
© Getty Images
Menschliche Herzen aus dem Schwein: Forscher züchten Mensch-Tier-Embryos für Organtransplantation
Gern würden Ärzte menschliche Organe in Tieren heranwachsen lassen, um Patientenleben retten zu können. Chinesischen Forschenden ist nun ein wichtiger Schritt auf dem Weg dahin gelungen.
Stand:
Das Rezept für das Züchten eines menschlichen Herzens ist eigentlich sehr einfach: 1. Man nehme menschliche embryonale Zellen. 2. Man spritze sie in Schweineembryonen, und zwar solche, die aufgrund einer Genmutation kein Herz bilden können. 3. Dann bei etwa 38 Grad Celsius drei Wochen entwickeln lassen, damit die menschlichen Zellen die „Lücke“ im Laufe des Heranreifens des Embryos füllen. 4. Voilà: ein Schweineembryo mit einem menschlichen Herzen.
Dass diese Rezeptur für einen „chimären Mensch-Tier-Auflauf“ für mehr Organe zum Transplantieren tatsächlich funktionieren könnte, berichtete jetzt ein Team um Lai Liangxue von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften auf einer internationalen Stammzelltagung in Hongkong, schreibt das Fachblatt „Nature“.
Mangel an Organen macht erfinderisch
Etwa 8500 Menschen stehen in Deutschland auf der Warteliste für ein überlebenswichtiges Spenderorgan, jedoch sterben etwa zehn Prozent, bevor ihnen ein passendes angeboten werden kann. Den ständigen Mangel versuchen Gewebezüchter seit Jahrzehnten mit verschiedenen Ansätzen zu überwinden.
Einer ist, Schweine genetisch so zu verändern, zu „vermenschlichen“, dass ihre Organe vom menschlichen Immunsystem nicht mehr als fremdartig erkannt, sondern toleriert werden. Solche Xenotransplantationen von Schweineorganen in menschliche Patienten waren sogar schon erfolgreich. Dennoch handelt es sich dabei immer noch um tierische Organe, die deshalb ohne starke, das Immunsystem unterdrückende Medikamente vom Körper des Patienten abgestoßen würden.
Anders wäre das, wenn das Organ, das in einem Schwein oder Schaf heranwächst, aus menschlichen Zellen bestünde, idealerweise aus Zellen des Patienten. Eine Abstoßungsreaktion wäre dann nicht mehr zu befürchten.
Tatsächlich ist es möglich, Hautzellen eines Patienten in einen embryoähnlichen Zustand zu versetzen. Schiebt man einem sehr frühen Entwicklungsstadium eines Schweineembryos, der „Morula“, diese Stammzellen unter, werden sie nicht abgestoßen, sondern in die normale Entwicklung integriert. Handelt es sich um einen Embryo, der aufgrund von zwei Genmutationen kein Herz bilden kann, übernehmen die menschlichen Zellen diese Aufgabe. Es entsteht ein Schweineembryo mit menschlichem Herz. Bei Lais Experiment begann das Organ sogar zu schlagen, bevor der Fötus am 21. Tag der Entwicklung abstarb. Lais Team gelang ähnliches bereits 2023 mit menschlichen Nieren.
Teufel im Detail
Allerdings nutzte das Forschungsteam von den Guangzhou Institutes of Biomedicine and Health diesmal keine „normalen“ menschlichen Stammzellen. Vielmehr fügten sie dem Erbgut der Zellen extra Gene hinzu, um das Wachstum der Zellen verstärken.
Unklar ist, warum die Embryonen nach drei Wochen Entwicklung abstarben. Die Forschenden vermuten, dass die Feinabstimmung zwischen den menschlichen und den tierischen Zellen nicht reibungslos funktionierte. Beide Säugetierarten sind sich anatomisch recht ähnlich, auf biochemischer Ebene passen jedoch nicht immer alle Proteine zueinander, wichtige Entwicklungssignale könnten deshalb ausbleiben.
Außerdem hatte das menschliche Herz nach den 21 Tagen zwar die übliche Größe von etwa einem Zentimeter entwickelt. Doch es enthielt neben den menschlichen auch Schweinezellen – In welchem Verhältnis, das erklärte Lai in seinem Vortrag nicht. Bislang wurde die Forschungsarbeit auch noch nicht unabhängig begutachtet. In Lais früheren Versuchen mit Nieren, enthielten die Organe etwa zur Hälfte menschliche und tierische Zellen.
Bliebe es dabei, brächte die Rezeptur nichts „Genießbares“ hervor. Denn schon wenige tierische Zellen in einem sonst menschlichen Organ würden nach einer Transplantation das Immunsystem des Patienten alarmieren und eine ganze Reihe von Abstoßungsreaktionen hervorrufen. Selbst bei einem Herz, das hundertprozentig aus menschlichen Herzmuskelzellen bestünde, würden die versorgenden Blutgefäße vom Schwein stammen – von anderen Zelltypen des Herzens, etwa dem Bindegewebe des Herzbeutels, ganz zu schweigen.
Das bedeutet, dass man auch diese Gewebe durch menschliche Zellen ersetzen oder zumindest – ähnlich wie beim Xenotransplantationsansatz –„kompatibler“ für Menschen machen müsste. Doch jede zusätzliche genetische oder anderweitige Anpassung ist nicht nur aufwändig, sondern letztlich auch kostspielig.
Hohe Kosten und wenig praktikabel
Deshalb – aufgrund der Kosten und der Praktikabilität – sind Experten skeptisch, ob das Züchten menschlicher Organe in Tieren, ursprünglich vom japanischen Forscher Hiromitsu Nakauchi entwickelt, ein gangbarer Weg zu mehr Transplantationsorganen ist. Eine gentechnisch für die Xenotransplantation veränderte Schweineherde wäre sehr schnell und einfach vermehrbar und damit vergleichsweise kostengünstig. Doch für die Zucht eines menschlichen Organs in einem Schwein müsste man die ganze Prozedur jedes Mal von neuem beginnen, insbesondere wenn es aus den genetisch identischen Zellen des Patienten bestehen soll.
Ein ganz anderes, bioethisches, Argument gegen die Nutzung von Mensch-Tier-Chimären für die Transplantationsmedizin ist, dass die menschlichen Zellen nicht auf das gewünschte Organ beschränkt sind, sondern sich überall unter die Gewebe des Tieres mischen. Ist das Gehirn eines Schweins, das infolge solcher Verfahren dann zur Hälfte oder mehr aus menschlichen Zellen bestehen könnte, dann noch ein Schwein oder ein Mensch? Denkt es dann womöglich sogar „menschlich“?
Bislang gab es keinen Weg, die injizierten menschlichen Zellen daran zu hindern, andere als die gewünschten Gewebe zu bilden oder zu besiedeln. Doch auf der gleichen Stammzellkonferenz in Hongkong stellte der Bioingenieur Xiling Shen von der University of Texas in Houston nun eine Methode vor, mit der sich die Zellen zielgenau auf Herz oder Niere beschränken lassen. Eine „bahnbrechende“ Neuerung, zitiert „Nature“ den Stammzellforscher Hideki Masaki vom Institute of Science in Tokio.
Shens Team verwendete keine Stammzellen, sondern im Labor daraus hervorgegangene organähnliche Gebilde, Organoide genannt. Diese leber- oder darm- oder hirnähnlichen Organoide spritzten die Forschenden statt in frühe Mausembryonen in bereits sehr weit entwickelte Föten, genaugenommen in das sie umgebende Fruchtwasser.
Innerhalb weniger Tage seien die menschlichen Zellen in den Mausembryo eingewandert, hätten aber nur das Gewebe infiltriert, zu dem sie „passten“, so Shen: Darm-Organoidzellen in den Darm, Leber-Organoidzellen in die Leber, Hirn-Organoidzellen ins Hirn der Maus. Zwar bestanden die Organe der geborenen Mäuse nur zu höchstens einem Prozent aus menschlichen Zellen. Doch sie funktionierten normal und waren auch noch zwei Monate später an Ort und Stelle in den Tieren.
Ob diese Technik nun der große Durchbruch auf dem Weg zu menschlichen Organen aus Tieren sein wird, muss sich erst noch zeigen. Ausprobieren werden die Gewebezucht-Experten die neue Rezeptur auf jeden Fall.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: