zum Hauptinhalt
Diese gigantische Grabwespe wurde erst kürzlich entdeckt – in der Sammlung des Museums für Naturkunde Berlin und zeitgleich in Indonesien.

© Carola Radke/Museum für Naturkunde Berlin

Forschung im Museum: Inventur der Tiere

Ein neues Zentrum am Museum für Naturkunde Berlin ist der weltweiten Artenvielfalt auf der Spur.

Gut achtzig Jahre schlummerten die Grabwespen-Männchen unbeachtet in den Sammlungen des Berliner Museums für Naturkunde (MfN). Dabei sind die beiden Tiere mit ihren sechs Zentimeter langen, pechschwarzen Körpern und den großen sichelförmigen Kiefern kaum zu übersehen. Dennoch waren die „Monsterwespen“ nicht nur in der Fülle der Berliner Tierpräparate untergetaucht, sondern auch auf ihrer indonesischen Heimatinsel Sulawesi.

Ins Rampenlicht holten sie schließlich der Insektenforscher Michael Ohl vom MfN und seine Kollegin Lynn Kimsey von der University of California in Davis, die drei weitere Exemplare auf Sulawesi fand. Sie tauften die Tiere 2012 auf den Namen Megalara garuda – und zeigten, dass es sich nicht nur um eine neue Art, sondern um eine völlig neue Gattung handelte.

So spektakulär dieser Fahndungserfolg wirkt: Er ist kein Einzelfall. Immer wieder entdecken Forscher neue Arten – von winzigen, mit dem bloßen Auge kaum sichtbaren Spinnen über fliegende Frösche bis zu unbekannten Maki-Bären in den Baumwipfeln Ecuadors. „Und doch verstehen wir vor allem in superdiversen Lebensräumen wie den Regenwäldern der Tropen nicht genau, wie die Natur funktioniert“, bedauert Ohl. Auch über das Leben der jüngst entdeckten Grabwespen wissen die Forscher fast nichts. Das liegt unter anderem daran, dass Biologen mittlerweile zwar rund 1,5 Millionen Tierarten kennen und beschrieben haben, aber noch mindestens genauso viele ihrer Entdeckung harren. Realistische Schätzungen vermuten sogar bis zu acht- oder gar zehnmal so viele unentdeckte Arten. Der Grund für diese Forschungslücke ist zumindest in Teilen recht banal: Lange galt das Bestimmen von Arten als unsexy. „Vor allem junge Forscher hielten es nicht gerade für erstrebenswert, ein Leben lang die Geschlechtsorgane von Käfern zu zeichnen“, beschreibt Michael Ohl ein gängiges Klischee über Taxonome. Der Nachwuchs strömte lieber in scheinbar spektakulärere Bereiche wie Molekularbiologie oder Verhaltensforschung.

Spinnen und Insekten zeigen die Vielfalt des Lebens

Vor allem für Spinnen und Insekten interessierten sich nur noch wenige – und ließen damit den Schwerpunkt der Vielfalt des Lebens links liegen. Denn während es gerade mal 7000 Säugetier- und weniger als 11 000 Vogelarten gibt, tummeln sich 50 000 bis 100 000 bekannte Spinnentier-Arten und bis zu 1,1 Millionen Insektenarten auf der Erde.

Grund genug für das Museum für Naturkunde Berlin, mit der Gründung des Zentrums für Integrative Biodiversitätsentdeckung in diesem Jahr einen neuen Forschungsschwerpunkt zu setzen: die effiziente Entdeckung und Erforschung der weltweiten Artenvielfalt. Welche Bedeutung haben einzelne Arten für die Natur? Und wie könnten sie helfen, drängende Probleme der Menschen zu lösen? Fragen, für deren Beantwortung die Leibniz-Gemeinschaft – in deren Reihen das Naturkundemuseum forscht – das neue Zentrum mit jährlich 2,3 Millionen Euro finanziert.

Dass gerade die Winzlinge in der Natur eine gewichtige Rolle spielen, zeigt eindrucksvoll der Dungkäfer. In den Savannen Afrikas ist er allgegenwärtig und vergräbt den Kot der riesigen Gnuherden wieder im Boden. Von dort können die Wurzeln der Pflanzen die darin immer noch reichlich vorhandenen Nährstoffe erneut aufnehmen. Dadurch wächst das Gras wieder und die Gnus finden mehr zu fressen.

Artenkenntnisse helfen, Schädlinge und Krankheitserreger zu bekämpfen

Insekten und Spinnentiere drehen mit ihren kleinen Beinen aber nicht nur an den großen Rädern der natürlichen Zyklen, sondern spielen auch für den Menschen eine wichtige Rolle. „Fast jede Art hat Parasiten, bei uns Menschen ist das zum Beispiel die Filzlaus, die in den Schamhaaren lebt und durch die beliebte Intimrasur in Schwierigkeiten geraten könnte“, erklärt Michael Ohl. „Oder auch die Kopflaus, die in mitteleuropäischen Städten ein Comeback erlebt.“ Erheblich gefährlicher ist die Anopheles-Mücke, die Malaria überträgt und so jedes Jahr rund 200 Millionen Menschen erkranken lässt. Erst als Wissenschaftler aus den mehr als 3600 bekannten Stechmückenarten die 41 Anopheles-Arten herausfiltern konnten, die für die meisten Malariaübertragungen verantwortlich sind, konnten diese gezielt bekämpft und die Malariaherde eingedämmt werden.

Auch für die Welternährung sind Artenkenntnisse wichtig. Angefangen vom Kartoffelkäfer bis zu diversen Schädlingen, die sich eifrig an den Weizen-, Mais- und Reisfeldern des Globus gütlich tun, sind es häufig Insekten, die massive Schäden anrichten. Lebensmittelmotten, die auch in mitteleuropäischen Vorratskammern zugange sind, lassen sich wiederum mit anderen Insekten bekämpfen: Schlupfwespen legen ihre Eier in die Motten und können die Vorratsschädlinge auf diese Weise massiv dezimieren.

Die Beispiele zeigen: Nur solide Artenkenntnisse helfen, solche Schädlinge und Krankheitserreger in Schach zu halten. „Wir sollten die Mitspieler kennen, mit denen wir auf der Erde zusammenleben“, meint Michael Ohl.

Erbgutanalysen mittels DNA-Barcoding spielen eine wichtige Rolle

Am Zentrum für Integrative Biodiversitätsentdeckung bestimmen die rund zwanzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Arten aus Museen weltweit sowie aus der Natur. Zum einen mit klassischen Methoden, indem sie die Färbung oder die Geschlechtsorgane der Tiere betrachten. Doch auch Erbgutanalysen mithilfe des sogenannten DNA-Barcoding spielen eine wichtige Rolle. Bei dem Verfahren wird die charakteristische Abfolge von Basenpaaren im DNA-Strang untersucht, die – ähnlich wie der Strichcode auf einer Lebensmittelverpackung – eine bestimmte Art kennzeichnet. So fanden die Forscher zum Beispiel heraus, dass die zwischen Texas und Argentinien lebenden Schmetterlinge der Art Astraptes fulgerator in Wirklichkeit zu mindestens zehn verschiedenen Arten gehören, die sich äußerlich kaum voneinander unterscheiden.

Während bei diesem Verfahren nur rund 650 Erbgutbausteine verglichen werden, besteht das gesamte Erbgut einer Art aus einigen Milliarden. Das neue Zentrum beschäftigt sich daher auch mit der Verarbeitung und Bereitstellung der riesigen Datenmengen derartiger Untersuchungen.

Ein dritter Schwerpunkt nimmt schließlich die Anwendung der Biodiversitätsforschung in Medizin und Landwirtschaft ins Visier. Die Taxonomen des 21. Jahrhunderts – sie sind weit mehr als bloße Artenkenner. Sie sind auch Gesundheits- und Weltverbesserer.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false