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74 Prozent der befragten Schüler sagen, dass es im Unterricht oft laut ist und nicht zugehört wird.

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Einsam, antriebslos, traurig: So belastet sind Kinder und Jugendliche

Viele Schüler in Deutschland empfinden psychischen Stress und schätzen ihre Lebensqualität als niedrig ein, zeigt das „Schulbarometer“. Das Ausmaß ist noch immer schlimmer als vor Corona.

Stand:

Wenn über das deutsche Bildungssystem diskutiert wird, geht es meistens um den Lehrkräftemangel, marode Schulgebäude oder das schlechte Abschneiden von Schülern in Vergleichsarbeiten. Seltener wird danach gefragt, wie es denjenigen geht, um die es sich eigentlich dreht: Kinder und Jugendliche.

Laut einer aktuellen Befragung fällt die Antwort auf diese Frage ernüchternd aus. Jeder fünfte Schüler fühlt sich psychisch belastet, so hat es die Robert-Bosch-Stiftung (RBS) im „Deutschen Schulbarometer“ ermittelt. Dazu zählen Kinder und Jugendliche, die angeben, oft einsam, antriebslos und traurig zu sein und selten Freude dabei empfinden, Freunde zu sehen und in die Schule zu gehen. Der Studie zufolge schätzt zudem nur ein Bruchteil der Befragten die eigene Lebensqualität als hoch ein. Dabei hängt das Wohlbefinden vom Alter, der besuchten Schulform und der Herkunft ab.

Noch schlechter als der Durchschnitt bewertet jedes dritte Kind aus einem armen Haushalt die Qualität des eigenen Lebens. Das trifft auch auf fast jedes zweite Kind mit sozialpädagogischer Familienbegleitung und drei von vier psychisch belasteten Kindern zu.

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Die Bewertung der eigenen Lebensqualität ist auch deswegen beunruhigend, weil sie im Vergleich zu früheren Jahren so viel schlechter ausfällt. Während der Pandemie hat fast die Hälfte der Schüler die Qualität des eigenen Lebens für gering gehalten, vorher waren es nur 15 Prozent.

Kriege wichtiger als persönliche Probleme

Mehr Sorgen machen als um Noten und ihre eigene Zukunft machen sich Kinder und Jugendliche wegen aktueller Kriege. 39 Prozent der Schüler geben an, sich deswegen oft oder sehr oft Gedanken zu machen. Als Beispiele wurden die Situationen in der Ukraine, Afghanistan, Syrien, Israel und Palästina genannt. Schulleistungen treiben hingegen nur jeden vierten Befragten um.

Klimafragen beschäftigen derweil vor allem Jugendliche. Ein Drittel der 16- und 17-Jährigen geben an, sich oft wegen der Umwelt zu sorgen. Über die Altersstufen hinweg sagt das nur jeder vierte Befragte. Auch Kinder aus reichen Familien sagen das überdurchschnittlich häufig.

Gestresster als vom globalen Klima sind Schüler vom Leistungsdruck in der Schule (26 Prozent). Jeder fünfte Schüler fühlt sich an der Schule unwohl, nur acht Prozent geben das Gegenteil an. Fabian Schön, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz (BSK), fordert deswegen, Noten so spät wie möglich einzuführen und stets um individuelles Feedback zu ergänzen. „Viele Schüler werden durch Leistungsdruck eingeschüchtert und können ihr Potenzial nicht abrufen.“

Dennoch haben mehr als zwei Drittel der Schüler die letzte Schulwoche vor der Befragung positiv in Erinnerung. Mehr als die Hälfte der Schüler gibt an, gerne zur Schule gegangen zu sein. Gefreut haben sich die meisten Schüler darauf, ihre Freunde und Lehrer wiederzusehen. Während es Kinder und Jugendliche also vor allem aus sozialen Gründen in die Schule zieht, landen Unterrichtsfächer in diesem Ranking weit hinten. 

Fragiles Klassenklima, viel Unterrichtsausfall

Trotz der Freude auf Mitschüler scheint die Atmosphäre in den Klassen grundsätzlich angespannt zu sein. Jeder zweite Schüler sagt, dass es vorkommt, dass Schüler ausgelacht und geärgert werden. Nur gut ein Drittel der Schüler sagt, dass die Klasse zusammenhalte.

Immerhin sagen drei Viertel der Befragten, dass die meisten Lehrkräfte freundlich zu ihnen sind. An Lob von Lehrkräften scheint es nicht zu mangeln. Jeder zweite Schüler fühlt sich in positivem Verhalten bestätigt. Beim Lernen stehen die Lehrkräfte ihren Schülern aber nur bedingt zu Seite. Nicht einmal jeder zweite Schüler sagt, dass Lehrer ihnen Wege aufzeigen, wie sie Fehler zukünftig vermeiden können.

„Lehrkräfte sollten Schülern Mut machen, dass sie auch schwierige Aufgaben und Herausforderungen meistern können“, sagt Dagmar Wolf, die Bildungsexpertin der Robert-Bosch-Stiftung. Um Kinder individuell besser unterstützen zu können, brauche es ein „neues Unterrichtsverständnis, das den Lernprozess in den Mittelpunkt stellt“. Statt einheitlichen Klassenarbeiten müssten sich Lehrer nach ihren Schülern richten und die Art und Weise zu lernen, sowie den Zeitpunkt den Schülern überlassen.

In Klassen geht es außerdem oft sehr laut zu. Störungen stünden auf der Tagesordnung, sagen 83 Prozent. Mehr als jeder Zweite sagt, dass es oft nicht einmal dann leise ist, wenn die Lehrkraft spricht und nicht alle Mitschüler auf die Lehrkraft hören – vorausgesetzt der Unterricht findet überhaupt statt. 70 Prozent der Schüler geben an, dass pro Woche mindestens eine Unterrichtsstunde ausfällt, bei jedem vierten Schüler sind es sogar drei Stunden oder mehr.

Psychische Krankheiten werden enttabuisiert

Angesichts der verbreiteten psychischen Probleme, die Kinder und Jugendliche begleiten, stellt sich die Frage, wie die Betroffenen aufgefangen werden. Sozialarbeiter gebe es an jeder dritten Schule, Psychologen immerhin an zwei von fünf Schulen. „Das ist viel zu wenig“, kritisiert BSK-Generalsekretär Schön.

Die Bereitschaft von Schülern, offen mit psychischen Problemen umzugehen, scheint hoch zu sein. 70 Prozent der Schüler wissen, wo sie an der Schule Hilfe erhalten würden. Jeder Zweite glaubt daran, dass er auf Verständnis stoßen würde, wenn er sich mitteilt, und fast zwei Drittel würden ihre Eltern miteinbeziehen.

Eltern wenden sich aufgrund psychischer Probleme ihres Kindes am häufigsten an die Klassenlehrer. Allerdings fühlen sich Eltern nur in 60 Prozent der Fälle angemessen von diesen unterstützt. Insgesamt gibt fast ein Viertel der Eltern an, an der Schule des Kindes keine Hilfe erhalten zu haben. Schulsozialarbeiter und -psychologen werden dagegen fast immer den Erwartungen der Eltern gerecht.

Ebenso akzeptiert von Eltern ist die Inanspruchnahme von Psychotherapie. 93 Prozent der Befragten glauben, dass ihren Kindern therapeutisch geholfen werden könnte. Bis zum Beginn einer Behandlung warten Kinder allerdings im Schnitt knapp fünf Monate.

Ein Tabu-Thema scheinen psychische Erkrankungen des Kindes für Eltern immer seltener zu sein. Zwar ist es einem Drittel unangenehm, darüber mit anderen zu sprechen. 82 Prozent der Eltern geben aber an, dass sie sich nicht dafür schämen würden, wenn ihr Kind unter einer psychischen Störung leiden würde. 

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