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 Kinder lesen in einer Grundschule.

© dpa/Sebastian Gollnow

Herkunft entscheidet über Schulerfolg: Deutsche Grundschüler nur Mittelmaß in Mathematik und Naturwissenschaften

Alles bleibt beim Alten. So lassen sich die Ergebnisse der Bildungsstudie Timss lesen. Auf den zweiten Blick offenbart sich, wie ungleich Kinder in Deutschland behandelt werden.

Stand:

Im März 2020 wurden deutschlandweit die Schulen geschlossen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Monatelang konnte der Unterricht nicht regulär stattfinden. Immer wieder kommt seitdem die Frage auf, was das mit Schülern gemacht hat. 

Einen Teil der Antwort liefert die Timss-Studie. Alle vier Jahre werden darin weltweit Viertklässler in ihren mathematischen und naturwissenschaftlichen Fähigkeiten getestet, zuletzt 2023. Die ersten Corona-Maßnahmen trafen diesen Jahrgang also in der zweiten Klasse und prägten zumindest in Deutschland maßgeblich die Grundschulzeit der getesteten Schüler.

Anders als viele andere Bildungsstudien zeigt die Timss-Studie nicht, dass die Leistungen von deutschen Schülern in der Pandemie eingebrochen sind. Deutsche Viertklässler schnitten fast genauso mittelmäßig ab wie in den Vorjahren. Ebenso hat die starke Zunahme des Anteils von Schülern mit Migrationshintergrund keinen Effekt auf die Platzierung Deutschlands im internationalen Vergleich.

Für Bundesbildungsminister Cem Özdemir (Grüne) ist das „eine gute Nachricht und ein Erfolg der engagierten Lehrkräfte in Deutschland.“ Die Ergebnisse würden zeigen, dass Grundschüler „die Rückstände nach den Einbrüchen unmittelbar nach der Covid-19-Pandemie aufholen konnten“, pflichtet ihm Christine Streicher-Clivot (SPD) bei, die saarländische Präsidentin der Kultusministerkonferenz.

Mathematik

Besonders gut rechnen, kalkulieren und räumlich denken können Viertklässler aus Ostasien. Angeführt wird der Ländervergleich von Singapur, wo Schüler im Schnitt 615 Punkte erreichen. Zwischen dem letzten Glied der ostasiatischen Spitzengruppe, der chinesischen Region Macau, und dem siebtplatzierten Litauen klafft eine gewaltige Lücke. Mit 561 Punkten führen die Balten das europäisch geprägte Mittelfeld an. Deutschland findet sich mit 524 Punkten einen Punkt hinter dem Durchschnitt der OECD-Länder wieder. Die letztplatzierten Teilnehmerländer verfehlen die 400-Punkte-Marke.

Die Leistungen der deutschen Schüler sind damit nur einen Punkt schlechter als 2007, als Deutschland zum ersten Mal teilnahm. Auch dazwischen schwankten die Leistungen nur um wenige Punkte.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass jeder vierte deutsche Viertklässler die Kompetenzstufe drei nicht erreicht. Diese Schüler verfügten allenfalls über ein elementares mathematisches Wissen. In der Sekundarstufe werde diese Schülergruppe erhebliche Schwierigkeiten haben, prognostizieren die Studienautoren. Ähnliche Werte wurden im internationalen Vergleich sowie in Deutschland vor der Pandemie verzeichnet. „Das ist eine Dauerbaustelle“, kommentiert Knut Schwippert von der Universität Hamburg, der die Studie in Deutschland geleitet hat.

Während am unteren Ende des Leistungsspektrums alles beim Alten bleibt, tut sich etwas in der Spitze. 8,3 Prozent der deutschen Viertklässler erreichen die höchste Kompetenzstufe. Obwohl es in den Vorjahren nicht mehr als sechs Prozent waren, spricht Schwippert von „bescheidenen“ Ergebnissen. In einigen anderen Ländern würde jeder fünfte Schüler im oberen Leistungsfünftel landen.

Naturwissenschaften

Auch in den Naturwissenschaften liegt Singapur mit 607 Punkten vorne, gefolgt von Südkorea und Taiwan. Wie im Mathematik-Tableau finden sich vor allem europäische Staaten im Mittelfeld. Hinzu kommen einige asiatische Teilnehmer, die schlechter als in Mathe abschneiden sowie die USA und Kanada, die im Vergleich aufgerückt sind. Deutschland findet sich mit 515 Punkten ganze elf Punkte hinter dem OECD-Durchschnitt. Das Ende des Rankings bilden wie bereits in der Mathematik Marokko und Kuwait.

Das schlechte Abschneiden der deutschen Viertklässler markiert den vorläufigen Tiefpunkt eines sachten, aber beständigen Abwärtstrends. 2007 erreichten die deutschen Teilnehmer noch im Mittel 528 Punkte, 2019 waren es bereits 10 Punkte weniger.

Auch die Schere zwischen leistungsstarken und -schwachen Schülern klafft weiter auseinander als zuvor. 2023 erreichten 29,7 Prozent der Schüler nicht die dritte Kompetenzstufe. Das entspricht dem internationalen Durchschnitt, ist aber deutlich mehr als noch 2007. Der Anteil an Höchstleistern betrug dagegen ähnlich wie in den Vorjahren 8,7 Prozent.

Entscheidend ist, in welche Familie man geboren wird

Dass Deutschland seine Platzierung im internationalen Vergleich halten kann, ist angesichts der zunehmend heterogenen Schülerschaft nicht selbstverständlich. Vor 17 Jahren nahmen weniger Schüler mit Förderbedarf an Timss teil. Sie machten knapp vier Prozent der Getesteten aus, 2023 waren es sechs Prozent. 2007 lag auch der Anteil von Schülern, von denen mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren wurde, bei nicht einmal 30 Prozent. 2023 waren es fast 40 Prozent.

Der Migrationshintergrund der Schüler spiegelt sich wie bereits in den Vorjahren in den Schülerleistungen wider. Viertklässler, deren Eltern in Deutschland geboren wurden, erreichten im Mittel 540 Punkte in Mathe und damit den oberen Bereich der dritten Kompetenzstufe. Durchschnittlich 529 Punkte erzielten Schüler mit einem deutschstämmigen Elternteil. „Das ist deutlich mehr als in den Jahren zuvor und deswegen erfreulich“, sagt der Hamburer KMK-Vertreter Rainer Schulz. Nur 502 Punkte schaffen Schüler, deren Eltern beide im Ausland geboren wurden. Diese Schüler finden sich im unteren Bereich der dritten Kompetenzstufe. Für Özdemir ist klar: „Das können wir uns als Einwanderungsland nicht leisten.“

Stärker als die Herkunft prägt der Bildungsgrad der Familie die Leistungen der Viertklässler. Schüler aus Haushalten, in denen es mehr als 100 Bücher gibt, schneiden im Schnitt 48 Punkte besser ab als Schüler, in deren Familien das nicht der Fall ist. Deutschland liegt damit auf einem geteilten vierten Platz der Länder, in denen die Bildung der Eltern den Schulerfolg der Kinder am meisten beeinflusst.

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Punkte mehr müssen Kinder ungelernter Arbeiter im Mittel mehr erreichen als Kinder von Führungspersonal, um von ihren Lehrern eine Gymnasialempfehlung im Fach Mathematik zu bekommen. Im Schnitt erreichten deutsche Schüler 524 Punkte.

Noch eklatanter ist, wie sehr der berufliche Status der Eltern sich darauf auswirkt, ob Eltern und Lehrer einem Kind zutrauen, das Gymnasium zu besuchen. Diese Frage stellt sich Eltern in den meisten Bundesländern, in denen die vierte Klasse das letzte Grundschuljahr ist. Eine Gymnasialempfehlung geben Lehrer den Kindern von Menschen in Führungspositionen, wenn diese 512 Punkte in Mathe erreichen. Kinder von ungelernten Arbeitern müssen dafür im Mittel 646 Punkte vorweisen, also fast zwei Kompetenzstufen besser und damit besser als die meisten Kinder in Singapur sein. Ungelernte Arbeiter würden ihr Kind ab Matheleistungen von 575 Punkten auf ein Gymnasium schicken. Eltern, die Führungspositionen bekleiden, sehen dazu schon Grund ab 508 Leistungspunkten. Schulz versetzt das in Rage. „Das ist eine Bankrotterklärung. Das geht gar nicht, das muss beendet werden“, sagt er in Bezug auf die offensichtliche Diskriminierung.

Vergleichsweise marginal unterscheiden sich dagegen die Leistungen von Jungen und Mädchen. In den Naturwissenschaften sind die binären Geschlechter gleichauf. Vor 17 Jahren lagen Jungen noch 15 Punkte vor Mädchen, haben aber in ihrer Leistung schlicht stärker als diese nachgelassen. In Mathe haben Viertklässlerinnen, ähnlich wie in vielen anderen Ländern, dagegen einen Rückstand von 13 Punkten auf Jungen.

Grundschulen immer digitalisierter

Doch Deutschland hat in der Timss-Studie auch eine Spitzenposition inne. Kein anderes Teilnehmerland hat seit 2007 einen so starken Fortschritt dabei gemacht, Grundschulen mit digitalen Endgeräten auszustatten. Mussten sich vor 17 Jahren noch 4 Schüler einen Computer oder ein Tablet teilen, waren es 2019 nur noch zwei. Vier Jahre später verfügten deutsche Grundschulen bereits über mehr Endgeräte als Viertklässler.

Dass Deutschland in diesem Ranking vorne liegt, ist allerdings auch dem Umstand geschuldet, dass man mit am meisten aufzuholen hatte. Als sich 2019 theoretisch noch zwei deutsche Schüler ein Endgerät teilen mussten, war es in den anderen OECD-Ländern bereits normal, dass jedes Kind ein eigenes Gerät benutzen konnte. In den USA und Hongkong war es das auch 2007 schon.

Obwohl nun aber hierzulande Endgeräte für jeden Viertklässler vorhanden sein sollten, geben viele Lehrkräfte zu, diese nur selten in den Unterricht einzubeziehen. Mehr als die Hälfte der Lehrer sagt, dass sie ihre Schüler im Matheunterricht nie oder fast nie digitale Medien nutzen lässt, um nach Ideen oder Informationen zu suchen. Mehr als 40 Prozent geben das auf die Frage hin an, ob sie Schüler Lernvideos gucken lassen. Fast kein Lehrer macht davon Gebrauch, Schüler ein digitales Lerntagebuch führen zu lassen.

Schulz führt das darauf zurück, dass es an guten digitalen Angeboten für den Fachunterricht mangele. „Zum Teil wissen Lehrer aber auch nicht, wie sie Medien sinnvoll in den Fachunterricht einbinden können.“

Wie geht es jetzt weiter?

Um endlich zu besseren Schülerleistungen in Mathe und Naturwissenschaften zu gelangen, müssten Kinder bereits in der Kita besser gefördert werden, so Schulz. „Wir müssen im frühkindlichen Bereich ansetzen, wenn wir in der Bildung vorankommen wollen“, sagt er. Studienleiter Schwippert stellt die Frage nach den Grenzen dessen, was das Schulsystem in Anbetracht der sozialen Ungleichheit leisten könne.

Hoffnung setzen die führenden Bildungspolitiker des Landes in Förderprogramme. KMK-Präsidentin Streichert-Clivot verspricht sich viel von dem im letzten Jahr angelaufenen Programm „QuaMath“, das den Matheunterricht inhaltlich reformieren soll. Schulz setzt im Kampf gegen Bildungsungleichheit auf das Startchancen-Programm. Özdemir will sich nicht auf den jüngsten Erfolgen in der digitalen Ausstattung von Grundschulen ausruhen. „Die Bildungsrepublik Deutschland braucht den Digitalpakt 2.0“, betont der Bildungsminister mit Blick auf das ausgelaufene Vorgängerprogramm.

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