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Entzündungssyndrom nach Covid: Berliner Ärzte und Forscher lösen das letzte große medizinische Rätsel der Pandemie
Einige Kinder entwickeln nach einer Corona-Infektion eine teils lebensgefährliche Erkrankung namens PIMS. Jetzt wurde die Ursache geklärt – und eine Therapieoption entwickelt, vielleicht auch für Long Covid.
Stand:
Es war das vielleicht größte verbleibende medizinische Rätsel der Corona-Pandemie.
Denn inzwischen ist zwar etwa gut erforscht, wie das Virus zu akuten und auch schweren Covid-Verläufen führt. Auch über die Mechanismen von Long Covid ist mittlerweile zumindest einiges bekannt.
Doch bisher war unklar, was manche Kinder nach einer Coronavirus-Infektion an einem schweren, verschiedenste Organsysteme befallenden Entzündungssyndrom, bekannt als PIMS (Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome), erkranken ließ. Jetzt gibt es eine Antwort.
Kinder-Rheumatologen von der Charité und Wissenschaftler des Deutschen Rheumaforschungszentrums in Berlin stellen sie im Fachmagazin Nature vor.
Es ist ein ganz anderes Virus als Corona, das hier die wichtigste Rolle spielt: In den Körpern der Kinder wird ein zuvor unter Kontrolle gehaltener Erreger gleichsam geweckt, das Epstein-Barr-Virus (EBV). Es ist vor allem als Auslöser des Pfeifferschen Drüsenfiebers bekannt.
Die Krankheit wird uns weiterhin beschäftigen.
Tilmann Kallinich, Charité, über PIMS in der Zukunft
Die meisten Menschen infizieren sich im Laufe ihres Lebens mit dem Erreger, meist aber unbemerkt und ohne zu erkranken. Doch das Virus überlebt in einigen Zellen und versteckt sich dort vor dem Immunsystem. Und wenn eben dieses Immunsystem geschwächt oder aus dem Gleichgewicht greraten ist, kann EBV wieder aktiv werden.
Die schweren, teils lebensgefährlichen Symptome von PIMS löst allerdings nicht das Virus aus, sondern die extrem starke Reaktion des Immunsystems.
Mir-Farzin Mashreghi vom Deutschen Rheumaforschungszentrum an der Charité, einer der Initiatoren der Studie, nennt den Grund: Es gelinge der körpereigenen Abwehr nicht, wirklich scharfe Waffen gegen den Erreger zu produzieren, wird er in einer Mitteilung der Charité zitiert. Hauptgrund dafür sei ein aufgrund der Coronainfektion verstärkt produzierter Botenstoff namens TGF-Beta, der Immunreaktionen hemmt. Das führt offenbar dazu, dass diese weniger scharfen Waffen, also bestimmte Abwehrzellen, in Massen hergestellt werden, was letztlich in eine viel zu starke und ausgebreitete Entzündung mündet und körpereigenes Gewebe schädigt.
Tilmann Kallinich, Leiter der Sektion Kinder-Rheumatologie an der Charité und zweiter Hauptverantwortlicher der jetzt erschienenen Studie, sagt, man sei EBV aufgrund von molekularen Befunden auf die Spur gekommen: PIMS-Patienten trugen auf Abwehrzellen, die sie in Massen herstellten, auffällig häufig eine zu EBV passende Struktur. „Weitere Experimente belegten diese Beobachtung.“
Meist „gute Prognose“
Für die Studie wurden 145 Kinder im Alter zwischen zwei und 18 Jahren untersucht, die wegen PIMS in der Kinderklinik der Charité oder Krankenhäusern in Lyon (Frankreich), Neapel (Italien), Ankara (Türkei) oder Santiago (Chile) behandelt worden waren. Zum Vergleich zog das Team 105 Kinder heran, die ebenfalls eine Corona-Infektion durchgemacht, aber kein PIMS entwickelt hatten.

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Aktuell, sagt Kallinich, erkrankten wenige Kinder an PIMS. Grund sei, dass das Syndrom „immer nur infolge der ersten Sars-CoV2 auftritt“, derzeit aber fast alle Kinder eine Infektion mit Sars-CoV2 hinter sich hätten oder geimpft seien. „Das wird sich aber sicher ändern, sobald wieder mehr Kinder nicht geimpft sind, beziehungsweise noch keine Sars-CoV2-Infektion durchgemacht haben. Die Krankheit wird uns also weiterhin beschäftigen“.
Kinder, die eine PIMS-Erkrankung durchgemacht haben, hätten normalerweise eine „gute Prognose“, so Kallinich. Allerdings gebe es auch Fälle, bei denen infolge der Gefäßentzündungen Herzkranzgefäße dauerhaft erweitert geblieben seien. Auch von psychischen Folgeschäden werde berichtet.
Parallelen zu Long Covid
Behandelt werden Patienten bislang unter anderem mit entzündungshemmenden Mitteln, etwa Kortison. Die Befunde zum Botenstoff TGF-Beta allerdings könnten auch neue Therapiewege eröffnen. Die Studienautoren sehen in einer medikamentösen Blockade eben dieses Botenstoffes jedenfals einen vielversprechenden Ansatz.
Und der könnte sogar auf andere Krankheiten – die so anders dann aber vielleicht auch gar nicht sind – ausgeweitet werden. Zum Beispiel Long Covid: „Vielleicht gibt es hier Parallelen zu den Vorgängen bei PIMS, dann wären TGF-Beta-Hemmer potenzielle Kandidaten für eine Therapie gegen Long Covid“, so Mashreghi.
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