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Männlich oder weiblich?: Auch Vögel wechseln ihr Geschlecht
Ein Geschlechtswechsel ist auch bei Vögeln keineswegs selten, zeigt eine Studie aus Australien. Die Frage nach männlich oder weiblich ist nicht so eindeutig zu beantworten, wie die Forschung bislang dachte.
Stand:
Ein genetisch männlicher Kookaburra, der Eier legt – und Elstern, die äußerlich Männchen sind, aber weibliche Chromosomen tragen: Ein Forschungsteam der University of the Sunshine Coast in Queensland in Australien hat herausgefunden, dass ein Geschlechtswechsel bei wild lebenden Vögeln deutlich häufiger vorkommt als bisher gedacht.
Das Phänomen war in der Vogelwelt bislang kaum dokumentiert. Die im Fachmagazin „Biology Letters“ veröffentlichte Studie könnte das Verständnis von Geschlechtsentwicklung und Artenschutz bei Vögeln nun grundlegend verändern.
Wenn Vögel aus der Reihe tanzen
Viele Tierarten sind in der Lage, im Laufe ihres Lebens das Geschlecht zu wechseln. Besonders verbreitet ist dieses Phänomen bei Fischen, bestimmten Reptilien und wirbellosen Tieren: Clownfische etwa werden alle männlich geboren, und das dominanteste Männchen verwandelt sich in ein Weibchen, wenn das bisherige Weibchen stirbt.
Papageienfische und Lippfische wechseln teils innerhalb von Tagen von weiblich zu männlich, Grundeln können sogar mehrfach hin- und herwechseln. Auch Schnecken, Bananenschnecken und Bartagamen sind dafür bekannt. Säugetiere hingegen zeigen diesen Prozess nach der Geburt nicht.
Überraschend für die Forschenden war, dass Geschlechtswechsel auch bei Vögeln keineswegs selten vorkommen. Sie analysierten knapp 500 Tiere aus fünf Arten – darunter Flötenvögel, Kookaburras, Tauben und Loris –, die nach Verletzungen oder Krankheiten in Wildtierkliniken im Südosten von Queensland verstorben waren. Untersucht wurden zunächst die Fortpflanzungsorgane, anschließend bestimmten DNA-Tests das genetische Geschlecht.
Das Ergebnis: Bis zu sechs Prozent der Tiere wiesen äußerlich die Merkmale eines Geschlechts auf, waren genetisch jedoch dem anderen zuzuordnen. „Das deutet darauf hin, dass die Geschlechtsbestimmung bei wild lebenden Vögeln flexibler ist als gedacht und bis ins Erwachsenenalter bestehen kann“, sagte die Ornithologin Dominique Potvin.
Das Spiel der Natur mit den Regeln
Eine zentrale Erkenntnis: 92 Prozent der Vögel mit Geschlechtsumkehr waren genetisch weiblich, besaßen jedoch männliche Fortpflanzungsorgane. Die Forschenden fanden aber auch einen genetisch männlichen Kookaburra, der fortpflanzungsaktiv war, große Follikel und einen erweiterten Eileiter hatte – Hinweise auf eine kürzlich erfolgte Eiablage.
Während Geschlechtswechsel bei Fischen, Amphibien und Reptilien gut dokumentiert sind, fehlten für wild lebende Vögel bislang belastbare Nachweise. Umso wichtiger sei es, das Wie und Warum dieses Phänomens zu verstehen, sagt die Ornithologin Dominique Potvin – nicht zuletzt für den Artenschutz.
Folgen für Populationen und Artenschutz
Denn laut Hauptautorin Clancy Hall könnte das Auftreten solcher Individuen den Fortpflanzungserfolg einer Population beeinflussen: Es drohen unausgeglichene Geschlechterverhältnisse, kleinere Bestände, veränderte Partnerpräferenzen und im schlimmsten Fall ein Rückgang der gesamten Art.
Noch unklar ist auch, welche Folgen solche Abweichungen für die Nachkommen haben. Denn bei Vögeln legt die Kombination der Geschlechtschromosomen Z und W der Eltern das Geschlecht der Küken fest. Abweichungen könnten daher das Geschlechterverhältnis einer Population zusätzlich beeinflussen.

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Außerdem machen sexuell uneindeutige Vögel die üblichen Methoden zur Geschlechtsbestimmung unsicher – dazu zählen genetische Tests, das Gefieder oder auch Verhaltensbeobachtungen. „Zu wissen, welches Geschlecht ein Tier hat, ist in vielen Forschungsbereichen entscheidend“, erklärt Clancy Hall.
Doch selbst DNA-Proben aus Blut oder Federn, die bislang als zuverlässig galten, können in bis zu sechs Prozent der Fälle täuschen. Für ihre Untersuchung ordneten die Forschenden die betroffenen Vögel drei Gruppen zu: genetische Männchen mit eindeutig weiblichem Erscheinungsbild, genetische Weibchen mit männlichem Erscheinungsbild sowie Tiere mit einer Mischung aus Hoden- und Eierstockgewebe.
Die Ursachen für die Geschlechtsumkehr bei Vögeln sind unklar. Denkbar seien hormonell wirksame Chemikalien oder hohe Stresshormonspiegel als Auslöser. Der fortpflanzungsaktive, genetisch männliche Kookaburra etwa wurde in einer halbländlichen Agrarregion gefunden, in der sich solche Stoffe möglicherweise anreichern.
Möglich sind außerdem genetische Mutationen oder Veränderungen der Geschlechtschromosomen, die von gängigen DNA-Tests zur Geschlechtsbestimmung nicht erfasst werden.
Klimawandel verschiebt Geschlechterverhältnisse
Wie stark Umweltfaktoren das Geschlechterverhältnis verschieben können, zeigte sich 2018 am Great Barrier Reef: Dort stellten australische und US-Forschende fest, dass im Norden fast ausschließlich weibliche Grüne Meeresschildkröten schlüpfen – rund 99 Prozent der Tiere. Ursache sind höhere Temperaturen in den Nestern, die das Geschlecht bestimmen.
Liegt der Sand über etwa 29 Grad Celsius, entstehen fast nur Weibchen. Die Umweltschutzorganisation WWF (World Wide Fund For Nature) sprach damals davon, dass das Riff „an vorderster Front des Klimawandels“ stehe. Forschende versuchen inzwischen gegenzusteuern, etwa indem sie Nistplätze beschatten, um den Sand abzukühlen und wieder mehr Männchen zu ermöglichen.
Das zeigt, wie empfindlich Fortpflanzungssysteme auf kleinste Umweltveränderungen reagieren und wie direkt der Klimawandel in den Lebenszyklus von Tierarten eingreift.
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