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Nochmal davongeschwommen: Ein gesunder, sich namenskonform verhaltender Wasserbüffel einer brandenburgischen Herde.

© dpa/Michael Bahlo

Eine Katastrophe weniger: Wie es gelang, einen Ausbruch der Maul- und Klauenseuche zu verhindern

Wäre die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen, sähe Deutschland heute anders aus. Wie das Virus ausgerechnet in eine Bio-Herde in Brandenburg gelangte, dazu gibt es eine überraschende Theorie.

Stand:

Februar 2025. Wahlkampf, Spätwinter. Die ersten friedlichen Schneeglöckchen kämpfen gegen den vielerorts ersten richtigen Schnee an. Doch zwischen Rhein und Oder, Nord- und Ostsee und den Alpen, könnte es jetzt, wenige Tage vor der Bundestagswahl, auch ganz anders aussehen.

Wäre das Maul-und-Klauenseuche-Virus (MKS) „zum Zeitpunkt, als es entdeckt wurde, schon richtig unterwegs gewesen, dann wäre jetzt womöglich ganz Deutschland ein Sperrbezirk“, sagt der Tierarzt und Tierseuchen-Experte Uwe Truyen von der Universität Leipzig.

Örtliche Behörden, die eigentlich bei der Vorbereitung der plötzlich anberaumten Wahl helfen sollten, wären voll eingespannt. Dazu: Abgeriegelte landwirtschaftliche Betriebe, Sperrzonen drumherum. Desinfektion, keine Tiertransporte, unzählige Klauentiere zu töten. Veterinäre, Labore und Katastrophenschutz im Dauereinsatz. Und das alles kurz vor der Wahl.

Ich muss ehrlich sagen, die Maul- und Klauenseuche hatten wir nicht auf dem Zettel.

Friedemann Hanke, stellvertretender Landrat des Kreises Märkisch-Oderland

Dass es anders gekommen ist, dass sich die Maul- und Klauenseuche in Deutschland – zumindest bisher – nicht ausgebreitet hat, hat mehrere Gründe. Einer davon ist, dass Deutschland in manchen Dingen eben doch nicht so schlecht ist.

Rückblende: Auf einem Hof nahe der Berliner Stadtgrenze im Landkreis Märkisch-Oderland stirbt am Donnerstag, dem 9. Januar 2025, innerhalb weniger Tage der zweite Wasserbüffel, ein dritter zeigt deutliche Symptome. Den Kadaver des ersten hatte der Halter abholen und verbrennen lassen. Jetzt ruft er den Amtstierarzt.

Der letzte Fall war „echt lange her“

Der Verdacht lautet zunächst auf Blauzungenkrankheit, weil diese 2024 mehrfach in Tierbeständen in Deutschland aufgetreten war und die Symptome ähnlich sind.

„Ich muss ehrlich sagen, die Maul- und Klauenseuche hatten wir nicht auf dem Zettel“, sagt Friedemann Hanke, stellvertretender Landrat des Kreises Märkisch-Oderland. „MKS war ja auch schon echt lange her, wir haben hier keinen Veterinär mehr, der das selbst noch erlebt hat.“ Der letzte Ausbruch in Deutschland war 1988, in Niedersachsen.

Experten des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), der dem Bund unterstellten Forschungs- und Analysebehörde für Tiergesundheit auf der Ostseeinsel Riems, reisen bereits einen Tag nach dem Tod des Büffels an. Und Labortests lügen nicht. Schon am Freitag steht die Diagnose fest, die Öffentlichkeit wird sofort informiert.

Die verbliebenen Tiere der Herde werden noch am selben Tag getötet. Es sei „Glück“ gewesen, dass die gesamte Seuchenschutz-Maschinerie noch vor dem Wochenende in Gang gesetzt werden konnte, sagt Hanke.

Genügend Zäune in der Scheune

„Glück“ habe man auch gehabt, weil man wegen einer anderen Tierseuche Bauzäune auf Lager gehabt habe. Diese waren als Schutzmaßnahme gegen die Afrikanische Schweinepest angeschafft worden. Im Jahr 2021 war die Krankheit erstmals in deutschen Hausschweinbeständen in zwei brandenburgischen Landkreisen, darunter Märkisch-Oberland, nachgewiesen worden.

750.000
Impfdosen gegen den bei den Wasserbüffeln identifizierten Virusstamm stehen bereit.

Dank der Zäune konnte das Sperrgebiet nun schnell abgeriegelt werden. Bis heute sind keine weiteren Fälle von Maul- und Klauenseuche nachgewiesen worden, weder bei Nutztieren noch bei Wildtieren. Ein Erfolg, der aber als „vorläufig“ einzustufen sei, betont Bert Schulz, Sprecher des Bundeslandwirtschaftsministeriums, das deshalb auch noch kein Fazit ziehen will.

Elke Reinking, Sprecherin des Friedrich-Loeffler-Instituts, wagt zumindest eine Zwischenbilanz: Insgesamt habe „das Zusammenwirken der vor Ort zuständigen Behörden untereinander sowie mit dem FLI gut funktioniert und findet auch international hohe Anerkennung“. Das sieht auch der Leipziger Tierseuchenexperte Truyen so: „Der Fall hat gezeigt, dass die Seuchenbekämpfung in Deutschland greift.“ Doch es sei auch „viel Glück dabei gewesen“.

Virus blieb wochenlang unentdeckt

Welche „glücklichen“ Faktoren waren dabei entscheidend?

Sicher sei, dass das Virus bereits im vergangenen Jahr in die Wasserbüffelherde gelangt sein muss, die letztlich komplett durchseucht war und in der alle Tiere getötet werden mussten, sagt Truyen. Die Büffel hätten es dann über Wochen ausgeschieden. Es hätte auf Wildbestände übergreifen oder sich anderweitig ausbreiten können.

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Wahrscheinlich scheiden Wasserbüffel aber keine großen Virusmengen aus. Und sie blieben vor Ort, wurden also nicht an andere Orte transportiert, wie es sonst bei Nutztieren häufig der Fall ist. In der Gegend ist die Dichte der landwirtschaftlichen Betriebe zudem nicht sehr hoch, was eine Übertragung ebenfalls weniger wahrscheinlich machte.

Überrascht sei man allerdings gewesen, so Vize-Landrat Hanke, wie viele kleine private Viehhalter es in der Gegend gebe. Von diesen hätten einige, obwohl sie dazu verpflichtet seien, etwa die Schweine in ihrem kleinen Stall gar nicht gemeldet gehabt.

Ein einziger betroffener Betrieb in einer Gegend mit relativ wenig Tierhaltung, keine Tiertransporte, eine Tierart, die nicht dazu neigt, zum „Superspreader“ zu werden, und relativ gut vorbereitete Behörden vor Ort waren eine glückliche Mischung.

„Wären es zum Zeitpunkt der Entdeckung schon mehrere Höfe gewesen, und wäre es etwa in der Gegend von Vechta in Niedersachsen mit ihren vielen Mastbetrieben passiert, hätte es anders ausgesehen“, sagt Truyen.

Ganz Deutschland ein Sperrbezirk

Als die Maul- und Klauenseuche 2001 in Großbritannien festgestellt wurde, waren bereits 57 Betriebe betroffen. Die Krankheit breitete sich danach wie ein Lauffeuer aus. Bilder von Bergen von Tierkadavern, mit deren Beseitigung die Behörden nicht hinterherkamen, gingen um die Welt.

Nicht nur Truyen bezweifelt, dass in einem solchen Szenario die Seuchenbekämpfung in Deutschland so gut „gegriffen“ hätte wie im aktuellen Fall. „Die lokalen Gegebenheiten wie Viehdichte sowie Anzahl größerer und kleinerer Haltungen beeinflussen insbesondere die Beanspruchung der zuständigen Behörden“, so FLI-Sprecherin Reinking.

Wo das Virus vielleicht drin ist, soll es zumindest nicht wieder raus: Mastbetrieb in Mehrow, Brandenburg, 11. Januar 2025.

© dpa/Annette Riedl

Die Situation hätte sich dann eher so dargestellt: Jede Menge Sperrbezirke hätten ausgewiesen und gesichert werden müssen. Wenn es dann innerhalb eines Sperrbezirks Fälle gegeben hätte, wären die Sperrzonen erweitert worden. Diese hätten kreisförmig immer größere Flächen umfasst.

Zäune wären nötig, geschultes Personal, Kapazitäten für Labortests und nicht zuletzt genügend Fachleute und Anlagen zum Töten der Tiere und Entsorgen der Kadaver. Eine Koordination zwischen Landkreisen, Gemeinden, Bundesländern, Behörden, Instituten, Landwirten, Tierärzten und Polizei wäre notwendig. Das alles auf der Grundlage von Vorschriften und gelegentlichen Übungen, ohne dass die Beteiligten je einen solchen Ernstfall erlebt hätten.

Manche hätten von einem solchen Szenario sogar profitiert, etwa die Hersteller von Branntkalk. Er ist das einzige Mittel, mit dem man kontaminierte Flächen desinfizieren darf. Allerdings gibt es in Deutschland kaum noch Unternehmen, die Branntkalk anbieten.

Die 60 Tonnen, die nötig waren, um die nur sechs Hektar große Büffel-Weidefläche zu desinfizieren, mussten per Spedition aus dem Südwesten der Republik herangeschafft werden. Kostenpunkt 25.000 Euro, plus Transport, sagt Hanke. Der zweite deutsche Betrieb, ganz in der Nähe in Rüdersdorf, konnte zu diesem Zeitpunkt nicht liefern. Entsprechend verzögerte sich die Ausbringung des Kalks. Es waren zwei Tage, in denen sich das Virus trotz Einzäunung hätte weiterverbreiten können.

Die Seuche als politisches Instrument

Wäre es zu einer solchen Verbreitung gekommen, hätte das sicher viele Fragen aufgeworfen. Etwa die nach dem fehlenden Branntkalk. Auch die Frage, warum nicht sofort begonnen wurde, Tierbestände in der Umgebung zu impfen, wäre wohl diskutiert worden. 750.000 gegen diesen Virustyp wirksame Impfdosen sollen schließlich bereits eingelagert oder bestellt gewesen sein.

Aber gerade MKS hat eben auch eine politische Dimension. Sofort nach Bekanntwerden des Ausbruchs stoppten mehrere Länder außerhalb der EU den Import von deutschem Schweine- und Rindfleisch. Als „MKS-frei“ wird Deutschland, wenn keine weiteren Fälle auftreten, offiziell erst wieder nach längerer Zeit gelten: frühestens drei Monate, nachdem das letzte Tier, das Antikörper gegen das Virus im Blut hat, geschlachtet wurde.

Alle geimpften Tiere würden Antikörper bilden. Impfungen würden also die deutschen Fleischexporte noch lange blockieren, mit massiven wirtschaftlichen Folgen.

Woher kam das Virus?

Andersherum nutzt die EU die Seuche – die etwa in Asien und Afrika als endemisch gilt, wo es auch immer wieder zu Ausbrüchen kommt und das Label „MKS-frei“ gar kein Thema ist – selbst als willkommenes Protektionismus-Argument. Tier- und Frischfleischimporte aus diesen Regionen können so streng reguliert oder verboten werden. Das schützt die eigenen Erzeuger.

MKS kann bei uns immer ausbrechen, dessen müssen wir uns jederzeit akut bewusst und darauf gut vorbereitet sein.

Uwe Truyen, Professor für Tierhygiene und Tierseuchenbekämpfung, Uni Leipzig

Die große, nach wie vor unbeantwortete Frage, ist die nach dem Ursprung des Virus: Wie haben sich gerade diese Büffel infiziert? Durch Wildtiere? Dann müssten von den inzwischen sehr ausgiebig genommenen Proben in der Umgebung zumindest einige positiv sein und auf eine akute oder durchgemachte Infektion hinweisen.

Doch bislang sind laut FLI alle Proben negativ. Neue Büffel, die das Virus vielleicht hätten einschleppen können, sind in letzter Zeit nicht in die Herde gekommen.

Auf eine Spur könnte vielleicht der Ausbruch 2001 in England führen. Dort ging die Seuche auf kontaminierte Speisereste aus Südostasien zurück, die verfüttert worden waren. Auch der Virusstamm der Brandenburger Büffel ist identifiziert: Es ist einer, der 2023 in der Türkei und 2024 im Irak nachgewiesen wurde.

„Es ist natürlich reine Spekulation, aber dieser Hof ist bei Ausflüglern aus Berlin sehr beliebt, nur ein Zaun trennt sie von den Tieren“, sagt Truyen. Ein weggeworfener Rest eines Sandwiches, vielleicht mit Rohmilchkäse „aus der Heimat“ oder dem Urlaub könnte ausgereicht haben.

Ob es so war, wird man wahrscheinlich nie erfahren. So bleibt die bislang wichtigste gesicherte Erkenntnis aus dem Ausbruch, der kein großer wurde, „dass wir hier nicht auf einer Insel leben“, sagt Truyen: „MKS kann bei uns immer ausbrechen, dessen müssen wir uns jederzeit akut bewusst und darauf gut vorbereitet sein.“

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