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Aufraffen statt Aufschieben: Die Genetik des inneren Schweinehunds
Morgen! Morgen pack ich’s an! Liegt mein Hang zum Prokrastinieren daran, dass ich bestimmte Genvarianten geerbt habe?

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Um 7 Uhr wollte der Erbonkel aufstehen und diese Kolumne schreiben. Doch die Weihnachtsfeier mit der Familie war lang und feuchtfröhlich. Und überhaupt, eigentlich habe ich doch Urlaub, bin müde, es ist so schön warm im Bett … Mein „Innerer Schweinehund“ ist eine sehr kreative Kreatur, wenn es um das Erfinden von Argumenten geht, warum auf die lange Bank geschoben werden soll, was eigentlich längst hätte erledigt werden müssen.
Offenbar habe ich Genvarianten geerbt, die das Prokrastinieren fördern. Einer Zwillingsstudie im Fachblatt „Psychological Science“ zufolge ist Aufschieberitis zu schätzungsweise 46 Prozent genetisch determiniert. Es sind wohl vor allem solche Gene involviert, die den Dopamin-Haushalt regulieren. Der Botenstoff wird in der Regel als Belohnung ausgeschüttet, um ein Glücksgefühl auszulösen – wenn man die Fenster dann doch geputzt oder es tatsächlich frühmorgens zum Joggen aus dem Bett geschafft hat.
Aber wenn das Gehirn mit dieser Motivations- oder „Glücks“-Währung aufgrund der genetischen Konstitution sehr sparsam umgeht, etwa weil die Enzyme für die Dopaminproduktion langsamer als üblich arbeiten, dann fehlt der Anreiz.
Eines dieser Enzyme ist die Tyrosin-Hydroxylase. Varianten dieses Enzyms gehen auch mit Unterschieden in der Impulsivität von Menschen einher. Beiden Verhaltensweisen liegt eine gemeinsame kognitive Fähigkeit zugrunde: zielorientiertes Handeln, also sich kurz- und langfristige Ziele aktiv setzen und entsprechendes Verhalten initiieren zu können. „Prokrastinierer sind auch deshalb impulsiv, weil sie es nicht schaffen, ihre Ziele wirksam zu steuern und ihr Verhalten zu kontrollieren“, schreibt das Forschungsteam um Naomi Friedman von der University of Colorado Boulder.
Bei Frauen scheint außerdem die Östrogen-Konzentration eine Rolle zu spielen. Ohne Östrogen gehen die Zellen zugrunde, die Dopamin produzieren. Das könnte erklären, warum manche Frauen mitunter zyklische Unterschiede in ihrer Motivation und Impulskontrolle bei sich beobachten.
Das klingt jedenfalls alles nach einer tollen Ausrede, jetzt erstmal in Ruhe zu frühstücken, bevor ich anfange zu schreiben. Meine Gene sind schuld!
Blöd nur, dass 54 Prozent des aufschieberischen Verhaltens nicht genetisch erklärbar, sondern durch anderweitige Einflüsse bedingt sind. Etwa meine Fähigkeit zu denken und Argumente abzuwägen, die voranschreitende Zeit bis zum Redaktionsschluss zu berücksichtigen, sowie den Ärger meiner Kollegen und die Enttäuschung des einen oder anderen Lesers über die ausbleibende Kolumne zu antizipieren.
Also los! Ob schreiben, joggen oder fasten – einfach die eigenen Gene ignorieren, den molekularen Schweinehund überwinden und loslegen! Carpe diem! Ich schaff das! Gleich nach dem Frühstück! Oder Silvester!
Was wir zum Leben mitbekommen und was wir weitergeben – jedes Wochenende Geschichten rund um Gene und mehr in der „Erbonkel“-Kolumne.
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