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In der Schulcloud können Lehrkräfte ihre Schülerinnen und Schüler unterrichten.

© dpa

Unterricht in der Coronakrise: Konkurrenzkampf im virtuellen Klassenraum

In der Coronakrise hebt die bundesweite Schulcloud vom Hasso-Plattner-Institut ab. Private Anbieter kritisieren die Millionenförderung: Sie seien längst viel weiter.

Die Coronakrise bringt Rückenwind für ein Projekt, das lange Zeit vor sich hindümpelte: Die bundesweite Schulcloud, die das private Hasso-Plattner-Institut (HPI) im Auftrag der Bundesregierung programmiert. Waren bislang nur ausgewählte Pilotschulen Teil des Projekts, bestätigen nun mehrere Schulen gegenüber Tagesspiegel Background, dass sie Zugang zu der Cloud bekommen haben oder erhalten werden. Den Knoten gelöst hat eine 15-Millionen-Euro-Subvention des Bundesbildungsministeriums (BMBF) für digitale Infrastrukturen, wovon die HPI-Cloud 12,75 Millionen erhält.

Das Hasso-Plattner-Institut an der Uni Potsdam sollte ursprünglich eine Cloud-Architektur entwickeln, in der alle deutschen Schulen Platz finden. So lautete der Plan, geboren beim IT-Gipfel 2016 in Saarbrücken. Das Bundesbildungsministerium (BMBF) genehmigte knapp sieben Millionen Euro, um eine solche einheitliche Cloud zu programmieren. 2017 begannen die Programmierer am HPI ihre Arbeit, zunächst als Forschungsprojekt in Kooperation mit 120 Schulen des „MINT-EC“, einem Netzwerk von Schulen, die einen Schwerpunkt auf MINT-Fächer legen. 2018 wurde die Schulcloud als niedersächsische Bildungscloud pilotiert. 2019 folgten Brandenburg und Thüringen, die die HPI-Lösung als Landescloud ausrollen wollen.

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Bis zum Ausbruch des Coronavirus schaffte es das HPI aber nur 250 von rund 40 000 Schulen in Deutschland an die Schulcloud anzuschließen. Das sind rund 0,6 Prozent – wobei das HPI darauf hinweist, es sei als Forschungsprojekt ohnehin auf einen Zeitraum bis zunächst 2021 ausgerichtet und habe den vorgegebenen Plan mehr als erfüllt. Mit den coronabedingten Schulschließungen hat die Cloud für viele Schulen nun neue Priorität bekommen: Lehrkräfte können ihre Schülerinnen und Schüler in der Schulcloud kontaktieren, sie arbeiten zusammen an gemeinsamen Dokumenten oder führen Videokonferenzen durch.

Plötzlich geht es voran

Und plötzlich geht es voran: In Thüringen sind inzwischen 87 Schulen in der HPI-Cloud, 17 waren es noch vor zwei Wochen. Weitere fast 400 Schulen haben in Thüringen den Zugang beantragt. Aus Brandenburg berichteten einzelne Schulleitungen, die sich zum Teil seit einem Jahr vergeblich für die Schulcloud beworben hatten, dass sie nun das Plazet bekommen haben. In Niedersachsen soll der dortige Ableger der Schulcloud ab Mai weitere Schulen aufnehmen. Und auch Sachsen-Anhalt will nun die HPI-Lösung als Landescloud etablieren. Auf Anfrage teilte das BMBF mit, dass die Schulcloud mit dem 15-Millionen-Zuschuss eine Kapazität von 2000 bis 2500 Schulen erreichen könne.

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Damit wäre die Potsdamer Cloud aber noch lange nicht die bundesweit führende Lösung, von der die Macher damals träumten, sondern lediglich ein weiteres von rund einem Dutzend Wölkchen am Firmament der Schulclouds und Lernmanagementsysteme. Denn die Landschaft an Schulclouds ist vielfältig. Dazu zählt mit 3500 angeschlossenen Schulen IServ, eine Gründung von ehemaligen Schülern in Braunschweig. Die Cloud Ucs@school aus Bremen erreicht 2500 Nutzerschulen, ihr wichtigstes Ziel: „dass die Schulen stets die Hoheit über ihre Daten behalten“. Webweaver aus Köln ist eine Software, mit der sowohl Sachsens Schulcloud LernSax läuft als auch die 4000 Schulen von Lo-Net2 des Verlags Cornelsen. Das Lernmanagementsystem Itslearning enthält eine Vielzahl didaktischer Anwendungen und läuft in den Schulen Bremens sowie bei einer Reihe von Privatschulen.

Kaum zu zählen sind die Schulen in Deutschland, die die Open-Source-Software „Moodle“ nutzen, die auch von vielen Hochschulen genutzt wird. Zusammen mit der Moodle-Abwandlung Mebis in Bayern kann man wohl von 10 000 Schulen ausgehen. Zudem gibt es die Cloud Office 365 von Microsoft, gegen die die Landesdatenschützer allerdings nach wie vor Bedenken vorbringen. Der Anbieter Sdui stellt über 1000 Schulen eine Dateiablage mit Messengersystem zur Verfügung. Dasselbe Portfolio hat der Hannoveraner Anbieter Heinekingmedia, der in der Gratisversion seiner Schul.Cloud rund 5500 Schulen versammelt.

Run der Pädagogen in die Clouds

Zusammengerechnet hat damit inzwischen die Mehrzahl der deutschen Schulen Zugang zu einer Schulcloud. Allerdings nutzen nicht immer alle Lehrer die Cloud – jedenfalls war das vor der Coronakrise der Fall. Seitdem aber erleben die Anbieter einen regelrechten Run der Pädagogen in die Clouds. Kein Wunder: Nur ein gut ausgerüstetes digitales Klassenzimmer ermöglicht die einfache Zuweisung von Aufgaben an die Schüler und erlaubt es den Lehrern, auf den verschiedensten Wegen Kontakt zu ihren Schülern zu halten – per Mail, Chat, Messenger, Video oder direkt im kollaborativen Schreibeditor. Das ist genau das, was Schulen und Lehrer jetzt brauchen. Ein ähnliches Angebot kann nun auch die Potsdamer Schulcloud in größerer Zahl machen.

Freilich hat die jüngste Geldspritze nicht nur die Plattner-Cloud reanimiert. Auch die Konkurrenz ist munter geworden – und geht dagegen auf die Barrikaden, dass ein einzelner Wettbewerber staatliche Zuschüsse erhält. „Einen Anbieter ohne Ausschreibung mit solchen finanziellen Mitteln auszustatten, empfinden wir nicht nur als äußerst fragwürdig, sondern auch als marktverzerrend“, sagt Andreas Noack von Heinekingmedia gegenüber Tagesspiegel Background. Der Geschäftsführer von Iserv, Benjamin Heindl, betont, dass mittelständische Anbieter kurzfristig kostenlose Angebote für digitalen Unterricht geschaffen hätten. „Statt diese zu nutzen, steckt das BMBF nun erneut erhebliche Steuermittel in die Entwicklung einer Konkurrenzlösung mit ungewisser Zukunft.“

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Ralf Hilgenstock von Eledia, einem Anbieter, der Moodle für Schulen bereitstellt, beklagte, „dass unter dem Deckmantel eines Forschungsprojekts ein Millionenbetrag investiert wird, obwohl die Mehrzahl der Bundesländer längst Lernplattformlösungen etabliert hat“. Auch der Kölner Anbieter von Webweaver, Werner Grafenhain, äußerte sich kritisch: Es wäre zielführender, Unternehmen zu unterstützen, „die mit ihren Lösungen in vielen Fällen längst deutlich weiter sind als die HPI-Schulcloud“.

Keine Konkurrenz zu privaten Anbietern?

Die ersten sieben Millionen Euro für die Schulcloud hatte das BMBF als Forschungsprojekt deklariert, um eine Open-Source-Software zu programmieren, die auf ein nationales Niveau skaliert werden kann. Die erneute Geldspritze von 15 Millionen verteidigt Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) nach massiver Kritik als befristete Hilfe in der Krise: „Die Schul-Cloud soll vor allem Schulen zur Verfügung stehen, die nicht auf eine Landeslösung zurückgreifen können. Dies ist bis zum Jahresende 2020 befristet“, schreibt Karliczek in einem Gastbeitrag auf dem Blog des Tagesspiegel-Kolumnisten Jan-Martin Wiarda: „Ich möchte unmissverständlich klarstellen: Der Bund steigt nicht in die Versorgung von Schulen mit digitalen Infrastrukturen ein, sondern leistet ausschließlich Soforthilfe.“ Das HPI wiederum sieht sich gar nicht in Konkurrenz zu privaten Anbietern, sondern will auch deren Lerninhalte mit aufnehmen können.

Ob sich die HPI-Cloud bundesweit durchsetzt, bleibt offen. Sein Alleinstellungsmerkmal könnte Karliczeks Projekt aber verlieren: als nationale Schulcloud der kleinste unter den deutschen Cloudanbietern zu sein.

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