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Wie jemand aussieht, bestimmen weitestgehend seine oder ihre Erbanlagen. Also müsste man aus den Erbanlagen auch weitestgehend bestimmen können, wie jemand aussieht. Aber ganz so einfach ist es bislang noch nicht.

© Abbildung: mauritius images / Dmitrii Kotin

Der DNA-Code für eine schmale Nase: Forscher finden Gene, die das Gesicht formen

Am Freitag entscheidet der Bundesrat, ob Ermittler künftig aus DNA-Spuren lesen dürfen, wie ein Täter aussieht. Ein Phantombild bleibt aber unrealistisch.

Ein Mord geschieht. Die Polizei tappt im Dunkeln. Doch der Täter hinterlässt ein paar seiner Zellen – und damit im Grunde auch ausreichend Informationen über sein Aussehen. Denn neben seiner Haar-, Haut- und Augenfarbe oder der Größe muss im Erbgut auch ein Phantombild vom Gesicht des Verbrechers stecken, kodiert in der individuellen Abfolge der DNA-Bausteine eines Menschen.

Der Anblick eineiiger Zwillinge jedenfalls überzeugt wohl jeden, dass es Gene geben muss, die – von umweltbedingten Schmissen, Falten und gezupften Augenbrauen abgesehen – die Grundzüge des Gesichts bestimmen. Und je gleicher die Gene, desto gleicher die Gesichtszüge. Auf der Suche nach den Genen dafür haben Forscher des Internationalen Konsortiums „Visible Trait Genetics“ (VisiGen) nun das Erbgut von über 10.000 Europäern durchsucht und 24 Genregionen identifiziert, die das Gesicht des Menschen formen, wie sie im Online-Fachmagazin „eLife“ schreiben.

Eine aussagekräftige Phantomskizze, die Ermittler auf die Spur des unbekannten Täters setzt, werden Forensiker damit jedoch noch lange nicht entwerfen können – auch wenn der vor knapp zwei Wochen vom Bundestag beschlossene und am Freitag im Bundesrat zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf der Regierungskoalition zur Einführung der „Erweiterten DNA-Analyse“, diese Hoffnung suggerieren mag.

Zwar sind Gesichter, von eineiigen Zwillingen abgesehen, einzigartig – dicke Nase, buschige Augenbrauen, tief liegende Augen. Und menschliche Gehirne sind darauf trainiert, die feinen Unterschiede zu erkennen und Personen zuzuordnen, im Idealfall sogar mit dem dazugehörigen Namen. Doch wie misst man diese für uns so offensichtliche Variation so, dass man herausfinden kann, welche Gene sie bestimmen?

13 Messpunkte im Gesicht

Manfred Kayser, vom Institut für Genetische Identifizierung der Erasmus Universität in Rotterdam, und seine Kollegen wählten den klassischen Ansatz: Sie setzten 13 Messpunkte – etwa Nasenspitze, Nasenansatz, Nasenflügel – und maßen die Abstände dieser Fixpunkte voneinander. Mit Hilfe von insgesamt 78 dieser linearen Abstände lässt sich ein Gesicht soweit beschreiben, dass die individuellen Unterschiede sich in „Längendifferenzen“ dieser Linien darstellen lassen.

Mit 13 Messpunkten und 78 Abständen zwischen diesen Markierungen lassen sich Gesichter individuell beschreiben - und die Gene suchen, die für die Unterschiede dieser Linien sorgen.
Mit 13 Messpunkten und 78 Abständen zwischen diesen Markierungen lassen sich Gesichter individuell beschreiben - und die Gene suchen, die für die Unterschiede dieser Linien sorgen.

© Abbildung: M. Kayser/VisiGen Konsortium

„Früher hat man das direkt an Personen gemacht“, sagt Kayser, „aber wenn man das an Tausenden von Menschen machen will, wie für eine genetische Studie nötig, dann geht das im Grunde nur mit Bildern, dreidimensionalen Fotos von Gesichtern. „Die haben wir dann mit Hilfe von eigens von uns entwickelter Bildverarbeitungssoftware analysiert, wobei das Programm die Messpunkte im Gesicht erkennt und die 78 Distanzen misst“, sagt Kayser. Dann durchforste man die DNA-Proben der 10.000 Gesichtsfoto- und Erbgutspender und stelle die Frage, welche Orte im Genom den Abstand zwischen zwei Messpunkten besonders stark beeinflussen.

Im Mittelpunkt solcher „Genomweiten Assoziationsstudien“ (GWAS) stehen Millionen von Markierungen, gewissermaßen Fähnchen im Erbgut (SNPs genannt). Sie stehen, wie es Flaggen für Nationen tun, für bestimmte Genregionen im Erbgut. „Gib mir den SNP im Genom, der häufiger ist bei Leuten mit breitem Augenabstand als bei Leuten mit schmalem Augenabstand“, erklärt Kayser, wie die Forscher die zehntausend Genome durchsuchten, um die Gene zu finden, die Knochen-, Knorpel- und Hautentwicklung im Gesicht beeinflussen. Zwei Dutzend Genregionen spuckte der Computer aus, darunter sieben zuvor bereits als Co-Designer des Gesichts bekannte und 17 neue.

Von der Anwendung in der Forensik noch weit entfernt

„Damit kann man natürlich noch kein Gesicht rekonstruieren, und das war auch nicht zu erwarten, weil die Anzahl der Gene, die das Gesicht formen, sehr viel größer ist“, sagt Kayser. „Das wissen wir, weil der Einfluss jeder einzelner der von uns gefundenen Genvarianten auf die Gesichtsentwicklung sehr gering, der Einfluss des Erbguts auf die Ausprägung des Gesichts aber bekanntermaßen sehr hoch ist.“

Der Rest dieser sogenannten Erblichkeit müsse in den vielen Genen stecken, die mit Hilfe der Daten von 10.000 Probanden nicht zu finden sind. „Dafür bräuchten wir Hunderttausende von Probanden“, sagt Kayser. Wann könnten unter diesen Umständen ausreichend Geninformationen vorliegen, um die Gesichtsprognose aus DNA für forensische Zwecke einsetzen zu können? „Wir sind noch lange nicht so weit“, sagt Kayser.

Merkwürdigerweise gibt es aber schon ein Unternehmen, das behauptet, aus wenigen Blut-, Haar- oder Hautzellen eines Täters ein aussagekräftiges Phantombild erstellen zu können: Parabon Nanolabs. „Niemand weiß, was diese Firma genau macht“, sagt Kayser, „denn sie publiziert nicht was sie macht, nicht wie sie es macht, nicht wie sie das, was sie macht, wissenschaftlich evaluiert und forensisch validiert hat.“

Zwar schicken Polizisten DNA ein und bekommen von Parabon rekonstruierte Gesichtsbilder zurück. „Aber der Polizist muss glauben, dass das Bild dem Täter ähnelt, und wird in vielen Fällen ins Leere ermitteln, weil es schlicht nicht stimmt, was da geliefert worden ist.“

Erst die Gene finden, dann Vorhersagen wagen

Peter Schneider vom Kölner Institut für Rechtsmedizin vermutet, dass Parabon aus den Erbgutdaten zunächst die biogeografische Herkunft ableitet und dann „eine Art Stereotyp des durchschnittlichen Afrikaners, Asiaten oder Europäers“ erstellt. Mit Hilfe der bekannten Genvarianten, die Haar-, Haut- und Augenfarbe bestimmen und eventuell noch verschiedenen Genen für Schädelproportionen werde dann noch eine gewisse individuelle Anpassung dieses Stereotyps versucht.

„Wir meinen, dass man erst die Gene finden muss, die nachweislich zur Gesichtsbildung beitragen, bevor man irgendwelche Vorhersagen machen und Phantombilder erstellen kann“, sagt Kayser. Das sei das Ziel der VisiGen-Analyse, die bislang größte, die je veröffentlicht wurde.

[Mehr zum Thema: Auf Tagesspiegel Causa können Sie Argumente von Experten für und gegen die erweiterte DNA-Analyse nachlesen: Vom Erbgut zum Phantombild - ein nötiger Tabubruch?]

Bei anderen Merkmalen ist die Forschung schon weiter. Bei der Vorhersage, ob eine Person blaue oder braune Augen hat, erreichen die Tests auf einer Skala von 0,5 (einer rein zufälligen 50/50-Vorhersage) bis 1 (einer immer zutreffenden Prognose) den Wert 0,95. Das ist nicht perfekt, aber immer noch besser als eine herkömmliche Zeugenaussage, deren Genauigkeit der Ermittler gar nicht abschätzen kann.

Auch die Vorhersagen von Haar- und Hautfarbe anhand des Erbguts erreichen Genauigkeiten von 0,7 bis 0,9 auf der Vorhersageskala, je nach Farbe. Diese Merkmale sowie das Alter dürfen Ermittler künftig analysieren, wenn das Gesetz, das die „Erweiterte DNA-Analyse“ von Tatortspuren in Deutschland künftig ermöglichen soll, den Bundesrat am Freitag passiert.

Eines der „besten Werkzeuge“ der DNA-Forensik fehlt im neuen Gesetz

Die Vorhersage der „biogeografischen Herkunft“ – die Region, aus der die biologischen Vorfahren einer Person stammen – ist im Gesetz hingegen nicht vorgesehen, obwohl Schneider und Kayser die Tests für wissenschaftlich fundiert und besonders aussagekräftig halten. „Wohl aus politischen Gründen“, sagt Schneider. Kritikern zufolge bestehe die Gefahr, dass die Methode Minderheiten an den Pranger stellt.

„Aber damit beraubt man sich seines besten Werkzeuges“, so Schneider. Zwar begrüßt er die Gesetzesinitiative, es sei aber „nicht gut, dass man vor Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag nicht noch einmal in die fachliche Diskussion eingetreten ist, um kritisch abzuwägen, welche Analysen sinnvoll sind.“

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