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Die Mietpreise in Berlin steigen seit Jahren kontinuierlich.

© Stephanie Pilick/dpa

Wohnen und Leben in Berlin: Wenn niedrige Einkommen auf steigende Mieten treffen

In Berlin verdienen die Bürger weniger als in anderen Städten – bei steigenden Mieten. Eine Herausforderung für den neuen Senat.

Berlin, Wunschort für so viele. Seit Jahren meldet die Stadt einen Rekord nach dem nächsten. Noch nie kamen so viele Touristen! So viele Zugezogene wie nie! Hier wollen sie feiern, arbeiten, leben. Während diejenigen, die kommen, fasziniert sind, sind die, die schon da sind, ernüchtert. Laut dem aktuellen „Glücksatlas“ gibt es nur in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg- Vorpommern noch unglücklichere Menschen als in Berlin. Ein Grund ist das Verhältnis hohe Mieten, niedrige Löhne.

Mit 9,2 Prozent ist die Arbeitslosenquote in der Hauptstadt nach wie vor überdurchschnittlich hoch. Nur in Bremen ist sie höher. Gleichzeitig ist das verfügbare Einkommen niedriger als in anderen Städten. In Deutschland verdient eine Fach- und Führungskraft im Schnitt 52.000 Euro brutto im Jahr. In Berlin sind es nur 42.865 Euro. Ein Ingenieur bekommt im Saarland mehr als 60.000 Euro, in Berlin keine 50.000. Ein Arzt bekommt in Rheinland-Pfalz fast 70.000 Euro, in Berlin weniger als 60.000. Eine Pflegerin verdient nicht 38.000 Euro wie in Bayern, sondern gut 8000 Euro weniger. Zu diesen Ergebnissen kommt der jüngste Gehaltsreport 2016 der Online-Jobbörse Step Stone.

Mieten steigen in Berlin rasant

Zwar ist die Lohnzahlung in den neuen Bundesländern noch schlechter, aber Berlin hat ein spezielles Problem: Das unterdurchschnittliche Einkommen kollidiert mit rasant steigenden Mieten. Laut dem Glücksatlas muss ein Berliner 45 Prozent seines Verdienstes für die Miete ausgeben. Das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) kam in diesem Sommer zu einem nicht ganz so dramatischen Befund. Wer in der Hauptstadt wohnt, müsse im Schnitt 21 Prozent seines Einkommens für Zimmer, Wohnung oder Haus einkalkulieren. Damit sei das Münchener Niveau erreicht, das bei einem bundesweiten Spitzenwert von 22 Prozent des verfügbaren Einkommens liegt.

Wenn es aber darum geht, wie hoch das verfügbare Einkommen nach Abzug der Miete noch ist, liegt München bundesweit an der Spitze – und Berlin befindet sich am Schluss. Während ein Münchener wegen der höheren Gehälter noch 20.253 Euro jährlich zur Verfügung hat, verbleiben einem Berliner 13.962 Euro. Von daher sind die Menschen in der Hauptstadt noch stärker von der Mietpreisentwicklung betroffen als im teuren Süden.

Mit der zunehmenden Beliebtheit wuchs und wuchs die Hauptstadt. Und weil es nicht genügend Wohnungen gibt, haben es Vermieter leicht, hohe Mietpreise durchzusetzen. Von 2004 bis 2014 sind die Kaltmieten von mittelteuren Wohnungen im Westen Berlins um 35,5 Prozent, im Osten sogar um 83,3 Prozent gestiegen.

Industrie und große Konzerne fehlen

Natürlich, die derzeit gute Konjunktur ermöglicht Gehaltserhöhungen. Auch in Berlin. Für das zweite Quartal 2016 meldete das Statistische Landesamt Berlin-Brandenburg einen Zuwachs der Bruttoverdienste von 3,3 Prozent. „Die Unternehmen beteiligen ihre Beschäftigten am wirtschaftlichen Erfolg“, sagte Alexander Schirp, Geschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg. „Vor allem die Beschäftigten in der Industrie, wo die Tarifbindung besonders hoch ist, werden gut bezahlt.“ Die Verbraucherpreise stiegen gleichzeitig um 0,2 Prozent. „Dass manche Lebensmittel teurer werden, ist also nicht so sehr das Problem“, meinte Nina Lepsius vom Deutschen Gewerkschaftsbund in Berlin. „Es sind hier die Mieten.“

Dazu kommt die Wirtschaftsstruktur der Stadt. 85 Prozent arbeiten mittlerweile im Dienstleistungssektor, nur noch 14 Prozent in der besser entlohnten Industrie. Laut dem Statistischen Landesamt verdient ein Beschäftigter in der Produktion 4085 Euro im Schnitt, während ein Angestellter im Gastgewerbe monatlich knapp 1500 Euro bekommt. „In vielen Branchen, die hier wichtig sind, wird nicht gut bezahlt“, meint Lepsius. Fast 40 Prozent arbeiten außerdem „atypisch“, sind in Teilzeit, Leiharbeit, befristet oder geringfügig beschäftigt.

Außerdem fehlen große Unternehmen. Keiner der börsennotierten Konzerne hat in der Hauptstadt seine Zentrale. Ein anderes Indiz für die recht geringen Gehälter sei, dass die Lücke zwischen Männer- und Frauenlöhnen bundesweit bei 21 Prozent liege und in Berlin bei elf Prozent. Eine gute Nachricht sei das nicht, weil es zeige, dass es nicht so viele „Top-Jobs“ gebe – die meist Männer innehaben. „Zwar haben mehr Menschen Arbeit“, sagte Lepsius, „aber man muss auch schauen, was das für Jobs sind.“

Der neue Senat will bessere Jobs schaffen

Im Koalitionsvertrag des künftigen rot-rot-grünen Senats ist schriftlich festgehalten: „In Berlin sind in den letzten Jahren viele sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse neu entstanden. Aber viele Menschen können nach wie vor nicht von ihrer Arbeit leben oder sind erwerbslos.“ Ein Kapitel des Vertrags widmet sich deswegen der Bekämpfung von Armut, dem weiteren Abbau der Arbeitslosigkeit – und besserer Bezahlung. Was das Mietproblem betrifft, soll künftig niemand mehr als 30 Prozent des Einkommens für die Nettokaltmiete ausgeben müssen. Für den Fall, dass es noch teurer wird.

Wenn das Einkommen gering ist, kaum zum Leben reicht, wird es nicht nur für den Einzelnen gefährlich. Als die Bertelsmann-Stiftung Mitte der Woche eine Studie zu Armut und Arbeitslosigkeit in Europa vorstellte, blieben die Warnungen nicht aus. „Die Betroffenen fühlen sich vom System nicht mehr mitgenommen“, erklärte Autor Daniel Schraad-Tischler. Auch in Deutschland müsse die Gesellschaft „der Armutsrealität ins Auge sehen“, kommentierte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer beim Paritätischen Gesamtverband. Wer die Situation immer nur schönrede, spiele letztlich den Rechtspopulisten in die Hände.

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