angebotsausfällen zu laufen.“

Unternehmen investieren auf eigenes Risiko

SFF spricht hier von sogenannten Lock-in-Effekten. Der Wechsel auf Erneuerbare werde so erschwert. „Die Dekarbonisierung der Energiewirtschaft ist die günstigste Variante, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren und die Pariser Klimaziele zu erreichen, günstiger als Emissionen in der Landwirtschaft oder im Verkehr zu reduzieren“, betont die DIW-Expertin.

Aus Sicht von Kehler stehen Privatinvestitionen in der Wasserstoffwirtschaft nicht in Konflikt zum Ausbau der Erneuerbaren. „Unternehmen investieren auf eigenes Risiko. Dadurch gibt es keinerlei Engpass, was die Kapitalausstattung für die Energiewende betrifft. Diese wird durch die entsprechenden Mechanismen weiter gefördert“, sagt Kehler.

Doch was ist, wenn das vermeintlich klimafreundliche Erdgas doch eine schlechtere Öko-Bilanz vorweist? Im SFF-Papier wird betont, dass in der Vergangenheit die Umweltfreundlichkeit von Methan zu positiv eingeschätzt wurde. Satellitenbeobachtungen, präzisere Messungen und differenziertere Betrachtungen des Gesamtzyklus sollen zeigen, dass Erdgas in seiner Wirkung als Treibhausgas genauso klimarelevant sein könne wie Kohlendioxid.

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