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Super E10 zum Nulltarif: Viele Autofahrer würden offenbar nicht mal dann den neuen Sprit tanken.

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E10-Chaos: Wird der Biosprit abgeschafft?

Verbraucher sind verunsichert, Politiker aufgeschreckt. Am Dienstag hat der liberale Wirtschaftsminister Brüderle zum Gipfel geladen - und lässt seinen konservativen Kollegen aus dem Umweltressort blass aussehen.

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Der Biosprit E 10 verunsichert die Verbraucher. Am heutigen Dienstag treffen sich auf Einladung von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) Politiker, Wirtschafts- und Verbandsvertreter zu einem Gipfel, bei dem über das weitere Vorgehen mit dem umstrittenen Kraftstoff beraten werden soll. Neben Brüderle werden drei weitere Ministerkollegen teilnehmen: Norbert Röttgen (CDU) vom Umweltressort, Ilse Aigner (CSU), die Verbraucherschutzministerin, und Peter Ramsauer (CSU), der Verkehrsminister. Hinzu kommen Vertreter der Wirtschaft sowie von Verbänden und anderen Organisationen: von Automobilverbänden, von den Autoclubs ADAC und AvD, von Verbänden der Mineralölwirtschaft, der Bioethanol-Branche, vom Bauernverband und den Verbraucherzentralen.

Was ist von dem E-10-Gipfel zu erwarten?

Nicht allzu viel. Dass der Biosprit wieder von den Tankstellen verschwindet und als ein fataler politischer Reinfall in die Annalen eingeht, ist höchst unwahrscheinlich. Die Entscheidung zugunsten des E-10-Einsatzes wird vermutlich nicht revidiert werden – das umweltpolitische Anliegen wird von den meisten nicht generell infrage gestellt, die Produktion läuft, die Logistik steht. So wird der Gipfel wohl vor allem auf ein beträchtliches Informationsdefizit bei den Verbrauchern verweisen und eine Art Informationsoffensive anstoßen.

Politisch hat schon im Vorfeld der FDP-Mann Brüderle profitiert: Er hat die Initiative ergriffen und den Gipfel einberufen, als die Autofahrer mit dem Boykott des Biosprits eine riesige öffentliche Debatte auslösten. Damit hat er den eigentlich auf der Zuständigkeitsskala bei diesem Thema noch über dem Wirtschaftsminister stehenden Umweltminister ziemlich blass aussehen lassen. Dessen stets wiederholte Feststellung, dass die meisten Autos, nämlich 93 Prozent, den Biosprit vertragen, wirkte wie ein hilfloser Versuch, in der hochkochenden öffentlichen Debatte überhaupt vorzukommen. Weil er wegen der Kaufzurückhaltung der Autofahrer nun fürchten muss, seine geplante Biospritquote von 6,25 Prozent in den nächsten Jahren nicht zu erfüllen, muss auch Röttgen an einer raschen Lösung des Problems interessiert sein. Am Vortag des Benzingipfels allerdings mischte er sich nicht mit Livezitaten in die Diskussion ein – da war er noch Skifahren.

Wie verkauft sich E 10 aktuell?

Schlecht und immer schlechter. Die Raffinerie PCK in Schwedt an der Oder, die 85 Prozent der in Berlin verkauften Kraftstoffe produziert, teilte auf Anfrage mit, dass im Februar nur 30 Prozent der bestellten E-10-Menge von den Tankstellenbetreibern abgeholt wurde. 60 000 Tonnen hatte PCK produziert, weniger als 20 000 wurden ausgeliefert. In den ersten März-Tagen bis zum Montag sanken Auslieferungen weiter. „Jetzt geht nur noch etwa ein Viertel der bestellten E-10-Menge weg. Die Tendenz ist weiter rückläufig“, sagte PCK-Sprecherin Vica Fajnor. Das „Nischenprodukt“ Super Plus, das bisher nur einen Anteil von fünf Prozent an der Produktion hatte, werde dagegen dieser Tage vier Mal so stark nachgefragt.

PCK in Schwedt hatte als eine der ersten von 13 Raffinerien in Deutschland mit der E-10-Produktion begonnen, „um die geplante Einführung schnell und vorbildlich umzusetzen“, sagte sie. Nun stoße das Unternehmen, das 1100 Mitarbeiter und 500 Fremdarbeiter in der Region beschäftigt, an logistische Probleme: Die Tankkapazitäten seien ausgelastet. „Daher mussten wir die E-10-Produktion jetzt massiv drosseln“, sagte Fajnor. Zudem fielen sehr viele Überstunden an – „das alles verursacht bei uns hohe Zusatzkosten“. Die werden letztlich die Gesellschafter der Raffinerie tragen müssen. Das sind unter anderen die Ölmultis BP, Shell, Eni und Total.

Zwar sei es theoretisch möglich, aus E 10, das zehn Prozent Bioethanol enthält, wieder herkömmliches Superbenzin (mit fünf Prozent Ethanol) zu machen. Aber auch das sei mit größerem Aufwand und höheren Kosten verbunden.

Wer haftet für Schäden, die durch E 10 in Motoren angerichtet werden könnten?

„Den Schaden trägt der Autofahrer“, sagt Maximilian Maurer vom ADAC. Dabei ist die Rechtslage eigentlich anders – zumindest wenn das Modell auf der Unbedenklichkeitsliste der Deutschen Automobil Treuhand steht (www.dat.de). Dann kann man nämlich – juristisch gesehen – den Autohersteller in Regress nehmen. „Wenn der Hersteller das Modell für die Liste freigibt, steht er in der Haftung“, betont Maurer. Das Problem: Der Geschädigte muss nachweisen, dass die zerstörte Dichtung oder der korrodierte Tank wirklich durch das E 10 angerichtet worden ist. Das ist schwierig. „Man muss lückenlos nachweisen, dass man immer richtig getankt hat“, warnt Maurer. Doch wer bewahrt schon alle Tankbelege auf? Notfalls könnte man auch einen Sachverständigen beauftragen, aber das kostet. Außerdem führt die falsche Tankfüllung nicht sofort zum Motorschaden. Es kann Wochen dauern, bis der falsche Sprit das Auto zerlegt. Wie lange, will der ADAC jetzt herausfinden. Der Verband lässt einen Pkw, der den Biosprit nicht tanken darf, extra mit E 10 füllen, um herauszufinden, was passiert. Beweisprobleme stellen sich übrigens auch in anderen Fällen. Wenn etwa der Tankwart oder die Werkstatt zum E 10 raten, obwohl das Auto den Sprit nicht verträgt, haften sie für den Schaden. Allerdings, warnt Maurer, werden sie sich stets herausreden und behaupten, der Kunde habe sie falsch verstanden. „Und schriftlich gibt Ihnen sowieso niemand etwas.“

Sollen die Autofahrer eine schriftliche Unbedenklichkeitsbestätigung bekommen?

Das wünschen sich Wirtschaftsminister Rainer und der ADAC. Sie schlagen vor, dass das Kraftfahrzeug-Bundesamt die Halter persönlich anschreibt und sie darüber informiert, ob ihr Auto Biosprit tanken kann. Das soll den Leuten die Angst nehmen. Doch beim Kraftfahrt-Bundesamt möchte man sich dazu jetzt noch nicht äußern. „Wir warten auf den Benzingipfel“, heißt es auf Anfrage. Die Zurückhaltung könnte mit der Dimension der Aufgabe zu tun haben: In Deutschland sind derzeit 42,3 Millionen Pkw zugelassen.

Wer war für die Information der Autofahrer zuständig?

Autohersteller, Mineralölwirtschaft und Bundesregierung werfen sich jetzt gegenseitig Versäumnisse bei der Information der Verbraucher vor. Hauptkritikpunkt der Politik: Die Tankstellenketten würden ihre Spezialbenzine – zum Beispiel „Shell V-Power“ oder „Aral-Ultimate“ mit 100 Oktan und mehr – stets mit hohem Aufwand bewerben, E 10 dagegen so gut wie gar nicht. Das Umweltministerium hat unter anderem ein Faltblatt drucken lassen, wie schon vor zwei Jahren, als der Anteil des Biosprits im Diesel (B 7) erhöht wurde. 8,5 Millionen Blätter (kaum größer als DIN A4, zwei Mal gefaltet) hat das Umweltministerium drucken und an Tankstellen verteilen lassen. Jetzt werden zwei Millionen nachgedruckt. Laut Kraftfahrzeugbundesamt waren im Januar exakt 42,3 Millionen Pkw hierzulande angemeldet – ein Faltblatt für fünf Autos: Möglicherweise nahm man im Ministerium an, die Halter würden das Faltblatt nach dem Lesen an Freunde weitergeben.

Wer muss bei einem Stopp von E 10 Strafe zahlen?

Die Bezinbranche kolportierte in den vergangenen Wochen, sie müsse Strafzahlungen in Höhe von zwei Cent je Liter verkauften Kraftstoffs zahlen, wenn sie die vorgeschriebene Quote von durchschnittlich 6,25 Prozent Biosprit im Mittel aller Kraftstoffe nicht erfüllt. Mit dem Argument, die Unternehmen würden angeblich effektiv nur 0,5 bis einen Cent je Liter am Sprit verdienen, haben einige Unternehmen schon jetzt – vorsorglich also – bis zu zwei Cent je Liter aufgeschlagen, heißt es in der Branche. Damit zahlen Autofahrer schon heute für eine nur theoretisch mögliche Strafzahlung, die fällig wird, weil Politik und Wirtschaft sich nicht einig geworden sind.

Was aber, wenn die Mineralölunternehmen keine Strafe zahlen müssen? In den Vorjahren wurde die Biokraftstoffquote von 5,25 Prozent am gesamten Kraftstoffabsatz schließlich teils um ein bis zwei Prozentpunkte übertroffen. Dies kann auf die Quote für 2010 und 2011 angerechnet werden, die mittlerweile auf 6,25 Prozent gestiegen ist. Für 2011 ist es daher dank früherer Überschüsse möglich, dass weniger Biosprit verkauft werden müsste. Zudem könnte die Quote auch durch mehr verkauftes Super E 5 oder aber durch 100-prozentigen Biodiesel geschafft werden. In der Praxis ist allerdings kaum anzunehmen, dass die Tankstellenbetreiber jetzt „zu viel“ gezahltes Geld später über gesunkene Preise an die Autofahrer zurückgeben.

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