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Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin, ist Experte für Coronaviren.

© REUTERS/Axel Schmidt

„Das Virus wird leichter übertragen als Sars“: So schätzt der Berliner Sars-Entdecker das Coronavirus ein

Christian Drosten hat einen Test für das Coronavirus entwickelt. Im Interview erklärt der Virologe, was den Erreger so anpassungsfähig und gefährlich macht.

Kaum einer kennt sich mit Coronaviren so gut aus wie er. Christian Drosten ist Direktor des Instituts für Virologie an der Charité Berlin. Er arbeitet und forscht an Coronaviren, war 2003 einer der Entdecker des Sars-Virus und hat einen Schnelltest für das neue Coronavirus entwickelt, der derzeit bei Verdachtsfällen zum Einsatz kommt. Im Interview spricht er über die Evolution des neuen Erregers, den internationalen Notstand und die deutschen Vorkehrungen.

Wir erleben gerade Evolution live: Ein Coronavirus, das wohl aus einer anderen Säugetierart stammt, versucht die Menschheit zu besiedeln. Wie macht so ein Virus das, Herr Drosten?
Man könnte sagen, sie haben gut vorgesorgt: Coronaviren sind mit einem breiten Sortiment an genetischen Varianten über viele Säugetierarten vertreten. Das ist ein Pool der Möglichkeiten, der ständig bereitsteht und sein Glück bei neuen Wirten versucht. Und manchmal klappt es dann eben auch.

Und warum sind sie so variabel? Mutieren sie besonders schnell?
Im Gegenteil. Sie sind viel ruhiger veranlagt als zum Beispiel Grippeviren. Das sind ebenfalls RNA-Viren, die aber ihre Gene und damit die Oberflächen, die nach diesen Vorlagen gebaut werden, ständig verändern. Das ist bei den Coronaviren anders. Ihre Gene und damit auch ihre äußere Struktur sind vergleichsweise veränderungsresistent.

Die Virus-RNA muss in der Wirtszelle kopiert werden, um neue Viren zu erzeugen. Dabei gibt es automatisch Lesefehler. Was machen die Coronaviren anders?
Sie haben ein Reparatursystem dabei, das diese Fehler korrigiert. Ihre Gene verändern sich trotzdem, aber langsamer – und sinnvoller. Wenn man auf Ablesefehler setzt, nimmt man in Kauf, dass viele der erzeugten Veränderungen Totgeburten sind. Hat man dagegen ein Korrektursystem, dann bleibt noch ein anderer Mutationsmacher: Sobald sie eine Wirtszelle teilen, kombinieren die Gene der verschiedenen Coronaviren untereinander. Die Mutationen, die da herauskommen, sind viel sinnvoller, die beteiligten Schnipsel waren ja sozusagen schon einmal erprobt. Über die Zeit sammelt sich ein relativ großer Pool von stabilen Varianten an.

Illustration von zwei Mers-Coronaviren. Das neue Coronavirus hat inzwischen mehr Menschen infiziert als Sars.
Illustration von zwei Mers-Coronaviren. Das neue Coronavirus hat inzwischen mehr Menschen infiziert als Sars.

© Imago/Science Photo Library

Coronaviren sind nicht auf Säugetiere beschränkt, es gibt sie bei allen möglichen Wirbeltieren, sogar bei den biologisch sehr weit entfernten Fischen. Heißt das, diese Viren sind genauso alt wie die ersten Wirbeltiere?
Das ist denkbar. Aber sie könnten sich diese verschiedenen Wirte auch nachträglich erschlossen haben. Das sind sehr lange Zeiträume, über die wir da reden. Es ist schwierig, das nachzuvollziehen.

Sie arbeiten selbst an „Evolutionskarten“ von Coronaviren. Gemeinsam mit australischen und englischen Kollegen haben Sie bei westeuropäischen und ostasiatischen Nagetieren Coronaviren eingesammelt und deren Erbinformation im Labor ausgelesen. Was kann man daraus schließen?
Wir können damit abschätzen, wann das erste Coronavirus in diese Gruppe gekommen ist. Und ob es sich dann linear mit den Nagetierarten entwickelt hat oder ob es häufige Artsprünge gab. In diesem Fall waren alle Viren auf einen einzigen Vorfahren zurückzuführen …

… der sozusagen die Urmaus mal besiedelt haben muss …
Ja. Es sieht auch so aus, als ob seine Nachfahren dann recht häufig zwischen den Wirtsarten hin- und hergesprungen sind.

Und was darf man aus den RNA-Sequenzen Ihrer Meinung nach für Schlüsse für heute ziehen?
Wenn man es richtig macht, kann man schon auch etwas für zukünftige Pandemien lernen. Wie sich Viren nach einem Artsprung verhalten zum Beispiel. Bei dem Sars-Virus gab es 2002, in den ersten Wochen des Ausbruchs, ein bestimmtes Protein, das das Virus wahrscheinlich ansteckender machte. Dann verschwand dieses Protein plötzlich.

Das ist erst mal das Gegenteil von dem, was man annehmen würde. Das Protein war ja nützlich für das Virus?
Trotzdem ist es logisch. Wenn sich ein Virus eine neue Wirtsart erschließt, dann ist das so, als würde ein einzelnes Brutpaar Vögel mit seinen Nachkommen eine neue Insel besiedeln, auf der es diese Art noch nicht gibt. Wir wissen, dass dann die Fitness im Vergleich zur Ursprungspopulation sinken kann, weil sich da auch zufällige ungünstige genetische Varianten durchsetzen können. Die Sars-Viren waren genau wie die Nachkommen eines solchen versprengten Brutpaars. Wo sie siedelten, gab es keine anderen Vertreter ihrer Art, mit denen sie sich im Konkurrenzkampf bewähren mussten. Zufällig verloren einige von ihnen das wertvolle Protein. Sie verbreiteten sich trotzdem weiter – während die gefährlichen Viren wohl auf Isolationsstationen der Krankenhäuser ausstarben.

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Jetzt sind wir aber mitten in der aktuellen Lage. Sie erklären gerade aus der Perspektive eines Evolutionsforschers, warum es beim Auftreten eines neuen Virus essenziell ist, Infizierte konsequent zu isolieren: um die Brutvögel auf die Insel zu schicken.
Ganz genau. Die neuen Virustypen sollen keine Chance bekommen, eine menschheitsweite, konkurrenzstarke Population aufzubauen, auch weil sie dann gefährlicher bleiben oder werden könnten.

Im Moment hört man überall, dass das neue Coronavirus zwar nicht so gefährlich wie Sars, wohl aber auch schon vor den ersten Symptomen sehr ansteckend ist. Und vielleicht auch noch, nachdem die Kranken wieder gesund sind. Ist Isolation da denn noch sinnvoll?
Ja, dieses Virus ist überraschend anders als der damalige Sars-Erreger. Ich sehe das mit großer Sorge, aber auch Optimismus: Das Virus wird wahrscheinlich deshalb besser übertragen, weil es die Menschen weniger krank macht.

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Menschen, die befürchten, sich mit dem Coronavirus angesteckt zu haben, müssen in Berlin zu den gleichen Einrichtungen, in denen sich etwa Reisende ihre Schutzimpfungen abholen. Eine ideale internationale Drehscheibe für die Viren. Fehlt es an Planung?
Ich sehe da im Moment kein Problem. Zurzeit halten sich einfach sehr viele Leute für Verdachtsfälle, ohne es zu sein. Sie werden also die Reisenden sehr wahrscheinlich nicht anstecken. Und planlos ist niemand: Es gibt das Infektionsschutzgesetz mit einer klaren Meldekette und außerdem Pandemiepläne. Seien Sie sicher, dass im Gesundheitsamt gerade eine Taskforce sitzt, die das vorbereitet. Die ganz normalen Wartezimmer als erste Anlaufstelle sind Teil dieser Pläne. Anders geht es in Deutschland einfach nicht, alles ist dezentral organisiert.

Die WHO hat gerade den Notstand ausgerufen. Hilft das, um die Lage international besser zu kontrollieren?
Das hilft dabei, zwischenstaatliche Entscheidungen zu synchronisieren und auch zu rechtfertigen. Reisewarnungen können dann leichter ausgesprochen werden.

Und für die deutsche Situation?
Nur indirekt. Das meiste haben wir selbst in der Hand. Und ich sehe hier tatsächlich eine – winzige – Lücke. Nach aktuellem Recht müssen Ärzte nur bestätigte Fälle melden. Das ist zu spät für eine Übersicht der Lage. Das wird aber gerade geändert: Ganz bald werden schon Verdachtsfälle meldepflichtig werden.

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