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Sars-CoV-2-Viruspartikel (orange) treten aus einer stark infizierten Blutzelle (blau) aus, die einem Patienten entnommen wurde (eingefärbte elektronenmikroskopische Aufnahme).

© NIAID

Angst vor Corona-Mutanten: Was man jetzt über die neuen Virusvarianten wissen muss

Ansteckender? Impfresistenter? Ein Jahr nach Beginn der Pandemie breiten sich genetisch veränderte Varianten des Sars-Cov-2-Virus aus. Ein Mutanten-FAQ.

In Deutschland wird der Lockdown verlängert, manche Regelung verschärft, da die Zahl der Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 auf hohem Niveau stagniert. Die Landesregierungen reagieren damit auch auf wachsende Unsicherheit zur Verbreitung von neuen mutierten Varianten des Virus, die möglicherweise ansteckender sind und mehr schwere Erkrankungen verursachen könnten.

Der Verbreitung neuer Varianten ist schwer aufzuhalten, da sich auch in der Pandemie Menschen zwischen den Ländern bewegen. Die zuerst in Großbritannien gefundene Variante B117 ist mittlerweile auch in Deutschland nachgewiesen, andere könnten folgen.

Wie groß sind die Risiken, dass neue Varianten des Virus die Pandemie verschlimmern? Wie und warum entstehen Mutanten? Könnten Maßnahmen gegen Covid-19 Virusmutationen gar befördern? Wir versuchen, den derzeitigen Stand des Wissens zusammenzufassen.

Was sind Mutationen?

Eine Mutation ist eine Veränderung im Erbmaterial. Sie kann erfolgen, während ein Organismus sein Erbmaterial vervielfältigt, oder, wie Sars-CoV-2, von einer infizierten Zelle vervielfältigen lässt. Mutationen können sehr unterschiedliches Ausmaß haben, vom Austausch eines einzelnen Bausteins im Erbgut, man spricht dann von einer Punktmutation, bis hin zum Verlust oder zur Verdopplung langer Erbgutabschnitte. Entsprechend groß ist die Bandbreite der möglichen Folgen.

Viele Mutationen bleiben unbemerkt, weil sie die Baueinleitungen für Proteine nicht oder kaum verändern oder weil sie in Bereichen des Erbguts liegen, auf denen gar keinen Proteinbaupläne liegen. Andere können ein Protein komplett verändern und so etwa die Überlebensfähigkeit der Viren beeinflussen. Bietet die durch eine Mutation verursachte Veränderung unter den geltenden Umweltbedingungen Vorteile, hat sie große Chancen, sich zu verbreiten.

Was sind Mutanten?

Eine Mutante ist ein Organismus, der sich durch eine oder mehrere Mutationen von seinen Artgenossen unterscheidet. Gelegentlich wird auch der ältere, maskuline Begriff „Mutant“ verwendet. Die Begriffe Mutation und Mutante verhalten sich so wie die Begriffe Variation und Variante. Das eine ist die Veränderung, das andere die Erscheinungsform der Veränderung. Mutanten können also schon an ihrem äußeren Erscheinungsbild erkannt werden, an ihrem Verhalten oder der Ausprägung bestimmter Eigenschaften. Im Fall des Virus ist das etwa die Fähigkeit, in menschliche Zellen einzudringen.

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Die zugrundeliegenden Mutationen dagegen kann man nur mit Hilfe molekularbiologischer Analysen, so genannter Gensequenzierungen, erkennen. Die neuen Mutanten des Sars-Cov-2-Virus, die derzeit Probleme machen oder bald machen könnten, haben alle mehrere Mutationen angehäuft. Erst in Kombination verursachen sie relevante Veränderungen. Das muss aber nicht immer so sein. Potenziell kann auch eine einzelne Mutation Eigenschaften des Organismus bedeutsam verändern.

Wie mutieren Viren?

Viren werden mit Hilfe des molekularen Apparates und des Stoffwechsels der Wirtszellen vervielfältigt. Weil sie diesen brauchen, gelten sie nicht als eigenständige Lebewesen. Dieser genetisch-metabolische Parasitismus funktioniert nicht hundertprozentig genau. Es können Fehler in der Abschrift des genetischen Codes auftreten. Anders als viele andere Virengruppen nutzen Coronaviren aber ein Enzym, das nach solchen Fehlern sucht und in den meisten Fällen dafür sorgt, dass diese ausgemerzt werden.

Coronaviren gehören eigentlich zu einer Gruppe von Viren, denen dieses „Gegenlese-Enzym“ (Proofreading Polymerase“) fehlt, den "RNA-Viren", die als Erbmaterial nicht wie etwa Menschen DNA, sondern dessen Schwestermolekül RNA nutzen. Coronaviren bilden hier aber eine Ausnahme. Dadurch haben sie eine vergleichsweise niedrige Mutationsrate. Mutationen kommen aber trotzdem vor. Die meisten wirken sich nicht auf die Funktion des Virus aus oder verschlechtern dessen Fortpflanzungschancen sogar.

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Problematisch für Menschen sind vor allem zwei Arten mutierter Viren: einerseits solche, die leichter in Zellen eindringen, andererseits solche, die Menschen schwerer erkranken lassen. Erstere entstehen meist über Veränderungen an Oberflächenproteinen, mit deren Hilfe Viren in Zellen eindringen. Bei Sars-CoV-2 ist das etwa das „Spike“-Protein, das auch für das charakteristische , kronenartige Aussehen des Virus unter dem Elektronenmikroskop sorgt.

Stärker krankmachende Mutationen beeinflussen dagegen vor allem die Möglichkeit des Virus, dem Immunsystem zu entkommen oder es zu sehr starken Reaktionen anzuregen. Allerdings muss man einschränkend sagen, dass viele der bekannten schweren Verläufe höchstwahrscheinlich ohnehin nicht durch Eigenschaften des Virus, sondern durch Eigenschaften der Patienten bedingt sind.

Außerdem sind auch solche Mutationen problematisch, die das Virus vielleicht nicht infektiöser oder nach Infektion gefährlicher für den Organismus machen, aber weniger oder nicht mehr anfällig für die durch Impfstoffe oder durchgemachte Infektionen gebildeten Antikörper und Abwehrzellen.

 Wie entstehen problematische Mutanten?

Grundsätzlich gibt es bei Viren zwei Möglichkeiten, wie Mutanten entstehen können, die infektiöser sind oder den Effekt von Impfungen und durchgemachten Infektionen umgehen: Sie heißen Antigen-Drift und Antigen-Shift. Bei der Antigen-Drift mutiert ein Virus über seine eigenen Generationen hinweg hier und da, ohne dass die Mutationen sich zunächst irgendwie auswirken, aber eben auch ohne dass die Mutanten aufgrund von nachteiligen Eigenschaften wieder verschwinden. Letztlich kann so aber eine Mutante entstehen, die infektiöser ist, so wie bei B117, die die bestehende Immunabwehr gegen seine nahen Verwandten aushebelt, oder bei der sogar beide Eigenschaften zusammenkommen, wie es möglicherweise bei B1351 (auch bekannt als „501Y.V2“), der in Südafrika zuerst nachgewiesenen Mutante, der Fall ist.

Der andere Mechanismus namens Antigen-Shift ist ein vor allem bei Influenza-Viren gefürchteter Prozess, bei dem sich das Erbmaterial zweier gleichzeitig eine Zelle infizierender Viren-Subtypen mischt und so ein ganz neuer Virenstamm entsteht, dessen Oberflächenproteine sich stark von denen seiner Vorgänger unterscheiden können. Diese „Reassortment“ genannte Neuverteilung von Erbsubstanz funktioniert bei Coronaviren nicht, weil ihr genetisches Material anders als bei Influenza nicht in verschiedenen Packungen vorliegt, sondern hintereinander auf einem einzelnen Erbgutstrang. Trotzdem ist, wenn auch viel seltener, eine Erbgutvermischung wahrscheinlich möglich. Beobachtet wurde sie bislang aber nicht.

Ist die neue Variante B117, die in England erstmals nachgewiesen wurde, wirklich ansteckender?

Bisher wurde meist vorsichtig formuliert, „sie scheinen höher ansteckend zu sein“, oder von Hinweisen darauf gesprochen. Das ist strenggenommen noch immer richtig, denn der abgesicherte Nachweis, der starke epidemiologische Daten mit starken Daten aus Zellkulturversuchen und solche zu den molekularen Mechanismen der verbesserten Ansteckungsfähigkeit verbindet, steht noch immer aus.

Einige der hierzu vorliegenden Studien haben die Prüfung durch unbeteiligte Fachleute noch nicht hinter sich. Trotzdem muss die Reaktion auf diese Mutante ganz klar darauf beruhen, davon auszugehen, dass sie deutlich ansteckender ist als die ursprüngliche Form. Denn die Hinweise, die es gibt, sind sehr, sehr klar. So haben zwei voneinander unabhängige Analysen ergeben, dass B117 tatsächlich übertragbarer ist als andere Formen des Virus.

Eric Volz vom Imperial College London und seine Kollegen untersuchten dafür unter anderem etwa 2000 Genome der Variante, die zwischen Oktober und Anfang Dezember 2020 im Vereinigten Königreich von positiven Covid-Tests stammten. Die Autoren leiteten daraus die Veränderung der Häufigkeit der Variante im Zeitverlauf ab. Ergebnis: Sie dürfte etwa 50 Prozent leichter übertragbar sein als die bislang dominierende Variante.

Die Autoren fanden auch heraus, dass der Lockdown in Großbritannien im November zwar die Epidemie eindämmte, dabei aber die Fälle mit der neuen Variante überproportional zunahmen. Ein anders Team um Nicholas Davies und seine Kolleginnen und Kollegen von der London School of Hygiene and Tropical Medicine schätzt nach einer ähnlichen Datenanalyse, dass die neue Variante 56 Prozent übertragbarer ist als andere Varianten. Beide Studien werden noch von Experten begutachtet.

Sars-CoV-2-Partikel (orange) können in Zellkulturen gezüchtet werden.
Sars-CoV-2-Partikel (orange) können in Zellkulturen gezüchtet werden.

© NIAID

Warum wäre eine Mutante, die gerade einmal 50 Prozent infektiöser ist, ein Problem?

Fünfzig Prozent mehr klingt zunächst nicht nach bedrohlich viel. Ähnlich wie bei dem schon bei den ursprünglichen Varianten viel erörterten exponentiellen Wachstum ergeben sich hier aber gleichsam Zins- und Zinseszins-Effekte. Diese führen – wenn Maßnahmen und persönliches Verhalten die Verbreitung nicht signifikant bremsen – potenziell schon nach ein paar Wochen zu sehr hohen und weiter steigenden Fallzahlen und damit einer Überlastung der Kapazitäten des Gesundheitssystems. Vereinfachte Beispielrechnung: Die bisherige Variante führt unter bisherigen Maßnahmen und Verhaltensanpassungen im Schnitt zu einer weiteren Infektion. Das heißt, das Infektionsgeschehen bleibt stabil. Jeden tag infizieren sich so viele Menschen neu, wie gesunden oder an der Infektion sterben. Eine um 50 Prozent höhere Infektiosität bedeutet, dass jede Infizierte Person im Mittel 1,5 Personen ansteckt. Diese 1,5fach höhere Zahl Infizierter würde dann ebenfalls wieder im Mittel 1,5 neue Infizierte pro bereits infizierter Person nach sich ziehen. Und so weiter. Nach einigen Wochen hätte sich die Zahl der täglichen oder auch wöchentlichen Neuinfektionen vervielfacht, die der Erkrankten auch.

Wie findet man Mutanten?

Mutanten sind mit den derzeit eingesetzten PCR-Tests per se nicht auffindbar. Diese nutzen zwar kurze Abschnitte von Erbmaterial zur Identifikation, finden aber die kleinen Variationen bei den Mutanten normalerweise nicht. Es ist aber möglich, PCR-Tests zu entwickeln, die dies können. Sie finden dann aber nur eine bereits bekannte Art von Mutanten.

Für B117 etwa gibt es solche bereits. Ihr Einsatz ist als Teil einer Suchstrategie nach bekannten Mutanten sinnvoll, auch, weil diese Tests deutlich billiger sind als die vom Bundesgesundheitsministerium derzeit mit 200 Euro pro Test honorierte, genauere Methode für die Suche nach Mutanten: die Genomsequenzierung. Hier werden große Teile oder auch das gesamte Erbmaterial des Virus Baustein für Baustein gelesen und Veränderungen im Vergleich zu den bekannten Varianten dokumentiert. So ist es möglich, sowohl bekannte Mutanten zu finden als auch ganz neue.

Gelingt es, diese Sequenzierungen repräsentativ zu organisieren und über die Zeit zu vergleichen, ergibt sich aus ihnen ein für die Praxis relevantes Bild. Man kann dann etwa sagen, welche Mutanten es gibt, welche häufiger sind als andere, und welche sich wo besonders effektiv verbreiten und ob sie in Zusammenhang mit unterschiedlichen Krankheitsverläufen oder veränderten Ansteckungsraten stehen.

Je intensiver und intelligenter gesucht wird, desto eher besteht die Möglichkeit, problematische Mutanten zu identifizieren und rechtzeitig auf sie zu reagieren, etwa durch örtlich begrenzte, aber intensive Kontaktbeschränkungen und Quarantänen.

Verursachen Mutanten andere Krankheitsverläufe?

Die bereits zitierten Londoner Forscherteams um Volz und Davies haben bislang keine Hinweise gefunden, dass B117 schwerere Verläufe auslöst oder nach erfolgter Infektion anteilmäßig mehr Menschen krank macht. Auch klare Daten in die andere Richtung – also möglicherweise im Mittel weniger schwere Verläufe – gibt es nicht. Grundsätzlich ist es aber möglich, dass Mutanten zu anderen Verläufen bei Infektion und Erkrankung führen. Bei anderen viralen Erkrankungen, etwa Influenza, dominieren mit der Zeit oft weniger krankmachende Varianten. Eine der plausiblen Erklärungen dafür ist, dass weniger schwer Erkrankte tendenziell mehr Kontakte haben, eine solche Variante also bessere Ausbreitungschancen hat. Natürlich spielen aber hier sehr viele Faktoren eine Rolle. So ist ein symptomatisch Erkrankter, wenn er oder sie Kontakte hat, immer ein effektiverer Überträger, schlicht weil etwa Husten und Niesen rein mechanisch mehr Keime in die Umgebung befördern als wenn nur normal geatmet wird. Ein Virus wie Sars-CoV-2, das ohnehin die meisten Infizierten nicht schwer erkranken lässt und auch in der symptomfreien oder sehr symptomarmen Phase effektiv übertragen werden kann, steht zudem kaum unter einem derartigen „evolutionären Druck“. Es bringt ihm kaum Vorteile, wenn der relativ geringe Anteil der schwer Erkrankenden weiter zurückgeht. Zudem haben, wie bereits erwähnt, schwere Verläufe oft Ursachen, die eher beim Patienten liegen und auf die das Genom des Virus wenig Einfluss hat.

Inwiefern beeinflusst der Mensch die Evolution von Sars-CoV-2?

Darüber, auf welche Weise das Verhalten von Menschen sowie Maßnahmen zur Infektionseindämmung oder auch beginnende oder fortgeschrittene Impfprogramme die Evolution des Virus beeinflussen, gibt es kaum wissenschaftliche Daten. Was es gibt, sind aber logisch aus bekannten Befunden und Daten ableitbare Schlussfolgerungen sowie plausible Hypothesen. So ist es sicher, dass eine große Zahl infizierter Personen kombiniert mit einer großen Zahl von Personen, die ihre Infektion auch weitergeben können, es den Viren ermöglicht, auch eine große Zahl von Mutationen zu entwickeln, die sich dann auch verbreiten können.

Das bedeutet auch, dass sich eine Vielfalt an Mutanten, die verschiedene Mutationen kombinieren, entwickeln und verbreiten kann. Auf der anderes Seite ist jede neue Mutante, egal wie gefährlich sie sein mag, chancenlos, wenn ihr Träger oder ihre Trägerin sie nicht übertragen kann. Per Social Distancing, FFP2-Masken und dergleichen kann der Mensch also ganz konkret Virenevolution unterbinden. Er tut dies täglich mit Sicherheit abermillionenfach. Geichzeitig aber bedeuten Maßnahmen, die die Übertragungschancen verringern, aber eben nicht ganz eliminieren, auch, dass Mutanten, die infektiöser sind, unter solchen Bedingungen noch am ehesten übertragen werden. Insofern ist es zwar nicht belegt, aber möglich, dass etwa B117 sich aus diesem Grunde gerade im Lockdown relativ zu anderen Varianten überproportional verbreiten konnte. Der Rückschluss, dass deshalb Lockdowns, Masken, Social Distancing und ähnliches kontraproduktiv sind, ist auf den ersten Blick zwar plausibel. Er ist aber hochgradig zynisch und sozialdarwinistisch, da ein Lockdown-Verzicht bedeuten würde, dass dann eben die ursprünglichen Varianten sehr viele Menschen infizieren und töten würden.

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Können wir den evolutionären Wettlauf mit dem Virus überhaupt gewinnen?

Viren haben sehr viele Vorteile im evolutionären Rennen mit Menschen: Sie mutieren viel schneller, als sich schützende Mutationen beim Menschen durchsetzen könnten. Letzteres würde wie oben angedeutet auch bedeuten, dass man akzeptiert, dass sehr viele Menschen Opfer der Viren werden. Tatsächlich ist der evolutionäre Wettlauf des Menschen mit Mikroben eher ein Wettlauf der natürlichen Evolution (bei den Mikroben) gegen intelligente Innovation (seitens der Menschen). Er kann nur dann „gewonnen“ oder auch nur ausgeglichen gestaltet werden, wenn man insgesamt intelligent vorgeht. Was das in der aktuellen Situation bedeutet - und in Zukunft, wenn sich die Voraussetzungen vielleicht erneut ändern, bedeuten wird - darüber wird intensiv diskutiert.

Eine der nicht inhumanen Argumentationsketten lautet, viel daran zu setzen, die Infektionszahlen zu senken. Das schränkt auch die Verbreitung von Mutanten ein, schafft aber auch Puffer für die Behandlung von Patienten, die sich – möglicherweise wegen der höheren Ansteckungsfähigkeit einer Mutante, trotzdem infozieren und erkranken. 

Mittel dazu sind kurzfristige, aber einschneidende Maßnahmen einerseits, intelligente und effizienten Strategien von Testung, Nachverfolgung, Quarantäne und Übertragungsvermeidung andererseits. Gelingt dies, ist es möglich, Infektionsketten - auch solche mit Mutanten - wieder effektiver zu unterbrechen, gleichzeitig per Impfung das Spielfeld des Virus einzuengen und gleichzeitig vorausschauend bereits Impfstoffvarianten gegen solche Mutanten zu entwickeln, bei denen die alten Impfstoffe weniger effektiv sein dürften.

Ein anderer, ebenfalls diskutierter Weg wäre, alle vorbeugenden Ressourcen inklusive Impfungen auf die Hochrisikogruppen zu konzentrieren, bei allen anderen aber dem Virus freien Lauf und damit Mutanten weniger Chancen auf Verbreitung zu lassen und die anteilsmäßig seltenen, dann aber doch wegen der hohen Gesamtzahlen sehr zahlreichen schweren Verläufe eben bestmöglich zu behandeln. Bei letzterer Option ist aber auch das offensichtliche hohe Risiko von Langzeitfolgen der Infizierten und Erkrankten ein Schwachpunkt. Fakt ist, dass, wer sich nicht infiziert, auch nicht erkrankt und das Virus auch nicht weitergeben kann. Fakt ist aber auch, dass die perfekte Lösung niemand hat und dass sich die Dinge dynamisch entwickeln und dass auch die „Ziele“ und die Bereitschaft zum Einsatz von Ressourcen – beziehungsweise die Argumentationsketten bezüglich der Vertretbarkeit, massiv Ressourcen einzusetzen – je nachdem, wen man fragt, unterschiedlich definiert werden.

Eine Spritze mit dem Impfstoff von Biontech-Pfizer wird in eine Impfkabine gebracht.
Eine Spritze mit dem Impfstoff von Biontech-Pfizer wird in eine Impfkabine gebracht.

© Boris Roessler/dpa Pool/dpa

Gibt es bereits Mutanten, gegen die die derzeit verfügbaren Impfstoffe nicht wirken?

Bislang ist nicht nachgewiesen, dass bekannte Mutanten die Immunreaktion abschwächen oder stoppen, die eine Infektion mit den bisherigen Varianten oder eine der derzeit verfügbaren Impfungen auslösen. Etwa für den in Südafrika erstmals aufgetauchten Stamm gibt es aber Hinweise darauf. Diese stammen unter anderem aus ebenfalls bislang nicht abschließend unabhängig begutachteten Laborexperimenten, in denen Antikörper mit Proteinen von Mutanten zusammengebracht wurden. Mutationen an einer Stelle des Virusgenoms, die E484 genannt wird, sorgten dafür, dass Antikörper, deren Produktion von bisherigen Varianten sowie von Impfstoffen angeregt wird, deutlich ineffektiver wurden. Genau an dieser Stelle hat die in Südafrika gefundene Mutante eine Veränderung.

Bei einer neuen Mutante, die sich in der Amazonas-Metropole Manaus ausbreitet, aber auch schon etwa in Japan nachgewiesen worden ist, gibt es die bislang klarsten Hinweise darauf, dass sie die Fähigkeit hat, Genesene erneut zu infizieren und erkranken zu lassen. In Manaus jedenfalls, wo nach Erkenntnissen des Virologen Nuno Faria, der am Londoner Imperial College arbeitet, ein Großteil der Bevölkerung bereits eine Infektion hinter sich hat, stecken sich derzeit sehr viele, auch Genesene, mit der neuen Mutante an. Viele erkranken auch schwer. Meldungen, es gebe ungenügend Sauerstoff zur Versorgung der Patienten, gingen um die Welt. Ob auch die derzeit genutzten Impfstoffe bei dieser Mutante nicht oder deutlich schlechter wirken, ist noch unklar, aber nicht unwahrscheinlich.

Wenn sich ein Stamm verbreitet, gegen den Impfstoffe weniger effektiv sind, ist das derzeit aus zwei Gründen noch nicht das wichtigste Problem: Da anteilmäßig wenige Menschen geimpft sind, ist der Grund für seine stärkere Verbreitung mit hoher Wahrscheinlichkeit eine andere Eigenschaft, etwa jene erhöhte Infektiosität. Zu einem messbaren Vorteil würde eine „Toleranz“ gegen Impfstoffe erst, wenn ein großer Teil der Bevölkerung geimpft ist oder eine Infektion bereist durchgemacht hat.

Zudem bedeutet eine verminderte Effektivität von Impfstoffen meist nicht, dass sie komplett unwirksam wären. Selbst wenn die Wirksamkeit von 95 auf 50 Prozent sinken sollte, läge sie noch in einem Bereich, den Zulassungsbehörden ursprünglich als hinreichend für eine Zulassung angesehen hatten. Zudem ist sowohl bei klassischen Impfstoffen als auch bei den neuartigen eine Anpassung an die Eigenschaften von Mutanten möglich. Wichtig ist hier, dass rechtzeitig begonnen wird, an solchen angepassten Impfstoffen zu arbeiten, um sie auch rechtzeitig verfügbar haben zu können.

Elektronenmikroskopische Aufnahme von Sars-CoV-2-Partikeln
Das Spike-Protein auf der Oberfläche von Coronaviren verleiht ihnen das namengebende kronenartige Aussehen.

© NIAID

Wie viele Mutanten werden gefunden?

Es werden täglich neue Mutationen und Mutanten identifiziert. In der „GISAID-EpiCov“-Datenbank sind derzeit mehr als 120.000 Virusgenome gelistet. Hier gilt aber vor allem: Je mehr man nachschaut, desto mehr findet man. Wo viele Proben gensequenziert werden, werden bei vergleichbarer Zahl an Infektionen auch mehr Mutanten identifiziert.

Aufgrund der in Südafrika und England aufgetauchten Mutanten werden jetzt zunehmend Proben sequenziert. Wenn also derzeit und in den kommenden Tagen und Wochen immer wieder von neu aufgetauchten Mutanten die Rede sein sollte, dann ist dies genau das, was zu erwarten ist. Die Gefahr wird dadurch nicht größer, eher im Gegenteil: Die Tatsache, dass man sucht und findet, ermöglicht Reaktionen.

Unabhängig davon verändern die meisten Mutationen das Virus nicht entscheidend. Derzeit gelten nur wenige als „variant of concern“, als besorgniserregende Varianten. Wenn Mutationen dem Virus keinen Verbreitungsvorteil verschaffen, dann verschwinden die meisten auch schlicht aufgrund der Übermacht der etablierten Varianten wieder.

Weil Virologen und Molekularbiologen auch immer mehr über die potenziell problematischen Teile des relativ kleinen Genoms des Virus wissen, können sie, wenn eine Mutante auftaucht und vielleicht auch häufiger auftaucht, auch wichtige Schlussfolgerungen ziehen: Sie können abschätzen, was für Auswirkungen deren Gen- und damit Proteinveränderungen haben könnten. So können etwa bestimmte Modifikationen im „Spike“-Protein Hinweise auf veränderte, vielleicht verstärkte Infektiosität sein.

Weil die bisherigen Impfstoffe Abwehrmechanismen erzeugen, die relativ passgenau zu diesem Protein passen, können Veränderungen hier auch potenziell die Effektivität der Impfseren beeinflussen. Insofern spielen effektive Datenverarbeitung und steter Informationsaustausch eine große Rolle.

Denn wenn man weiß, welche Varianten im Umlauf sind und ob, wo, und unter welchen Bedingungen sich welche davon effektiver als andere verbreiten, ist es auch möglich, früh gegen die Ausbreitung eventueller Problemviren gezielt und mit besonderem Ressourceneinsatz vorzugehen, oder auch so früh wie nur irgend möglich, Impfstoffe an sie anzupassen.

Voraussetzung für jenen effektiven Datenaustausch ist natürlich auch, dass zunächst überhaupt effektiv Daten erhoben werden. Das ist nicht einmal in Deutschland bislang ausreichend der Fall, in vielen anderen Ländern noch viel weniger.

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