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Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).

© Carsten Koall/dpa

Kritik in der Ampel an Ministerin Stark-Watzinger: BMBF-Mittelstopp auch für Rechtsextremismus-Forschung

Der Förderstopp des Forschungsministeriums betrifft auch ein wichtiges Programm zur Rechtsextremismus-Forschung. SPD und Grüne sind über die Ministerin irritiert.

Das Ziel war klar und eindeutig: Mehr Forschung, mehr Prävention, wirksamer Opferschutz bei Rechtsextremismus und Rassismus. So lautete die Botschaft nach der Sitzung des Bundeskabinetts vor zwei Jahren. 89 Maßnahmen wurden verkündet, eine zentrale davon vom Bundesforschungsministerium (BMBF), das die Wissenschaft zu dem Thema nachhaltig stärken wollte. Umso größer ist dieser Tage der Schock bei Wissenschaftler:innen, die genau dieses Forschungsprogramm umsetzen wollen.

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Denn jetzt, wo es im Juli starten sollte, gehört es zu denen, die von kurzfristigen Mittelstopps und Kürzungen des BMBF unter Ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) betroffen sind, die das Amt inzwischen von Vorgängerin Anja Karliczek (CDU) übernommen hat, unter deren Federführung das Programm zur Rechtsextremismus-Forschung entstanden war.

Wie berichtet, geht wegen dieser Mittelstopps und Kürzungen ein Aufschrei durch viele Universitäten – weil Förderlinien teils kurzfristig angehalten wurden, längst zugesagte Mittel auf einmal nicht fließen, manche Programme komplett beendet werden müssen. In der Ampelkoalition könnte das zum nächsten Streitthema werden.

Noa Ha vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) ist beim Thema Rechtsextremismus und Rassismus eine der betroffenen Wissenschaftlerinnen, sie klingt fassungslos, als sie über die aktuelle Lage berichtet. Sie spricht von einer „Katastrophe“: „Die beteiligten Hochschulen fallen hintenüber.“ Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Gewalt- und Konfliktforschung an der Uni Bielefeld, sagt: „Das habe ich in 26 Jahren Forschung noch nicht erlebt.“

„Dringend notwendige" Förderlinie

Die Situation sei für ihren Bereich umso gravierender, weil die Forschung zu Rechtsextremismus und Rassismus bei der staatlichen Förderung lange vernachlässigt wurde. Die Förderlinie, die dann 2021 auf Grundlage des Beschlusses der damals noch Großen Koalition veröffentlicht wurde, sei die erste in diesem Umfang und daher höchst willkommen und dringend notwendig.

Unterstützt werden sollten Forschungsvorhaben zu Rechtsextremismus und Rassismus sowie zwei „Wissensnetzwerke“, um das Gebiet im deutschen Wissenschaftssystem strukturell zu stärken. Zick erinnert sich noch gut daran, wie er mit der damaligen Ministerin Karliczek und auch Olaf Scholz über das Programm geredet habe: „Die musste man nicht überzeugen.“ Es gehe um eine Stärkung und Neuaufstellung der Wissenschaft in Deutschland bei den Themen, auch um international mithalten zu können.

Das Forschungsprogramm zu Rechtsextremismus und Rassismus wurde noch von Stark-Watzingers Vorgängerin Anja Karliczek angeschoben: "Die musste man nicht überzeugen."
Das Forschungsprogramm zu Rechtsextremismus und Rassismus wurde noch von Stark-Watzingers Vorgängerin Anja Karliczek angeschoben: "Die musste man nicht überzeugen."

© imago images/Political-Moments

Noch von Karliczek angeschoben, von Scholz gut geheißen

Um genau so ein Wissensnetzwerk für das Thema Rassismus bewarb sich das DeZIM, in dem Verbund sind insgesamt acht Hochschulen – und zwar erfolgreich. Anfang Februar – die Ampelkoalition und mit ihr Stark-Watzinger hatten längst mit dem Regieren begonnen – wurde die Antragsskizze positiv begutachtet, für den danach nötigen und dann ebenfalls positiv beschiedenen Vollantrag blieben gerade mal dreieinhalb Wochen, sagen Ha und Zick übereinstimmend. Eine ungewöhnlich kurze Frist, „es wurde vom Ministerium richtig Druck gemacht, damit das Programm am 1. Juli starten kann“, so Ha.

Ende April gab es laut Ha und Zick bereits Gespräche mit dem Ministerium über eine Kommunikationsstrategie, die das Programm begleiten soll. Stellen wurden ausgeschrieben und besetzt, Berufungen an den beteiligten Unis vereinfacht und in Rekordzeit durchgezogen.

Was dann folgt, kann Ha bis jetzt nicht nachvollziehen. Am 27. Juni habe das Ministerium auf einmal mitgeteilt, die Wissenschaftler:innen müssten sich auf „deutliche“ Verschiebungen einstellen. „Seitdem haben wir nichts mehr gehört“, sagt Ha. Kolleg:innen, die neue Stellen antreten wollen, stünden vor dem Nichts. Es sei nicht einmal klar, ob die gesamte Förderlinie zu Rechtsextremismus und Rassismus gestoppt sei oder nur mehrere Einzelprojekte daraus. „Wir stellen uns jetzt die Frage: Wird das alles eingestampft?“

„Was da für Arbeit reinging“

Unter Zicks Federführung sollte das Netzwerk für die Rechtsextremismusforschung entstehen, auch er hat bisher keine Nachricht erhalten, wie es nun weitergeht. „Ich hätte wenigstens gerne einen Grund gehört“, sagt Zick. Bis auf den Punkt sei alles vorbereitet gewesen. Es gehe immerhin um zwölf Millionen Euro, es hätte insgesamt 170 Anträge gegeben, eine enormer Auswahlprozess – „was da für Arbeit reinging“.

Unklar ist unterdessen noch immer, welchen Umfang die gesamten Kürzungen haben. Wie berichtet, sind neben Rechtsextremismus- und Rassismus-Forschung auch Programme zu den Folgen der Corona-Pandemie, bio-ökologische Forschung, unter anderem zu den Folgen der Klimakrise, und innovative Frauenprogramme betroffen. Eine Liste aller Programme, die jetzt vor Kürzungen, Streichungen und verspäteten Mittelzuweisungen stehen, konnte das BMBF auf Anfrage „aufgrund der Vielzahl an Projekten, Förderlinien und Programmen des Hauses sowie der naturgemäß flexiblen Rahmenbedingen von Projektfördermaßnahmen“ nicht schicken.

Bisher hatte das BMBF gesagt, von den Stopps seien wenn überhaupt nur „Anschlussprojekte" tangiert. Die Rechtsextremismus-Förderline ist aber ein komplett neues Programm. Dazu teilt eine BMBF-Sprecherin mit, „lediglich die Bewilligung und damit der Start der Projekte“ verzögere sich. Ein Förderbeginn solle „zum schnellstmöglichen Zeitpunkt“ erfolgen. Bei den beteiligten Wissenschaftler:innen wie Ha und Zick ist diese Information allerdings nicht eingetroffen.

BMBF: Lediglich Start verzögert sich

Klar ist dagegen: Auch die Irritation bei den Koalitionspartnern von SPD und Grünen über das Agieren Stark-Watzingers ist groß. „In der Koalition gibt es keinerlei Absprachen über Kürzungen bei Förderlinien. Deshalb hat die SPD derzeit zunächst viele Fragen an Ministerin Stark-Watzinger“, sagt Oliver Kaczmarek, forschungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. „Das Signal, das derzeit an die Forschungsgemeinschaft gesendet wird, ist kontraproduktiv und entspricht nicht dem Geist des Koalitionsvertrags.“

„Ich kann die Empörung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angesichts der unklaren Finanzierungsperspektive sehr gut nachvollziehen, insbesondere, wenn hier schon in Aussicht gestellte Bewilligungen betroffen sind“, sagt auch Nina Stahr, forschungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion. Wissenschaft brauche verlässliche Rahmenbedingungen und Deutschland zukunftsweisende Wissenschaft und Forschung, ganz besonders auch in Bereichen, die die sozial-ökologische Transformation und andere gesellschaftliche Herausforderungen betreffen.

Irritationen in der Ampel

Stahr will jetzt mit dem Ministerium gemeinsam beraten, wie trotz der angespannten Haushaltslage die Zukunft wichtiger Forschungsprojekte gesichert werden kann. Sie sagt, auch über die Schuldenbremse müsse noch einmal nachgedacht werden. „Wir können nicht so essenziell an Forschung sparen, das wird uns später deutlich mehr kosten.“ Kaczmarek weist darauf hin, dass das letzte Wort über den Haushalt der Bundestag habe: „So gehen wir auch konstruktiv im Sinne der Wissenschaft in die anstehenden Haushaltsberatungen.“

Die FDP verteidigt dagegen naturgemäß die eigene Ministerin. Es sei zwar „bedauerlich, dass Putins Krieg auch in der Forschungspolitik zu schwierigen Haushaltsentscheidungen führt - insbesondere bei den Lösungen, die angesichts der großen Herausforderungen wie Klimawandel und Coronakrise gebraucht werden", erklärt Stephan Seiter, forschungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Er begrüße aber, dass der Gesamtetat im Kontrast zu den Plänen der Vorgängerregierung aufgestockt werden. Für besonders sinnvoll halte er den verstärkten Einsatz der Ministerin für Deutschlands technologische Souveränität insbesondere in der Energieversorgung. Alle sollten nun daran arbeiten, dass sich in den Folgejahren wieder neue Spieleräume für Fördermöglichkeiten ergeben.

Gerätselt wird in der Wissenschaft auch, was gemeint war, als einem großen Projekt aus der Klimaforschung der Stopp der Mittel mit der Begründung übermittelt wurde, es gebe „neue Schwerpunktsetzungen hinzu Forschungsaktivitäten, die einen schnellen Impact erzeugen“. Insbesondere die Worte „schneller Impact“ lassen bei vielen an den Universitäten Alarmglocken schrillen. Will Stark-Watzinger eine Neuorientierung in der Forschungspolitik? Soll das Geld eher in die beiden geplanten Agenturen für Innovationen fließen statt in die Grundlagenforschung?

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Stark-Watzinger versucht das inzwischen wieder einzufangen: Sie stellte öffentlich jetzt mehrfach klar: „Diese Formulierung ist nicht meine und entspricht weder meiner Haltung noch meiner Politik.“ Es gebe keine entsprechende Verschiebung von Forschungsaktivitäten. Das BMBF erklärte dazu auf Nachfrage, bei der besagten Absage habe es sich um "eine missglückte Kommunikation auf Arbeitsebene“ gehandelt.

Kritik kommt naturgemäß von der Opposition. Thomas Jarzombek, forschungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, nennt die Berichte über nicht eingehaltene Förderzusagen „irritierend“. Er erwarte von Stark-Watzinger, „dass sie

Wissenschaftlern jetzt zügig ihre Entscheidung und die zugrundeliegende Systematik klar und deutlich kommuniziert“. Es sei der originäre Job der Bundesforschungsministerin, der Wissenschaft am Kabinettstisch Gehör zu verschaffen. „Es ist bitter, dass Bundesministerin Stark-Watzinger diesem Anspruch offensichtlich nicht gerecht wird.“

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