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Der Vortrag am Samstag wurde abgesagt - einige Demonstrierende kamen dennoch vor die HU.

© Christophe Gateau/dpa

Nach Vortragsabsage: Ministerin kommt zur Vollbrecht-Nachholveranstaltung an HU Berlin

Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger will an der HU kontroverse Themen debattieren. An der Uni werden die Tweets von Biologin Vollbrecht zum Thema.

Die Absage eines Vortrags einer umstrittenen Biologie-Doktorandin an der Humboldt-Uni hatte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) noch scharf kritisiert. An der Nachholveranstaltung am kommenden Donnerstag wird die Ministerin nun selber teilnehmen – und dort das Thema "Meinung, Freiheit, Wissenschaft – der Umgang mit gesellschaftlichen Kontroversen an Universitäten" debattieren.

Das teilte das Ministerium dem Tagesspiegel auf Anfrage mit. Da Stark-Watzinger eigentlich in Urlaub sei, werde sie digital per Video digital zugeschaltet. Mit ihr treten mindestens sechs weitere Diskutant:innen vor Ort auf, darunter der kommissarische HU-Präsident Peter Frensch.

Die HU hatte vergangenen Samstag einen Vortrag zum Thema Zweigeschlechtlichkeit ihrer Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht wegen Sicherheitsbedenken kurzfristig aus dem Programm der Langen Nacht der Wissenschaften genommen. "Es darf nicht in der Hand von Aktivisten liegen, welche Positionen gehört werden dürfen und welche nicht", hatte Stark-Watzinger damals der "Bild"-Zeitung gesagt.

Das war auch als deutliche Kritik an der HU und Parteinahme für Vollbrecht verstanden worden. Diesen Eindruck versuchte das Ministerium jetzt zu relativieren. Es sei Stark-Watzinger keineswegs darum gegangen, Position für oder gegen Vollbrecht und ihre Thesen zu beziehen. Der Ministerin gehe es allein darum, sich für die Wissenschaft und ihre Freiheit einzusetzen, hieß es aus dem Bundesforschungsministerium.

An der Uni und in der Berliner Wissenschaft hatte das Eingreifen der Ministerin gleichwohl Erstaunen ausgelöst. Dass sie sich ausgerechnet in der "Bild" äußere, ohne auf die Komplexität des Themas einzugehen und ohne sich einmal die Argumentation der Entscheider an der HU anzuhören, sei frustrierend, ist an der HU zu hören.

Die HU debattiert weiter über den Fall

Klar ist, dass an der HU weiter über den Fall debattiert wird, für den sie öffentlich extrem unter Druck geraten ist. Die Absage des Vortrags – der Titel lautete "Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht – Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt" – war durch die Ankündigung mehrerer Proteste ausgelöst worden, zunächst von Studierendenvertretern.

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Stein des Anstoßes war für sie vor allem ein transfeindlicher Artikel in der "Welt", den Vollbrecht als Co-Autorin mitverfasst hatte. Als auch noch Befürworter Vollbrechts eine Gegendemo zu den Studierendenprotesten starten wollten, fürchtete die HU um die Durchführung der Langen Nacht der Wissenschaften im Hauptgebäude, zu der erfahrungsgemäß viel Publikum kommt.

Gut möglich ist, dass die HU auf jeden Fall einen Polizeieinsatz verhindern wollte. Eine polizeiliche Räumung eines von Studierenden besetzten Gebäudes vor mehreren Jahren hängt der Uni bis heute nach.

Nutzte die Doktorandin die offene Anmeldung für ihre politische Agenda?

Gefragt wird an der HU auch, ob die Doktorandin womöglich das offene Anmeldungssystem für die Lange Nacht ausnutzte, um einen Vortrag quasi ins Programm zu schmuggeln, der vor allem ihrer politischen Agenda entspricht, aber nichts mit ihrer Wissenschaft zu tun hat (Vollbrecht forscht zu Hirnzellen elektrischer Fische).

Tatsächlich melden sich an der HU – wie an anderen Berliner Hochschulen – Forschende und Fachbereiche für das Programm der Langen Nacht der Wissenschaften selber an, ohne einen Auswahlprozess an einer zentralen Stelle. Die Verantwortlichen konnten die potenzielle Brisanz von Vollbrechts Auftritt so kaum erkennen. Zumal das Programm lange feststand, bevor der umstrittene "Welt"-Artikel erschien, der den Vortrag politisch auflud und durch den die Studierendenvertreter auf Vollbrecht erst so richtig aufmerksam wurden.

Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).
Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).

© Carsten Koall/dpa

Anders als den Studierenden fiel besagter "Welt"-Artikel der Leitungsebene der HU und ebenso dem engeren akademischen Umfeld der Biologin dem Vernehmen nach nicht weiter auf, weshalb die Verantwortlichen der Langen Nacht erst recht von den Protesten überrascht wurden – auch wenn sich die Uni inzwischen von den Thesen des Artikels distanziert hat. Darin hatten die Autor*innen vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk "eine Abkehr von ideologischer Betrachtungsweise – und zwar insbesondere bei dem Trend-Thema 'trans'“ gefordert.

Die Twitter-Aktivitäten Vollbrechts waren vielen an der HU unbekannt

Ebenso scheinen die Aktivitäten Vollbrechts auf Twitter bis zu dem Eklat in großen Teilen der Uni und auch ihrem Doktorvater unbekannt gewesen zu sein. Vollbrecht ist auf Twitter anonym unter dem Namen @FrolleinVogelV unterwegs und hat sich dort wiederholt verächtlich gegenüber trans Menschen geäußert.

Jetzt debattiert die HU auch darüber. "Liest man Tweets von Frau Vollbrecht zu Trans-Identitäten, kann man verstehen, dass sich betroffene Personen mind. unwohl fühlen. Tweets sind vulgär, herablassend, diffamierend. Ist das der eigentliche "Humboldt-Skandal?", schrieb die an der HU einflussreiche Geschichtsprofessorin Gabriele Metzler am Donnerstagabend auf Twitter.

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Das dürfte die Stimmung vieler an der HU widergeben - wobei Metzler auf Nachfrage erklärte, die Tweets Vollbrechts seien durch die Meinungsfreiheit gedeckt: "Ich will auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass die Uni da einschreiten sollte."

Die Biologin hat inzwischen viele Tweets gelöscht. "Ich habe ja aus der Anonymität viel über mein Dating-Leben geschrieben und jede Menge niveauloser Peniswitze gemacht. Mir war der Gedanke wahnsinnig peinlich, dass mein Doktorvater das lesen könnte", erklärte sie auf "T-Online". Sie bestritt dort, eine politische Agenda zu haben, und berichtete darüber, selber auf Twitter verfolgt zu werden.

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Ob Vollbrecht am Donnerstag an der HU teilnimmt, ist unklar. Sie sei eingeladen, habe bisher aber nicht reagiert, sagte ein HU-Sprecher. Ebenfalls eingeladen, aber noch nicht zugesagt hat der "Arbeitskreis kritischer Jurist*innen", die Studierendengruppe, die zuerst zu den Protesten aufrief.

Weitere Teilnehmer*innen auf dem Podium werden neben Stark-Watzinger und HU-Präsident Frensch sein: HU-Jurist Martin Heger, Vollbrechts Doktorvater Rüdiger Krahe, Kerstin Palm von Institut für Geschichtswissenschaften, die zu Gender und Science forscht, Heiner Schulze vom Schwulen Museum sowie Jenny Wilken von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität. Es moderiert der Journalist Jan-Martin Wiarda, der auch Tagesspiegel-Kolumnist ist.

Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr im Auditorium des Grimm-Zentrum, der Eintritt ist frei, eine Anmeldung (hier) vorab erforderlich.

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